Dalit-Studenten in Indien

Die Kaste ist wichtiger als die Noten

Maya Bhansode in ihrem Wohnheim am Tata Institute of Social Sciences in Mumbai
Maya Bhansode in ihrem Wohnheim am Tata Institute of Social Sciences in Mumbai © Foto: Nicole Graaf
Von Nicole Graaf  · 14.09.2016
In Indien dominiert auch rund 70 Jahre nach Gründung der Republik das Kastendenken weite Teile des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Ganz unten in dieser Hierarchie stehen die Dalit, einst die Unberührbaren.
Maya Bhansode fühlt sich wohl auf dem üppig grünen Campus ihrer Universität. Sie steht vor dem Seminargebäude und schwatzt mit einem Kommilitonen. Die fröhliche 28-Jährige studiert Sozialwissenschaften am Tata Institut in Mumbai, mit dem Schwerpunkt "Soziale Arbeit". Die private Hochschule gilt als sehr fortschrittlich und gehört zu den ersten Adressen bei der Erforschung gesellschaftlicher Phänomene. Maya trägt eine schlichte schwarze Tunika mit Stickerei am Kragen und eine weiße Pluderhose. Sie stammt aus einem Dorf im zentralindischen Bundesstaat Maharashtra und gehört zu den Mahar, einer Unterkaste der Dalit. Ihre Eltern sind arm und arbeiten als Tagelöhner auf den Feldern reicher Landbesitzer. Schon als Kind hat Maya das Kastendenken in ihrem Dorf zu spüren bekommen:
"Einmal wartete ich auf eine Klassenkameradin vor ihrem Haus. Neben mir stand eine Tulsi-Pflanze, die in Indien als heilig gilt. Mein Schatten fiel auf sie und die Mutter meiner Freundin wurde sehr böse. Sie schrie mich an, dass ich keine Manieren habe und gefälligst nicht dort stehen soll. Viele meiner Klassenkameraden erlaubten mir auch nicht, ihr Haus zu betreten, und manche haben mir immer Tee in einer speziellen Tasse gegeben, die sie für die Niedrigkastigen aufbewahrten."
Und auch einige von Mayas Lehrern beteiligten sich ohne Skrupel an der traditionellen Kastendiskriminierung:
"Eine Klassenkameradin beleidigte mich: Oh, du bist eine Mahar, ihr seid so dreckig. Ich wurde wütend und sagte das Gleiche zu ihr. Daraufhin ging sie zur Lehrerin, die aus ihrer Kaste stammte und petzte. Ohne mich zu fragen, was passiert war, nahm die Lehrerin einen großen Stock. Sie schlug mich und schrie: Wie kannst du es wagen? Du hast kein Benehmen, du bist genau wie deine Eltern. Dann gab es eine Sportlehrerin, sie ließ bei den Teamsportarten immer nur Mädchen aus den höheren Kasten mitspielen. Wir Dalit-Schülerinnen durften nur zusehen. Damals war mir nicht bewusst, dass sie uns aufgrund unserer Kaste ausschloss, aber im Nachhinein, als ich mich an der Uni mit dem Thema beschäftigte, wurde mir das klar."
Später im Studium erlebte sie solch krasse Fälle von Diskriminierung nicht mehr. An den Universitäten funktioniert sie subtiler. Beispielsweise kann die Zuteilung eines Betreuers für eine Master- oder Doktorarbeit hinausgezögert werden, so dass ein Student mit seiner Forschung nicht vorankommt. Oder ein Betreuer kann erst so spät Feedback zu einer abgegebenen Arbeit geben, dass eine Studentin im folgenden Semester für Seminare und Prüfungen hinterherhinkt. Maya Bhansode studierte zunächst in Pune, rund vier Stunden von Mumbai entfernt.
"Bei uns gab es Lehrer, die den Studenten der niedrigen Kasten immer schlechte Noten gaben."
