Das Auge isst mit - Architektur passend zur Küche

Von Ruth Reichstein |
Schon in den 80er Jahren wurde er von einem renommierten Gastronomie-Führer als einer der 100 besten Köche Europas geführt. Doch Antoine Pinto ist nicht nur Spitzenkoch, er entwirft auch die Innenausstattung von Restaurants. Denn für den 53-Jährigen Portugiesen sind Gastronomie und Architektur gleichermaßen Kunst. Ein Besuch in seinem Haupthaus, dem Belga Queen in Brüssel.
Eigentlich ist es eher so etwas wie ein Museums-Restaurant. Riesige, schwere Säulen tragen den Jugendstil-Bau. Die über fünf Meter hohe Decke ist gewölbt. Feinstes, buntes, geschliffenes Glas lässt ein wenig Sonnenlicht durchs Dach fallen. Alles passt - irgendwie.

Der Chef selbst sitzt in einem der tiefen, schweren Sessel, die in einer Ecke zu einer Sitzgruppe zusammen gestellt sind. Der kleine Mann blickt mit wachen Augen durch seine Brillengläser.

"Als ich Kunststudent in Lüttich war, habe ich angefangen, in Restaurants zu arbeiten. Das war völliger Zufall. Eine Freundin bat mich um Unterstützung für ihre Fischgerichte. Damals habe ich - auf speziellen Wunsch eines Kunden - einen gefüllten Krebs gemacht und der wurde zur absoluten Spezialität des Lokals und brachte mir meinen Ruf als Koch ein. So wurde ich Künstler und Koch gleichzeitig. Das sind also zwei Parallel-Leben."

Schon in den 80er Jahren wurde er von einem renommierten Gastronomie-Führer als einer der 100 besten Köche Europas geführt. Für seine Belga Queen bekam er in Paris 2002 die Goldene Palme für "das beste Brasserie-Konzept". Seine Entwürfe sind mittlerweile über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Zurzeit arbeitet er an dem Restaurant der Oper in Lille.

"Gerade habe ich ein italienisches Restaurant in Lüttich entworfen. Da spürt man Italien, wenn man zur Türe hinein geht. Das sind die Farben, der Überschwang des Dekors. Hier ist es die Zurückhaltung Belgiens mit Brauntönen und Leder. Das ist etwas ganz anderes. Und wenn es ein brasilianisches Lokal wäre, dann würde ich das wieder anders machen."

Pintos Augen leuchten, wenn er über seine Projekte spricht. Stetig schweift sein Blick durch den weiten Raum seines Restaurants, wie um sich zu versichern, dass alles in Ordnung ist.

Hier, im Brüsseler Belga Queen ist dementsprechend alles belgisch. Auf der Karte stehen Spezialitäten aus dem ganzen Land von Lüttich im Südosten bis an die flämische Küste. Pinto hat Gerichte im Petto, die sogar Belgier nicht kennen. Das, sagt der Künstler und Koch, hat mit seiner ganz persönlichen Geschichte zu tun. Er lebt zwar seit Jahrzehnten in Belgien, kommt aber eigentlich aus Portugal und kam während der Revolution als politischer Flüchtling in das Land der Biere und Fritten:

"Die Tatsache, dass ich keine Wurzeln habe, dass ich nicht hier geboren bin, gibt mir die Möglichkeit, das alles viel genauer zu beobachten, wie von einem Sockel aus. Ich sage das ganz ohne Hochnäsigkeit. Wenn man so richtig dazu gehört, dann fällt einem nichts mehr auf. Ich habe dagegen festgestellt, dass die Belgier sehr viele wunderbare Eigenschaften haben. Das gleiche gilt auch für Portugal."

An den Belgiern schätzt Pinto ihre hohen Ansprüche gerade was die Gastronomie betrifft. Die Qualität im belgischen Königreich sei unglaublich hoch - dank der Forderungen von den Kunden. Er selbst isst am liebsten Einfaches. Deshalb hat er aus seiner Belga Queen auch kein Sterne-Restaurant gemacht, sondern ist bei einer einfachen Brasserie geblieben.

Dennoch ist hier alles vom Feinsten. Alle Zutaten kommen aus Belgien oder sind von Belgiern in anderen Ländern hergestellt worden.

Und die Einrichtung erinnert an die belgische Geschichte. Das schwere, dunkelbraune Holz der niedrigen Tische in der Zigaretten-Bar stammt zum Beispiel aus dem Kongo, einer ehemaligen belgischen Kolonie.

Für den 53-Jährigen Pinto sind Gastronomie und Architektur gleichermaßen Kunst. Mittlerweile entwirft er nicht nur Restaurants. Gerade hat er das Foyer eines Brüsseler Krankenhauses fertig gestaltet. Wichtig für seine Kreationen ist die Idee dahinter, sagt er:

"Hier wollte ich Belgien zeigen. Im Krankenhaus habe ich nach einer anderen Philosophie gesucht, die mit Krankheit, Heilung und Geburt zu tun hat. Das Unbewusste ist dabei sehr wichtig. Für das Krankenhaus habe ich mich für eine Ei-Form entschieden. Darin wird man geboren und einige Tiere sterben auch darin. Das gab die Form und das Ergebnis ist wirklich erstaunlich."

Aber nicht immer sagt Pinto Ja zu den Projekten, die ihm angeboten werden.

"Gerade hat mich eine Fast-Food-Kette gebeten, ein Restaurant zu gestalten. Aber sie haben mir nur Literatur gegeben, keinen Raum. Ich kann mir nichts anschauen. Das ist sehr schwierig für mich. Ich muss den Raum fühlen, die Form spüren. Das ist so, als würde man mir sagen: Du machst eine Skulptur. Aber man sagt mir nicht aus welchem Material. Ich brauche das aber: Ton, Bronze oder Marmor. Sonst kann ich nicht arbeiten."

Antoine Pinto streicht liebevoll mit einer Hand über die Lehne seines Sessels. Dann wirft er einen Blick in Richtung Küche und springt auf. Er müsse seinem Chefkoch noch ein paar Tipps für die Abendkarte geben, meint er, und schon ist er hinter dem Tresen, der das Restaurant von der halboffenen Küche trennt, verschwunden.