Das "amerikanische" Streichquartett von Antonín Dvořák

Eine „Pastorale“ en miniature

Der tschechische Komponist Antonín Dvořák (1841-1904)
Zwischen Moldau und Mississippi ließ er den Blick schweifen: Denkmal des tschechischen Komponisten Antonín Dvořák (1841-1904) in Prag © Picture Alliance
Gast: Frank Schneider, Musikwissenschaftler; Moderation: Michael Dasche · 12.05.2019
Nicht nur eine Sinfonie, auch ein Streichquartett "Aus der neuen Welt" schuf Antonín Dvořák: das "amerikanische" Quartett. Darin mischen sich ländliche Ruhe und optimistischer Aufbruchsgeist in besonders eingängigen Klängen.
Auch wenn sich Antonín Dvořák einer programmatischen, gar Beethoven zitierenden Überschrift enthält: vom "Erwachen heiterer Gefühle bei der Ankunft auf dem Lande" scheinen der Beginn und weitere Teile seines "amerikanischen" Streichquartetts op. 96 dennoch zu künden. Als schwebte ihm eine kammermusikalische "Pastorale" vor, schafft Dvořák einen Klangraum, der sich – ähnlich wie bei Beethovens sinfonischem Pendant – auf statischem, nur in sich selbst bewegtem F-Dur-Grund entfaltet.

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Inspiration in Iowa

Damit folgt er einem alten Topos musikalischer Naturdarstellung, "konkretisiert" ihn nun freilich aus eigenem Erleben. Wohl nicht zufällig wird das Hauptthema des ersten Satzes – nach zwei "waldwebenden" Einleitungstakten – von der Bratsche vorgetragen, dem Instrument, das der Komponist selbst professionell spielte. Das Bratschen-Solo als Eintritt eines personalen Subjekts in die Natur, mithin autobiografisch zu deuten, liegt nahe.
Komponiert hatte Dvořák das Quartett (wie auch sein Streichquintett op. 97) unter glücklichsten Umständen: während eines Familienurlaubs in der amerikanischen Ortschaft Spilleville, Iowa, im Sommer 1893. Dort fand er nicht nur Abstand zur anstrengenden Tätigkeit als Direktor und Professor für Komposition am New Yorker National Conservatory of Music. Zugleich bot ihm der Aufenthalt ein Stück Heimat, denn die abgeschiedene Gegend war von Landsleuten, von tschechischen Auswanderern aus Südböhmen, besiedelt.

Amerikanische Musik erfinden

Wie befreiend auf Dvořák die sanfte Landschaft westlich des oberen Mississippi wirkte, zeigt sich in Stimmung und Atmosphäre der Spilleviller Kammermusikwerke. Doch erschöpft sich die Musik weder in bukolischem noch in beschaulichem Ton. Der Gestus des Aufbruchs, der vitalen Kraft und Erneuerung ist ihr ebenso eingeschrieben. Somit drückt sich im Quartett mehr als privates Befinden aus; es ist etwas von dem Elan zu spüren, mit dem sich Dvořák seiner offiziellen amerikanischen "Mission" zuwandte.
Und die bestand in nichts Geringerem als zur Begründung einer Nationalmusik der Vereinigten Staaten beizutragen. Man erwartete von dem Komponisten, der so subtil böhmische "Dialekte" in seine Musik hatte einfließen lassen, dass er auch einen Sinn für amerikanisches Kolorit entwickeln würde. Die Lösung, die Dvořák für diese von patriotischen Kräften um die Mäzenin Jeanette Thurber gestellte Aufgabe fand: dass er vermehrt Stilelemente verwendete, die er als Charakteristika in den Gesängen der indigenen Völker wie auch in Negro Spirituals ausgemacht hatte. Im Melodischen waren das vor allem pentatonische, im Rhythmischen synkopische Wendungen – folkloristische Exotika, die allerdings keineswegs allein in amerikanischer Volkmusik anzutreffen sind. Sie finden sich auch in europäischen Kulturen einschließlich der tschechischen. Folglich ist es müßig, exklusiv amerikanische Anteile aus der Musik des Böhmen herausfiltern zu wollen. Das gilt für seine Sinfonie "Aus der Neuen Welt" ebenso wie für sein "amerikanisches" Streichquartett.

Interkontinentale Gemeinsamkeiten

Zu bewundern ist vielmehr, wie suggestiv Dvořák abstrakte Ähnlichkeiten zwischen den Musiksprachen zu nutzen weiß, um eine Intonation zu kreieren, die man als "neu" im Sinne von weiträumig, von weltläufig-offen wahrnimmt. Die pastorale Aura mit Aufbruch und Freiheit zu verbinden – darin ließe sich denn auch das schöpferische Anliegen des "amerikanischen" Quartetts zusammenfassen. Von daher überzeugen jene Interpretationen am meisten, die den "Drive" des Werks betonen, statt sich in musikantisch-launigem Spiel zu bescheiden.
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