Dahin gehen, wo es weh tut

05.06.2008
Seit fast fünf Jahren Jahren besucht das Theaterprojekt "X-Wohnungen" des Theatermachers Matthias Lilienthal die sozialen Räume der Stadt - nicht nur in Berlin. Lilienthal, Chef des Theaters Hebbel am Ufer, hatte die "Kunstkacke" des normalen Theaters satt. Zur Premiere des Realo-Theaterprojekts "X-Wohnung Neukölln" spricht er über die Mischung aus Intimität und Distanz.
Er hat im HAU gleich drei Bühnen, aber er will die Fesseln des offiziellen Theaters loswerden. Und so schickt er seine Zuschauer raus in die echten Wohnungen der echten Menschen in echten sozialen Brennpunkten, da, "findet man da ein türkisches Paar mit 30 vor und die haben drei Sofas von Ligne Roset und leben einen über-assimilierten deutschen Lifestyle".

Seine Regietruppe inszeniert die Orte und die Form, doch die Zuschauer, die die "Stücke" sehen, sehen zehn Minuten lang das wahre Leben. Gina Neuwald zum Beispiel aus Neukölln, die zur Rap-Musik ihres Sohnes turnt, über den verfrühten Tod ihres Nachbarn erzählt. Oder Kalle, der neben einem Sarg sitzt, Jimi Hendrix spielt und sich dadurch ein besseres Leben geschaffen hat an dem Ort, wo einst ein Sarg-Discounter sein tödliches Geschäft betrieb.

"Dort, wo man normalerweise keine Zeit hat und nicht hingucken würde, da guckt man auf einmal hin", sagt Lilienthal. "Mich interessiert, was passiert wenn etwa bürgerliche Menschen mal auf die Tour durch diesen Bezirk geschickt werden. Und plötzlich entdeckt man ja auch, ob man selber asozial ist".

Neben dem sozio-philosophischen Ansatz sieht Lilienthal diese Form des Theaters auch durchaus als gewollte Härteprüfung des verwöhnten, verweichlichten Theatergängers an. "Da wurden in Lichtenberg manchmal die Zuschauer eingemauert und konnten dann eigentlich nur durchs Fenster entkommen, (...) und mit diesen Grenzen versuchen wir dann systematisch zu spielen".

Das ganze Gespräch mit Matthias Lilienthal können Sie bis zum 05. November 2008 abrufen als MP3-Audio
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