Maya Bhansode hatte es über eine Quotenregelung an die Universität geschafft. Sie wurde ursprünglich eingeführt, um den Dalit und anderen benachteiligten Gruppen zu besserer Bildung zu verhelfen und reserviert eine Anzahl von Plätzen für sie. Aber dies geht nun zum Teil nach hinten los. Denn jeder weiß, wer über eine solche Quote an die Universität gelangt ist. Das führt zu Missgunst auf Seiten mancher Studenten und auch Lehrer höherer Kasten. Sie wollen ihre angestammten gesellschaftlichen Privilegien nicht aufgeben, erklärt Shaileshkumar Darokar, einer der Professoren an Mayas Universität. Er forscht zum Thema Kastendiskriminierung und ist auch ein Dalit:
"Wenn jemand mit dir im Wettbewerb steht, dann denkst du vielleicht: "Sein Platz ist der einer Putzkraft, warum strebt er höhere Bildung an? Will er etwa Manager werden? Ich komme aus einer Familie von Managern, sein Vater ist ein Bauer, ein Dienstbote."
Viele Dalit-Studenten stammen zudem aus armen Familien und können nur mithilfe eines Stipendiums studieren. Sie müssen deshalb besonders hart arbeiten und gute Noten schreiben. Der Druck ist oft immens. Kommt dann noch Benachteiligung durch die Professoren dazu, baut sich Frustration auf. Immer wieder führt das zum Selbstmord. Der Fall von Rohit Vemula ist da nur einer von Vielen.
An der Universität von Hyderabad, einer IT-Metropole in Südindien, nahmen sich in den letzten zehn Jahren neun Studenten das Leben. Acht von ihnen waren Dalit. Die Universität gilt als eine der Besten des Landes. Auf einem kleinen Platz nicht weit vom Haupttor sitzen Studenten unter Bäumen und unterhalten sich. Sie trinken Tee und essen Frittiertes von den Imbissläden, die den Platz einrahmen. In seiner Mitte ist mit Pappplakaten eine Bude aufgebaut. Sie zeigen Bilder von indischen Philosophen. Daneben steht eine Büste aus Messing. Ein junger Mann mit Lockenkopf und heiterem Gesichtsausdruck. Rohit Vemula. Der 26-jährige Doktorand der Naturwissenschaften hat im Januar Selbstmord begangen. Zuvor waren er und vier andere Studenten zunächst vom Studium ausgeschlossen und dann aus ihren Wohnheimen verwiesen worden waren. Dontha Prashanth ist einer von ihnen. Von außen wirkt der große 27-Jährige mit Bart und in traditioneller Tunika gekleidet ruhig und gutmütig. Doch er ist wütend.
"Wir schreiben das Jahr 2016 und wir wurden gesellschaftlich boykottiert, weil wir unsere Stimme erhoben haben."

Forderung nach Harmonie und Brüderlichkeit

Prashanth ist Präsident der Ambedkar Student Association. Der Studentenverein existiert in fast allen großen Universitäten des Landes und kümmert sich vor allem um die Studenten aus der Gemeinschaft der Dalit. Vor der Unabhängigkeit Indiens 1947 hießen sie Unberührbare und standen am untersten Ende der sozialen Hierarchie. Sie hatten keinerlei Rechte und mussten den höheren Kasten dienen und Respekt zollen. Bhimrao Ramji Ambedkar, einer der Väter der Unabhängigkeit, bestärkte die Dalit, für ihre Rechte in diesem neuen Indien zu kämpfen. Die Mitglieder der Ambedkar Studentenorganisation folgen seiner Philosophie. Prashanth ist ein glühender Anhänger Ambedkars und redet wie ein Politiker.
"Dr. Ambedkar konstatierte, dass Indien noch keine Nation ist, denn die wichtigsten Faktoren dafür sind Harmonie und Brüderlichkeit, welche in dieser Gesellschaft nicht existieren. Die Kasten stehen der Idee einer Nation entgegen, denn jede von ihnen kümmert sich nur um ihre eigenen Mitglieder."
Dontha Prashanth und seine Mitstreiter haben auch Diskriminierung aufgrund ihrer Kaste erlebt. Und sie glauben, auch in diesem Fall habe die Universitätsleitung sie nur so behandelt, weil sie zu den Dalit gehören. Der Konflikt begann als Schlagabtausch zwischen zwei verfeindeten Studentengruppen: der Ambedkar Student Association, zu der auch Rohit Vemula gehörte; auf der anderen Seite stand die AVBP, eine hindunationalistische Gruppe, die der derzeitigen Regierungspartei nahe steht. Sie verfolgt eine Rückbesinnung zu altherbrachten hinduistischen Werten, zu denen auch das Kastensystem gehört. Ihre Mitglieder rekrutieren sich hauptsächlich aus Studenten der höheren Kasten. Am Ende ging es vor allem darum, ob die Ambedkari - unter ihnen Rohit Vemula und auch Dontha Prashanth - , den Präsidenten der AVBP bedroht und geschlagen haben oder nicht. Der Rektor der Universität sprach gegen beide Kontrahenten nur eine Verwarnung aus. Vielleicht wäre es bei einem universitätsinternen Konflikt geblieben, aber dann ergriffen zwei Minister die Seite der AVBP und machten Druck auf die Universität. Der inzwischen neue Rektor, verwies die fünf Ambedkaris aus ihrem Wohnheim. Er stammt aus der gleichen Kaste wie der AVBP-Präsident, erzählt Prasanth.
