Cybermobbing

Kinder vor Hass und Gewalt im Netz schützen

07:28 Minuten
Ein Junge spielt Computerspiele auf einem Handy
Abends sollte gelten: Smartphone aus dem Kinderzimmer! © picture alliance / Jochen Tack
Von Silke Hasselmann · 28.09.2020
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Per Smartphone teilen schon Grundschülerinnen und -Schüler Gewaltdarstellungen und Pornografie. Was können Mitschüler, Eltern und Lehrer dagegen tun, wie rechtlich dagegen vorgehen? Darüber informiert die Anwältin Gesa Stückmann.
Mittwochabend, kurz vor 19 Uhr in einer Rostocker Rechtsanwaltskanzlei. Gesa Stückmann trifft letzte Vorbereitungen für einen virtuellen Elternabend zum Thema "Cybermobbing in der Schule". Sie: vor der Webkamera. Am anderen Ende der Leitung: interessierte Eltern und Lehrer von der Fleesenseeschule in Malchow.
Gesa Stückmann ordnet letzte Bilder, die sie den Eltern gleich präsentieren möchte, und rechnet mit schockierten Reaktionen. Viele Eltern hätten ihrer Erfahrung nach einfach kaum einen Schimmer davon, was in den "sozialen Netzwerken" los sei und was auch ihre Sprösslinge da per Smartphone empfangen können, öffnen, angucken und oft auch noch weiterverteilen. Diese Fotomontage zum Beispiel: "Ja, da sitzt ein farbiger Junge in einer Erdkuhle, da drunter steht das Wort `Negatief! Das sind WhatsApp-Sticker, die die Schüler verbreiten."

Wenige Eltern wissen, was ihre Kinder im Netz sehen

Derzeit hoch im Kurs, so Gesa Stückmann: Hitler-Sticker. Zum Beispiel Adolf Hitler vor einem riesigen rauchenden Schornstein. Dazu der Spruch: "Umso größer der Jude, desto wärmer die Bude. Hitler und zwei SS-Männer: Ich grüße die WhatsApp-Gruppe! Das sind Sticker, die geteilt werden von Schülern bis runter in Klasse 5. Aber auch in der Oberstufe, klar."

"Seit wann ist das denn so?" – "Anderthalb Jahre. Anderthalb Jahre geht das schon, und ich habe ordnerweise auf meinem Rechner, weil ich das von Schulen aus ganz Deutschland geschickt bekomme. Und da sage ich den Schülern: Also, wenn jemand so was teilt, macht er sich im Grunde über die Opfer im Zweiten Weltkrieg lustig. Und wenn so etwas kommt, bitte sagt einfach: Wir wollen das hier nicht sehen. Denn die, die so etwas teilen, sind gar nicht so viele. Aber sie bekommen keinen Widerspruch. Und deswegen: Es ist strafbar. Und das ist etwas, das darf nicht geteilt werden. Das geht gar nicht!"
Die Rechtsanwältin Gesa Stückmann vor einem Rechner
Die Rechtsanwältin Gesa Stückmann gibt Online-Seminare zum Thema Mobbing, Hass- und Gewaltbotschaften.© Deutschlandradio / Silke Hasselmann

Viele Grundschüler haben bereits ein Smartphone

Punkt 19 Uhr schaltet sich die Web-Kamera ein und Gesa Stückmann ist offiziell "auf Sendung". "So, einen schönen guten Abend aus Rostock. Neben meinem Beruf als Anwältin bin ich mittlerweile im vierzehnten Jahr an Schulen unterwegs. Mein Thema: Recht im Internet und bei der Smartphone-Nutzung. Und warum mache ich das? Weil ich vor 13 Jahren bereits Eltern bei mir im Büro sitzen hatte. Und die baten mich um Rat und Hilfe, weil ihre beiden Kinder damals bei SchülerVZ fertig gemacht wurden. Zum Beispiel wurde geschrieben: Man sollte Hexenverbrennung wieder einführen. Nimm´s dir nicht so zu Herzen. Sie ist eine Fotze, und die Familie, das sind einfach mal kurdische Judenzigeuner! Ekelhaftes Soundso Dreckskind! und so weiter und so fort."
SchülerVZ – deutscher Vorläufer von Facebook – gibt es nicht mehr. Facebook wiederum ist bei den heutigen Kindern und Jugendlich out. Doch Schmähungen solcher Art werden weiterhin verfasst und verbreitet – nur eben auf neueren Kanälen wie TikTok, Snapshot, Instagram, WhatsApp, Signal und natürlich YouTube. Alles Internetplattformen, die mit Smartphones im wahrsten Wortsinn kinderleicht erreicht werden. 80 Prozent der Schüler in Deutschland verfügen mittlerweile über ein Smartphone, darunter immer mehr Erst- bis Viertklässler.

