Navid Kermani

Vermittler zwischen Orient und Okzident

Der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani, steht nach der Verleihung des Kleist-Preises am 18.11.2012 in Berlin im Berliner Ensemble.
Der Schriftsteller Navid Kermani © picture alliance / dpa / Marc Tirl
Von Christiane Habermalz · 18.06.2015
Navid Kermani wird mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet - weil er eine der wichtigsten Stimmen in Deutschland sei, so die Begründung. Als Einwandererkind ist er in zwei Kulturen zu Hause, zwischen denen er stets vermittelt - ohne sich vereinnahmen zu lassen.
Navid Kermani ist zweifelsohne einer der vielseitigsten Intellektuellen Deutschlands. Islamwissenschaftler und Romanautor, Journalist und Wissenschaftler, Theaterautor und Essayist: Der 1967 in Siegen als Kind iranischer Eltern geborene Kermani hat nicht nur eine akademische Bilderbuchkarriere hinter sich, er tummelt sich auch auf unzähligen Gebieten der Kultur. Vor allem aber ist er, der als Einwandererkind in zwei Kulturen zuhause ist, ein unermüdlicher Vermittler zwischen Orient und Okzident. Dabei ließ er sich nie vereinnahmen, forderte islamische Fundamentalisten ebenso heraus wie die vermeintliche Toleranz der christlichen Wohlstandsgesellschaft. Unermüdlich saß er auf Podien, um Stellung zu beziehen in der deutschen Islam- und Integrationsdebatte - bis er, wie er sagte, es leid gewesen sei, zu versuchen, auf falsche Fragen richtige Antworten zu geben. Er begann zu reisen, in islamische Krisenländer, schrieb Reportagen über Algerien, den Irak, den Arabischen Frühling, das Flüchtlingselend in Lampedusa.

"Wenn man einmal das gesehen hat, was die Menschen alles tun, um nach Europa zu gelangen, wenn man ihre Geschichten hört, wenn man diesen EU-Diskurs, der sich ja wirklich wie Orwell ließt, diesen Humanitäts-Diskurs, der faktisch barbarisch ist, dann kommt man immer weiter. Das ist wirklich so ein Thema, das einen nicht mehr loslässt."
Liebeserklärung an das Grundgesetz
Gleichzeitig bekennt er sich immer wieder zur deutschen Heimat und dem Rechtsstaat, der ihm und seiner Familie Zuflucht geboten hatte - mit einer Toleranz, welche im Iran, dessen Bürger er auch ist, undenkbar wäre. Dem ersten Satz des Grundgesetzes, "Die Würde des Menschen ist unantastbar", machte er als Gastredner im Deutschen Bundestag anlässlich der 50-Jahrfeier des Grundgesetzes eine zärtliche Liebeserklärung:"Sprachlich ist das, man mag es nicht als brillant bezeichnen, weil man damit einen eminent normativen Text ästhetisierte: Es ist vollkommen, nichts anderes."

Oft ist der gläubige Moslem als muslimischer Schriftsteller missverstanden worden. Am eklatantesten fiel das Fehlurteil über ihn aus, als ihm im Jahr 2009 der Hessische Kulturpreis, der in diesem Jahr für interreligiöse Toleranz verliehen wurde, erst zu- und dann wieder aberkannt werden sollte. Die Mitpreisträger, der Mainzer Kardinal Karl Lehmann und der ehemalige Kirchenpräsident von Hessen-Nassau, Peter Steinacker, hatten Anstoß genommen an einem poetischen Text Kermanis zur Kreuzestheologie, in dem sie einen "Angriff auf das Herz des Christentums" sahen. Ein Eklat. Am Ende bekam er den Preis doch - um das Preisgeld von 50.000 Euro an die kleine katholische St.-Theodor-Gemeinde in Köln zu spenden, weil man dort als Reaktion auf die Attacken gegen den geplanten Moscheebau in Köln eine Kirchenkollekte für deren Bau gespendet hatte. Er hasse einfache Parolen, nach dem Motto "Der Islam ist, der Islam ist nicht", sagte er einmal. "Ich muss auf der Differenziertheit, der Ambivalenz und den Widersprüchen beharren."
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