"Am 1. Januar waren unsere Zimmer plötzlich verriegelt. Wir wussten nicht, was wir tun sollen. Wir wollten niemanden anbetteln uns ein Zimmer zu geben. Und mit meinem Stipendium von 8000 Rupien – das sind etwa 100 Euro – kann ich mir auch kein Zimmer in der Stadt leisten."
Zwei Wochen lang kampierten sie unter der Bude aus Pappschildern. Sie stehen deshalb immer noch als Mahnmal auf dem Campus. Und sie protestierten gegen ihren Verweis, inzwischen unterstützt von tausenden Studenten in ganz Indien. Am 17. Januar nahm Rohit Vemula sich das Leben. Sein Tod schlug Wellen im ganzen Land und führte zu Studentenprotesten an zahlreichen weiteren Universitäten. Organisationen von Dalit, und andere Unterstützer werfen dem Rektor und den beteiligten Politikern vor, aufgrund ihrer Kastenzugehörigkeit so hart gegen die Studenten vorgegangen zu sein. Und sie werfen ihnen vor, Vemula damit in den Selbstmord getrieben zu haben. Wegen seiner politischen Aktivitäten hatte die Universität von Hyderabad bereits im Juli 2015 sein Stipendium auf Eis gelegt. Das und der Verweis aus dem Wohnheim bedeuteten für ihn das Ende seiner akademischen Karriere. Ein Zimmer in der Stadt konnte er sich schlicht nicht leisten.
Professor Shaileshkumar Darokar vom Tata Institut in Mumbai sitzt in seinem Büro im vierten Stock und blickt über den Campus, während am Horizont die Hochhäuser Mumbais in der Hitze flimmern. Der 45-Jährige erforscht die soziale Ausgrenzung der Dalit in der indischen Gesellschaft:
"Es handelt sich um 200-250 Millionen Menschen, die auf verschiedene Arten ausgeschlossen und diskriminiert werden. Es gibt Gegenden, wo sie ins Restaurant ihren eigenen Teller mitbringen müssen, wo der Bräutigam bei der Hochzeit nicht auf einem Pferd reiten darf, wo sie nicht Fahrrad fahren dürfen. Das ist so alltäglich, dass es niemand als Problem empfindet. Die Idee dahinter ist, dass jeder sich gemäß seiner Position in der sozialen Hierarchie verhalten muss, um das Gleichgewicht in der Gesellschaft zu bewahren. In manchen Dörfern wird es sogar als normal angesehen, einen Dalit zu schlagen, wenn er sich nicht an solche gesellschaftlichen Regeln hält. Niemand findet das kriminell. Man denkt: "Natürlich muss das so sein, um die gesellschaftliche Balance zu bewahren!"
Rekha Aage und ihr Mann Raju Namdev Aage mit ihrem einjährigen Sohn. Er ist nach seinem ermodeten Bruder benannt: Nitin
Rekha Aage und ihr Mann Raju Namdev Aage mit ihrem einjährigen Sohn. Er ist nach seinem ermodeten Bruder benannt: Nitin© Nicole Graaf
Diskriminierung ist eine Sache. Immer wieder kommt es jedoch auch zu handfester Gewalt gegen Dalit, wie kürzlich im westlichen Bundesstaat Gujarat, wo vier Männer hinter einem Auto hergeschleift wurden, weil sie angeblich eine Kuh getötet hatten. Die Männer gehörten zu einer Gemeinschaft von Dalit, die sich traditionell um die Entsorgung toter Tiere kümmern. Die Kuh war eines natürlichen Todes gestorben, aber die selbst ernannten "Kuhschützer" glaubten an ein Sakrileg gegen das heilige Tier der hochkastigen Hindus. Der Vorfall führte zu massiven Protesten von Dalit im ganzen Land. Sie dauern immer noch an. Taten wie diese geschehen fast immer in ländlichen Gegenden, wo die Menschen immer noch stark in Traditionen verhaftet sind. Typischerweise geht es um Fälle, in denen ein Dalit aus dem ihm zugesprochenen Platz in der Gesellschaft ausbricht, beispielsweise, indem er sich mehr Reichtum und Bildung erwirbt als die Höherkastigen. Oder es geht um Liebesbeziehungen zwischen den Kasten, die nach dem traditionellen Hierarchiedenken verboten sind.