"Und das ist ein großes Problem unter dem Aspekt des Kinder- und Jugend-Medienschutzes. Denn machen Sie sich frei davon, es gäbe irgendeinen Kinder- und Jugend-Medienschutz im Netz! Den gibt es nicht. Selbst wenn Sie es schaffen, eine Software zu Hause zu installieren, das Ihre Kinder nicht aufrufen können, nützt Ihnen das gar nichts, wenn die Inhalte über andere Wege Ihre Kinder erreichen. In Schwerin gab es eine Sechste-Klasse-WhatsApp-Gruppe, und ein Schüler hat in diese Gruppe ein Gewaltvideo eingestellt. Das Video hat die Kommissarin, die in die Schule gerufen wurde, mir auf DVD gebrannt und geschickt und mir vorher gesagt, was ich sehen werde. So dass ich entscheiden konnte: Möchte ich das sehen? Wie weit möchte ich das sehen? Möchte ich das vielleicht gar nicht sehen? Die Schüler in der Gruppe hatten keine Möglichkeit, sich zu entscheiden, denn ihnen hat keiner vorher gesagt, was kommt. Ein Mädchen hat es angeklickt und geschaut. Und ist zusammengebrochen. So kam das raus."

Enthauptungsvideos und Nackt-Selfies

Es handelte sich nämlich um ein Enthauptungsvideo. Opfer: zwei Männer. Tatwaffe: eine Kettensäge. "Und da nützt es mir gar nichts, wenn ich da bei YouTube was sperren lassen, wenn das über WhatsApp geschickt wird. Da kann ich nichts sperren, und das ist das Problem."
Ein Fall für die Polizei. Denn das Weiterleiten solcher gewaltdarstellenden Inhalte sei strafbar, erklärt die Rostocker Rechtsanwältin, die generell als einen unguten Trend beklagt.
"In einer anderen Klassen-WhatsApp-Gruppe hier in Rostock, das war eine 8. oder 9. Klasse, landete auch ein Gewaltvideo. Und zwar das Video von dem Attentat in Neuseeland in Christchurch. Der Schüler, der darauf angesprochen wurde, dass das strafbar ist, das zu teilen, meinte nur: Ach, das findet man doch überall! Ja, aber muss man denn heute alles teilen? Dieser Teilungswahn ist ja wirklich furchtbar heute."
Das gelte auch für Nackt-Selfies und Videos in erotischer Pose, die vor allem Mädchen von sich anfertigen, um sie nur dem angehimmelten Schwarm oder der vermeintlich besten Freundin zukommen zu lassen. Doch häufig landen die intimen Bilder in größeren Chatgruppen, wo sie für Häme, Bloßstellung, seelisches Leid sorgen. Gehen Sie juristisch gegen diejenigen vor, die Bilder ohne Zustimmung der abgebildeten Person verbreiten, empfiehlt Anwältin Stückmann den Eltern. Doch auch hier sei Vorbeugen besser als Nachsorgen: Smartphones zur Schlafenszeit raus aus jedem Kinderzimmer und in die Hände von Grundschülern gehören sie gleich gar nicht.

Eltern ahnen kaum, dass ihr Kind Täter ist

"Aber das Allerwichtigste bleibt einfach: Bleiben Sie mit Ihren Kindern im Gespräch! Interessieren Sie sich dafür, was Ihre Kinder mit den Geräten machen."
Was viele Eltern nicht ahnen oder nicht genauer wissen wollen: Dass das eigene Kind Täter sein könnte und ausgewählte Schulkameraden mobbt oder Lehrer im Internet verleumdet. Keiner der Eltern in diesem Web-Seminar hat vom sogenannten "Beichtstuhl" bei Instagram gehört. Nun staunen sie, als Gesa Stückmann ihnen Beispiele aus ihren eigenen Verfahrensakten präsentiert.
"Unbekannt schreibt: Ich beichte, dass Herr Soundso ein Pädo ist. Und da stand der Name eines Lehrers der Schule. Ich beichte, dass Herr Soundso mich begrapscht hat. Und da stand derselbe Name des Lehrers. In einem anderen Fall unter dem Hashtag "#beichten": Der Lehrer Herr Soundso vergewaltigt kleine Kinder. Da stand auch der volle Name des Lehrers und der Name der Schule, wo dieser Lehrer unterrichtet. Das ist nicht lustig, so was zu schreiben, wie die Schüler meinen, sondern strafbar."

Nicht so anonym, wie man glaubt

Strafanzeige beziehungsweise Strafantrag bei der zuständigen Staatsanwaltschaft und eine zivilrechtliche Schmerzensgeldforderung seien oft erfolgreich, sagt die Anwältin den Eltern in ihrem Webinar. Denn die Polizei könne die Täter oder Täterinnen in der Regel ermitteln, auch wenn die sich in der digitalen Welt sicher glauben hinter Fantasienamen, Fake-Profil und dem Nachrichtendienst "Tellonym".
"Tellonym - anonym - super. Bekommt keiner raus, dass ich das da geschrieben habe! Das ist ein Irrtum. Tellonym ist ein deutsches Unternehmen. Die schreiben in ihre Datenschutzerklärung, die natürlich niemand liest: Wenn die Polizei bei uns anklopft und Daten von Nutzern abfragt, weil es um Straftaten geht, geben wir die Daten der Straftäter natürlich an die Polizei heraus. Das heißt, der Lehrer stellt eine Strafanzeige und die Polizei fragt die Daten bei Tellonym ab. Habe ich gerade einen Fall durch, und die Polizei hat das superzackig auch gemacht. Also: Es funktioniert."
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