Dänische Minderheit in Schleswig

Grenzenlose Identität

Zwei Kinder Arm in Arm auf einem Volksfest der dänischen Minderheit in Südschleswig, eins mit einer dänischen Flagge, eins mit einer deutschen auf die Wange geschminkt
Wie wichtig nationale Identität ist, ist jedem selbst überlassen - zwei Kinder bei einem Volksfest der dänischen Minderheit © Riediger/nordpool / imago
Von Hans-Otto Reintsch · 26.05.2019
Deutsche Dänen, Deutsch-Dänen, Grenzdänen - vielen in der Grenzregion fallen einengende Zuschreibungen eher lästig. Man ist, was man ist, meist irgendwie beides. Die amtliche Erfassung einer Zugehörigkeit ist verboten.
Andreas Nielsen ist 64, Minderheit und Milchbauer. 60 Kühe, bunt gescheckte Shorthorn.
70 Hektar Acker- und Weideland. Familienbetrieb in vierter Generation. Hier geboren, zur Schule gegangen, den Hof übernommen und die Tochter vom Nachbarn geheiratet. Und schon immer Däne.
"Ich fühle mich eigentlich gut als dänische Minderheit. Hier mein Schwager, der sagte, weißt du was, die wollen ja jetzt Schleswig-Holstein mit haben zu Dänemark. Manchmal ist da so ein Politiker, der findet, das soll jetzt mal wieder neu abgestimmt werden. Und DENN, sagt er, da bist du ja auf jeden Fall zu Hause!! – Nee, sage ich. Dann ziehe ich nach Niedersachsen. Ich will die dänische Minderheit sein! Ich will nicht in Dänemark wohnen, irgendwie bin ich hier, weiß ich nicht, was Besonderes so. Und das ist dann eben mein Gefühl. Aber im Großen und Ganzen haben wir doch die Tür auf nach Dänemark."

Da drüben der Holzstapel, das ist schon Dänemark

Nielsens Hof liegt an der Grenzstraße. Kreis Nordfriesland, Dorf Westre. 40 Meter Wohnhaus, Scheune, Stall. Alles unter einem Dach. Uralte Schrift an der Fassade: Christians Glück. Christian? Der Großvater. Nein, stopp, der Urgroßvater. Des Urenkels Felder auf der anderen Straßenseite grenzen an das Königreich. Da drüben der Holzstapel? Siehst du, sagt Andreas, das ist schon Dänemark. Da hatte ich auch mal Flächen.
Landwirt Andreas Nielsen in seiner Küche
"Ich will nicht in Dänemark wohnen, ich will die dänische Minderheit sein", sagt der Grenzdäne Andreas. Seine Frau Andrea ist Grenzdeutsche. Aber eigentlich spielen solche Schubladen für die beiden keine Rolle.© Hans-Otto Reintsch / Deutschlandradio
Kaum redet er mal, schon liegen die großen Themen auf dem Tisch. Die Minderheit. Die Grenze, die immer mal irgendeiner zur Diskussion stellt, am Stammtisch oder in Kopenhagen. Und die ganz große Sache 1920. Da wurde die Grenze, über die er täglich rüber- und nübermacht, festgelegt. Per Volksentscheid. Also nicht von oben oder durch Soldaten oder die Nationalen oder was weiß ich. Per Volksentscheid. Kurz nach dem Ersten Weltkrieg.
Der amerikanische Präsident Wilson hatte noch während des Krieges die Selbstbestimmung der Völker gefordert. So stand sie dann im Versailler Vertrag. Der Volksentscheid zog nach 56 Jahren Preußenherrschaft die heutige Grenze durch das mehrsprachige Schleswig und machte die nördlichen Schleswiger wieder zu Dänen. Für die Grenzdänen das wichtigste Ereignis des Jahrhunderts.

Andreas und Andrea: Grenzdäne und Grenzdeutsche

Das Deutsche und das Dänische ist hier schwer zu definieren. Weil es durch alle Felder und Dörfer, alle Familien und Herzen, durch die Geschichte und Gegenwärtigkeit verläuft. Andreas ist Däne, seine Frau Deutsche. Nein. Andreas und Andrea - Grenzdäne und Grenzdeutsche. Oder? Das deutsch-dänische Enkelkind muss los.
"Jede Familie war eigentlich ziemlich deutsch. Und mein Opa und ihr Vater, das waren die besten Freunde! Und Andreas' Eltern, die sprachen ja immer dänisch miteinander! Obwohl sie so deutsch waren! Sprachen deutsch mit die Kinder, aber dänisch miteinander. Früher sprachen hier alle dänisch, nä? Man sprach deutsch und war eigentlich dänisch. Das ist ja sowieso, äh, langsam weggewischt worden! Wenn du jetzt meine Frau nimmst. Das war früher ganz unnormal, dass du hier ganz so zu den Grunddänen, oder Minderheit, und sie kommt aus einer sehr deutschen Familie."

