Das alternde Gehirn bleibt topfit

05.04.2011
Die Journalistin Barbara Strauch räumt mit dem Vorurteil auf, dass die Denkfähigkeit der Menschen ab der Lebensmitte abnimmt. So manche Leistung vollbringen gestandene Damen und Herren sogar besser als die Jugend.
Was wollte ich aus dem Keller holen? Und wie hieß der nette Nachbar noch mal? 17 plus 31 minus 18 plus... - wie lautete noch gleich die erste Zahl? Es ist schon ein Kreuz im mittleren Alter.

Das Gehirn von Menschen in der Lebensmitte wird langsamer, zeigen Studien. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. In ihrem Buch "Da geht noch was" zeichnet die amerikanische Medizinjournalistin Barbara Strauch ein optimistisches Bild dessen, was Gehirne jenseits der fünfzig zu leisten imstande sind.

Mit großer Lust an ihrem Thema räumt die Autorin überholte Mythen beiseite. Gehirnzellen sterben keineswegs mit zunehmendem Alter massenhaft ab, wie Forscher lange meinten. Gehirn-Scans in Echtzeit zeigen: Die meisten Neuronen bleiben bis weit in die Achtziger und sogar Neunziger voll funktionsbereit. Ältere Menschen neigen auch nicht zu negativen Gedankenschleifen. Wer von Krankheiten und Arbeitslosigkeit verschont bleibt, wird mit zunehmendem Alter gelassener und optimistischer.

Zudem entwickeln viele ältere Menschen die Fähigkeit zur sogenannten "Bilateralisierung", berichtet die Autorin: Wo man am Anfang des Lebens nur jeweils die rechte oder die linke Gehirnhälfte zur Bewältigung von Handlungen oder Denkaufgaben einsetzte, kommen nun beide Hälften zum Zuge - und bescheren dem älteren Menschen komplexeres Denken und Verhalten. In einem spannenden Kapitel untersucht Barbara Strauch, was die neuen Fähigkeiten des alternden Gehirns mit dem schillernden Begriff der "Weisheit" zu tun haben.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Forschung müssten viele Umgangsweisen mit älteren Menschen überdacht werden, gibt das Buch zu bedenken. So werden Flutlotsen in den USA mit 55 Jahren zwangspensioniert. Ihre kanadischen Kollegen dürfen bis 65 arbeiten. Untersuchungen konnten zeigen, dass sie ihre Aufgaben ohne Niveau-Unterschied genau so zuverlässig erledigen wie jüngere Mitarbeiter.

In Kognitionstests erweist sich ihr Denken zwar als langsamer - doch ist Geschwindigkeit eben nicht alles. So ist das räumliche Vorstellungsvermögen der Älteren besser, zum Beispiel wenn es darum geht, sich die zweidimensionalen Bildschirmanzeigen als dreidimensionalen Himmel vorzustellen. Außerdem meistern sie komplexe Situationen souveräner und geraten bei widersprüchlichen Informationen und Computerabstürzen nicht gleich aus dem Takt.

Barbara Strauch schreibt als versierte Journalistin im besten amerikanischen Stil, verständlich, abwechslungsreich, voller Humor und seriös. Ihre Fitness-Ratschläge für das alternde Gehirn fallen vorsichtig aus, schließlich ist die Datenlage unsicher. Wer körperlich und geistig in Bewegung bleibt, tut seinen grauen Zellen mit Sicherheit Gutes. Ob der grüne Tee und die Blaubeeren helfen, muss weiter erforscht werden. Auf jeden Fall aber hilft eine Wohnung mit Balkon zur Straße, das ergab eine Studie der Universität Miami an 16.000 älteren Menschen: Wer im Hinterhofschatten ohne Nachbarschaftsklatsch im Freien sitzt, denkt deutlich eingeschränkter.

Besprochen von Susanne Billig

Strauch, Barbara, Da geht noch was - Die überraschenden Fähigkeiten des erwachsenen Gehirns
Aus dem Amerikanischen von Sebastian Vogel
Berlin Verlag, Berlin 2011
269 Seiten, 19,90 Euro