Leben in der Wellblechhütte

Dabei kommt es nicht selten zu grausamen Morden, wie im Fall des 17-jährigen Nitin Aage. Das Dorf, in dem er lebte, liegt rund 30 Kilometer von Ahmednagar entfernt, einer staubigen Kleinstadt im zentralen Bundesstaat Maharasthra. Seine Eltern wohnen in einer Wellblechhütte am Rand des Dorfes. Im Inneren findet sich nur Platz für ein schmales Bett und ein paar Regalbretter für Haushaltsutensilien und Kleidung. Über dem Bett hängt ein gerahmtes Porträt von Nitin. Die Familie ist arm, das Geld das Raju Namdev Aage und seine Frau Rekha im nahegelegen Steinbruch und auf den Feldern der Grundbesitzer verdienen, reicht kaum für zwei Mahlzeiten am Tag. Gekocht wird draußen vor der Hütte auf einer offenen Feuerstelle. Das Dorf wird dominiert von Mitgliedern der hochgestellten Maratha-Kaste, reiche Landbesitzer und Geschäftsleute. Bis zu dem Mord gab es jedoch keine Probleme, sagt Nitin Aages Vater:
"Nitin arbeitete neben der Schule in einer Werkstatt. Er reparierte dort die Motorräder der Maratha-Jungs. Einige von ihnen waren in seiner Klasse. So freundeten sie sich an, sie aßen zusammen und sie behandelten ihn wie Ihresgleichen."
Nitins Schulfreund Akash Surve hatte eine Freundin, eine Maratha, wie er. Nitin spielte den Mittler und überbrachte Briefe zwischen den beiden. Doch dann schien das Mädchen an Nitin Gefallen zu finden, erzählt dessen Mutter:
"Er kam zu mir und sagte: "Mama, dieses Mädchen hat nach meiner Handynummer gefragt. Sie stellt mir nach. Bitte sprich mit ihrer Mutter und sag, dass sie mich in Ruhe lassen soll."
"Für ihn war nur die Schule wichtig, er wollte studieren und Polizist werden oder zur Armee. Er sah, wie wir uns abmühten und er sagte, er werde für uns sorgen."
Rekha Aage sprach mit der Mutter. Doch dann machte das Gerücht die Runde, der Dalit Nitin Aage habe etwas mit diesem Mädchen aus der Maratha-Kaste angefangen. Sein Vater erzählt:
"Akash Surve und zwei drei andere tachelten ihre älteren Familienmitglieder mit diesem Gerücht auf. Es schien alles geplant zu sein: als Nitin zur Schule kam, warteten sie bereits auf ihn. Später riefen sie per Handy noch weitere Leute dazu. Sie nahmen den Hammer, mit dem die Schulglocke geläutet wird und schlugen ihn damit. Sie zerrten ihn aus der Klasse hinter die Schule. Sie betranken sich und schlugen ihn, 12, 13 Leute. Um halb acht holten sie ihn aus der Schule und um 12 hatten sie ihn totgeschlagen."
Nur die älteren Männer, die sich an dem Mord beteiligt hatten, kamen ins Gefängnis. Der Haupttäter Akash Surve und weitere Klassenkameraden sind immer noch auf freiem Fuss. Seine Familie hat Akash Surve jedoch nach Pune geschickt, außer Sichtweite. Ein anderer Junge lebt unbehelligt weiter im Dorf. Nitin Aages Vater glaubt, all das sei nur passiert, weil er sich als mittelloser Dalit nicht wehren könne.
"Nitin war intelligent. Die Marathas waren eifersüchtig auf ihn. Deshalb haben sie ihn umgebracht. Sie haben den Sohn eines armen Mannes getötet, um ihre Macht zu demonstrieren und den anderen Dorfbewohnern Angst einzuflößen."
