Daniel Galera: "So enden wir"

Sisyphos lässt grüßen

Im Hintergrund das Rio Grande do Sul Kunstmuseum in Porto Alegre, im Vordergrund: Cover Daniel Galera: "So enden wir", Montage
Daniel Galeras "So enden wir": Helden des frühen Internetzeitalters in Porto Alegre. © Hintergrund: imago/robertharding, Cover: Suhrkamp
Von Katherina Döbler · 28.05.2018
Beerdigung eines Schriftstellers in Südbrasilien: Drei Freunde treffen sich wieder, die vor Jahren mit dem Verstorbenen das Internet subversiv genutzt haben. Leider rundet sich Daniel Galeras Text nicht zu einem Roman – für anderes ist er nicht mutig genug.
Wenn Sisyphos heute lebte, könnte man ihn sich nicht mehr als glücklichen Menschen vorstellen – "dann wüsste er zu viel über den Stein, den Berg und sich selbst, um sich auf ewig dieser absurden Aufgabe hinzugeben." In Zeiten des Internets, der Cloud, Berechnungen des Kalorienverbrauchs wäre sein absurdes Heldentum, in dem Camus noch eine Form der Freiheit erkennen konnte, einfach unmöglich.

Wiedersehen bei der Beerdigung

Das ist eine der Zeitdiagnosen, die der brasilianische Autor Daniel Galera in seinem neuesten Roman stellt. Es ist die Geschichte von Helden des frühen Internetzeitalters, einer Gruppe in Porto Alegre, die am Ende des letzten Jahrtausends subversive Texte, Manifeste und Links unter dem Namen "Orangotango" per E-Mail verschickte und auch mal selbstgedrehte bizarre Porno-Filme online stellte.
Ihr Vordenker, genannt Duke, ist 15 Jahre später ein berühmter Schriftsteller – und wird eines Nachts auf der Straße ermordet: Raubmord heißt es, sein Handy ist weg. Zu seiner Beerdigung sehen sich die drei anderen der Gruppe, die längst den Kontakt zueinander verloren hatten, endlich wieder: der schwule Journalist Emiliano, die depressive Biologin Aurora und Antero, Chef einer Werbeagentur.
An ihrem Beispiel erzählt Galera die Geschichte seiner Generation – er ist Jahrgang 1979 – aus drei exemplarischen Perspektiven. Es ist die Zeit der Massenproteste vom Juni 2013 in Brasilien. Aurora beobachtet voller Zukunftsangst die Gewalt und die Armut in den Straßen, fürchtet den Klimawandel und um die eigene berufliche Zukunft. Der zynische Antero beobachtet die Demonstranten zunächst unter dem Gesichtspunkt der Marktforschung, wird dann aber selbst von der Zerstörungswut angezogen. Und Emiliano, der an seiner einsamen Wut verzweifelt, beginnt eine Biografie des Duke zu schreiben, der seine vielleicht einzige und unerwiderte Liebe war.

Alltag und Essayismus

Galera erzählt detailliert vom Alltag seiner Protagonisten und verknüpft diesen mit essayistischen Texten, die er ihnen zuschreibt: So lässt er Antero über den digitalen Sadismus referieren und Aurora über Sisyphos. Der Autor gibt dem Werbefachmann eine Ehekrise und genaue Onanievorlagen mit und erfüllt der Biologin einen Kindheitstraum – aber das Ganze will sich nicht zu einem Roman runden. Es wirkt wie aus verschiedenen traditionellen literarischen Elementen zusammengeklebt und man fragt sich als Leserin: Wollte der Autor die Fragmentierung der digitalen Welt in einen Roman überführen?
Dafür ist der Text nicht mutig genug, er sprengt keine vertrauten Muster, sondern bleibt unentschlossen innerhalb der Grenzen eines klassischen Generationenromans: Als wir jung waren, war alles voller Zukunft und jetzt sind wir leider erwachsen. Nichts Neues, wenn auch viel Kluges. Sisyphos lässt grüßen.

Daniel Galera: "So enden wir"
Übersetzt aus dem Portugiesischen von Nicolai von Schweder-Schreiner
Suhrkamp-Verlag, Berlin 2018
231 Seiten, 22 Euro

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