Grenzverkehr und Bekenntnisfreiheit

Wieso redet hier keiner von Integration? Von Leitkultur? Die Antwort hat etwas mit Politik zu tun.
"1955 haben Konrad Adenauer und der dänische Regierungschef eine Vereinbarung getroffen. Die sogenannten Bonn-Kopenhagener Erklärungen, und darin legt man fest, dass die Behörden nicht überprüfen dürfen, ob jemand der dänischen Minderheit oder der deutschen angehört oder nicht."
Andreas Nielsens Kühe
Dänisch oder deutsch - was würden Andreas Nielsens Kühe wohl dazu sagen, wenn sie könnten?© Hans-Otto Reintsch / Deutschlandradio
Die Bonn-Kopenhagener Erklärung: Minderheiten sind ab sofort auf beiden Seiten der Grenze gleichberechtigt, dürfen ungehindert schulen, Examen werden gegenseitig anerkannt. Und: Jeder kann sich zur Minderheit bekennen. Hört sich banal an, ist es aber nicht. Im Gegenteil. Nationale Zugehörigkeit wird zur Nebensache. Immer mehr deutsche Eltern schicken heute ihre Kinder zu den Dänen. Die sind irgendwie lockerer. Legen mehr Wert auf das Miteinander. So hört man es an jeder deutschen Ecke.

Jeder kann sagen, was er ist, und ist es dann eben

Lars Erik Bethge, der Kommunikationschef der Minderheit. Er erinnert an den historischen Quantensprung in der deutschen Minderheitenpolitik: dem freien Bekenntnis.
"Dass jeder Einzelne frei sagen kann, ich bin jetzt Däne, und dann bin ich das auch. Und alle akzeptieren das. Der Staat akzeptiert es, die Umgebung akzeptiert es und empfindet es als Bereicherung. Am Ende läuft das Modell darauf hinaus, dass die Minderheiten integriert werden, aber nicht assimiliert werden. Und das ist, glaube ich, das Wesentliche. Das Endziel ist nicht, dass alle gleich sind. Sondern man akzeptiert, dass man gegenseitig verschieden ist, man akzeptiert, dass es eine Bereicherung ist, dass man unterschiedlich ist. Und man liebt sich dafür gegenseitig. Ich denke aber, das ist nicht zuletzt eine Lehre aus dem Dritten Reich. Dass man gesagt hat: Wir wollen jetzt keine Minderheiten mehr erfassen."

Müßig, über Zugehörigkeiten zu reden

Die Grenzdänen und die Grenzdeutschen. Allein die Wortzuschreibung scheint lästig zu werden. Spätestens bei der Generation Jahrtausendwende. Christopher Lohner ist 20 und in Flensburg aufgewachsen, macht ein freiwilliges Jahr im Jugendkulturverein der dänischen Minderheit. Die ewige Frage der Zugehörigkeit, der Identität ist grenzwertig geworden. Wenn das kein Fortschritt ist. Das Glück der friedlichen Koexistenz findet einfach statt. Völlig unbemerkt.
Christopher (r.) gehört wie Linn zur dänischen Minderheit - aber eine so große Rolle spielt das für ihn jetzt auch nicht
Christopher (r.) gehört wie Linn zur dänischen Minderheit - aber so wichtig ist das für ihn jetzt auch nicht© Hans-Otto Reintsch / Deutschlandradio
Christopher Lohner:
"Ja, kann man so sagen. Man ist halt dadurch so superflexibel. Dass man halt direkt an der Grenze wohnt und genau denselben Bezug zu Deutschland wie zu Dänemark hat. Im Grunde ist es ja ein bisschen so wie eine Grauzone. Aber das ist so Identitätskram und so was. Wie identifiziert man sich? Ich spreche dänisch, seit ich vier bin, also seit ich eigentlich mich so zurückerinnern kann. Und wenn ich hier in Flensburg bin, dann fühle ich mich irgendwie mehr dänisch als alle anderen. Aber wenn ich in Dänemark bin, dann fühle ich mich trotzdem einfach mehr deutsch. Weil ich ja von Grund auf ja eigentlich Deutscher bin. Meine Familie kommt komplett aus Deutschland. Ich habe mein Leben lang in Deutschland gewohnt. Aber es ist halt dieses Identitätsgefühl, dass ich in mir seit 16 Jahren dieses Dänische dann kenne und das so im Alltag eigentlich immer erlebe."
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