Eigentlich kennt das indische Strafgesetzbuch spezielle Gesetze für solche Verbrechen. Gewalttaten begangen von einem Höherkastigen an einem Dalit werden nach indischen Strafgesetzbuch unter einem speziellen Paragraphen verfolgt, dem Gesetz zur Vermeidung von Grausamkeiten gegen Dalit und Mitglieder der Stammesvölker. Es wurde 1989 eingeführt, um Dalit und Mitglieder der indigenen Adivasi vor Gewalt und Diskriminierung aufgrund ihrer Kastenzugehörigkeit zu schützen. Auch die Ambedkari Studenten in Hyderabad haben ihren Rektor nach diesem Paragraphen angezeigt, die offiziellen Untersuchungen laufen noch. Die Strafen fallen hoch aus. Auch haben die Opfer Anrecht auf einen außerordentlichen Ermittler, sowie auf eine spezielle Entschädigung.
Aber das Gesetz werde zu wenig angewandt, sagt Sujit Nikalje. Er schreibt seine Doktorarbeit über Gewalttaten gegen die Dalit. Der schmale, etwas schüchtern wirkende 33-Jährige studiert ebenfalls am Tata Institut für Sozialwissenschaften in Mumbai. Nikalje hat auch einen Abschluss in Jura und hilft ehrenamtlich Opfern solcher Gewalttaten zu ihrem Recht zu kommen. Was er dabei erlebt, beschreibt er als frustrierend.
"Ich habe schon oft gesehen, dass die Behörden nicht richtig gegen die Täter vorgehen. Der Grund dafür ist, dass dort auch Leute aus den höheren Kasten sitzen. Sie wollen einen Fall nicht unter dem Gesetz gegen Grausamkeiten behandeln, wenn es gegen ihre eigene Kaste geht. Oft sagen sie den Opfern: "Ihr müsst im gleichen Dorf miteinander leben. Warum willst du ihn nach dem Gesetz gegen Grausamkeiten anzeigen? Wenn du das machst, nimmt er vielleicht Rache und was machst du dann?" So schüchtern sie die Opfer ein. Und dann wird ein Fall, bei dem jemand brutal angegriffen wurde, eben nur als Beleidigung registriert. In meinem Heimatdistrikt wurde in den 15 Jahren zwischen 2000 und 2015 nur ein einziger Täter nach dem Grausamkeitsgesetz verurteilt, und das auch nur, weil der Kläger ein Anwalt war."
Eine Siedlung von Dalit in Mumbai; selbst in Großstädten existieren noch solch separate Siedlungen.
Eine Siedlung von Dalit in Mumbai; selbst in Großstädten existieren noch solch separate Siedlungen.© Foto: Nicole Graaf
In Indien ist derzeit die rechtskonservative BJP an der Macht. Sie verfolgt eine Rückbesinnung auf traditionelle hinduistische Werte. Kritiker werfen ihr vor, damit das Kastendenken zu bestärken, auch wenn Premierminister Narendra Modi stets betont, dass alle Kasten gleichwertig sind und niemand diskriminiert werden dürfe. Ob er das ehrlich meint, oder dabei nur das Wahlvolk im Blick hat, sei schwer zu sagen, meint Sujit Nikalje
"Die Dalit machen 16 Prozent der Bevölkerung aus. Und vor allem in den städtischen Gebieten, stellen sie einen großen Teil der Wählerschaft. In der Zeit als die Kongresspartei regierte, gab es allerdings noch viel mehr Fälle von Grausamkeiten gegen Dalit. Die BJP versucht jetzt zu zeigen, dass sie nicht unsere Feinde sind."
Nach dem Selbstmord von Rohit Vemula hat Premier Modi immerhin die Bildungsministerin auf einen anderen Posten versetzt. Sie hatte sich in den Konflikt an der Universität von Hyderabad eingemischt und gegen Vemula und seine Freunde Partei ergriffen. Allerdings war sie vorher bereits umstritten. Und jetzt während der Proteste in Gujarat, bezeichnete Modi die beteiligten "Kuhschützer" als asoziale Elemente. Doch die größte Herausforderung ist die Gesellschaft selbst. Bis das Kastendenken aus dem täglichen Leben Indiens verschwunden ist, dürfte es noch sehr lange dauern.
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