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Wagner-Inszenierung
Siegfried mit Tablet und Business-Anzug

Regisseur Uwe Eric Laufenberg versucht sich derzeit in Linz an Wagners "Siegfried". Es ist eine Zeitreise, auf die er das Publikum mitnimmt. Von der tiefen Vergangenheit bis in die Zukunft. Der Drachenkampf des Siegfried etwa findet quasi digital statt.

Von Jörn Florian Fuchs | 02.11.2014
    Kurz vor dem Ende des zweiten Aufzugs passiert es. Das Bruckner Orchester schweigt, die Sänger ebenso, nichts passiert. Eine Panne? Eine von Dirigent Dennis Russell Davies gezielt gesetzte Mega-Generalpause? Wir blicken ratlos nach oben, zu den Übertiteln. Dort steht: „Jetzt beginnt die Zukunft". Nun erst, nach zweidreiviertel Ring-Teilen wird uns klar, was Uwe Eric Laufenberg offenbar vorhat, eine Zeitreise. Sein Ring beginnt in tiefster Vergangenheit, hält kurz in der Gegenwart und düst stracks in künftige Gefilde weiter.
    Nun gut, die Zeit macht bei Laufenberg öfters mal Sprünge, außerdem scheinen sich Zeitschichten zu überlagern. Im dritten Aufzug des „Siegfried" holt selbiger die schlummernde Brünnhilde aus einer griechischen Statue raus, die es schon bei der „Walküre" gab, nur dass da nicht alles drum herum so apokalyptisch kaputt war. Und bevor, laut Übertitel, die Zukunft beginnt, hat Siegfried schon ein Gimmick der mindestens übernächsten Tablet-Generation zur Hand.
    "Ach, lassen wir es einfach"
    Es handelt sich um ein transparentes, grünes Ding, mit dem unser Held erst virtuelle Drachen erlegen muss, um danach den sich hinter Absperrzaun und goldenen Mauern verschanzenden Wirtschaftsboss Fafner killen zu können. Sofort eilen Passanten und Kamerateams herbei, interviewen ihn und den Waldvogel, der ein wahnsinnig hübsches Mädel ist, das – ehrlich wahr – herrlich und live Blockflöte spielt und mit Siegfried ein bisschen rummacht.
    Als er noch mit Ziehvater Mime in einer Favela wohnte und statt dem von Wagner vorgeschriebenen Bären einen grimmigen Gangster in Ledermontur nach Haus brachte, wirkte Siegfried nicht nur frisurtechnisch wie eine Mischung aus dem US-Internetfreak Jaron Lanier und dem deutschen Grünenpolitiker Toni Hofreiter. Nach erfolgreichem Drachenkampf trägt der Held nun einen gepflegten Business-Anzug und hat die Haare einigermaßen schön. Im dritten Aufzug wird er vor Brünnhilde librettogemäß erschrecken, obwohl er doch mit dem Vöglein irgendwie schon, ach, lassen wir es einfach.
    Regisseur Laufenberg packt eine Fülle von Ideen und Zeitfäden in seine Inszenierung, die bestenfalls angedacht, nie richtig miteinander verknüpft sind. Und es gibt eine Menge vorwiegend platter Videos mit kryptischen Zeichen, Wolkenkratzern, Wladimir Putin im roten Sportauto, malochenden Kumpeln in feurigen Zechen, Weltkriegsflimmern, Weltallreisen. Man erkennt schon den Versuch, Globalisierungskritik zu äußern und vor Natur- und anderen Katastrophen zu warnen, doch letztlich bleibt alles zu ungefähr und ungefährlich. Ganz abgesehen vom munteren Durcheinanderwirbeln der Zeit- und Erzählebenen.
    Problematisches Dirigat
    Ein weiteres Problem ist das Dirigat von Dennis Russell Davies. Gedehnt und behäbig klingt da vieles, vor allem die Streicher kommen immer wieder ins Trudeln, tönen oft porös. Nur beim Schlussakt gewinnen Davies und das Orchester an Fahrt und Farbigkeit, dafür tremoliert sich Elena Nebera unschön durch die Brünnhilden-Partie.
    Lars Cleveman stemmt die Titelrolle zwar konditionell gut, singt bisweilen jedoch ein völlig undeutliches Kauderwelsch mit Fantasiesilben. Dass einen der Abend immer wieder doch packt, liegt vor allem an Matthäus Schmidlechners vokal wendigem und sehr witzigen Mime sowie Bjørn Waags genialem Alberich. Waags Interpretation provoziert und rührt, die vokale Balance zwischen reinster Bösartigkeit und subkutanem, existentiellen Schmerz gelingt auf einzigartige Weise – das war schlicht Weltklasse!