Donnerstag, 28. März 2024

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Jerzy Montag (Grüne) zur Erklärung im NSU-Prozess
"Ich glaube bei Zschäpe nicht an Reue und Mitleid"

Warum will die Hauptangeklagte im Münchner NSU-Prozess, Beate Zschäpe, nach mehr als zwei Jahren ihr Schweigen brechen? Ein Grund für die geplante schriftliche Erklärung könne der psychische Druck sein, der auf ihr laste, sagte der Grünen-Politiker Jerzy Montag im DLF. Er glaube nicht, dass Zschäpe Reue oder Mitleid für die Opfer und Hinterbliebenen empfinde.

Jerzy Montag im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 10.11.2015
    Der frühere rechtspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Grüne, Jerzy Montag
    Der frühere rechtspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Grüne, Jerzy Montag (dpa / picture-alliance / Soeren Stache)
    Eine Erklärung in dieser Form komme auch zu spät, sagte Jerzy Montag. Zschäpe habe möglicherweise das Bedürfnis, einige Dinge klarzustellen. "Doch da können wir nur spekulieren", sagte der ehemalige Sonderermittler des Parlamentarischen Kontrollgremiums in der NSU-Mordserie.
    "Erklärung wird Zschäpe nicht helfen"
    Nach Montags Einschätzung wird Zschäpe die Erklärung im Prozess nicht helfen können. "So wie wir die Beweisaufnahme kennen, würde eine Einlassung, die ihre Schuld mildern könnte, unwahrscheinlich sein. Sie ist nach meiner Meinung durch die Beweisaufnahme überführt", sagte Montag.
    Interessant wäre laut Montag die Frage nach Zschäpes Rolle im NSU-Trio: "In welchem Maße war sie in der Gruppe in der Planung eingebunden? War sie ein gleichberechtigtes, führendes Mitglied oder diejenige Frau im Hintergrund, die für den Haushalt sorgte?"
    Persönlicher Vortrag Zschäpes hätte andere Wirkung
    Zur juristischen Bedeutung der geplanten Erklärung sagte Montag, dass es rechtlich keinen Unterschied bedeute, ob die Angeklagte diese persönlich vortrage oder eben wie geplant von ihrem neuen Anwalt verlesen lasse. Für die Öffentlichkeit sei es aber durchaus ein immenser Unterschied, ob Zschäpe persönlich über die gegen sie erhobenen Vorwürfe - unter anderem zehnfacher Mord und 15-facher Raubüberfall - sprechen müsse. "Das hält kein Mensch ohne emotionale Beteiligung aus. Vorher abgesprochene Erklärungen, zu denen keinerlei Nachfragen zugelassen sind, haben eine völlig andere Qualität, auch für das Gericht", sagte Montag weiter.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Es kam völlig überraschend gestern, die Ankündigung, dass Beate Zschäpe morgen, am Mittwoch, zum ersten Mal im NSU-Prozess aussagen wird. Der Prozess läuft seit zweieinhalb Jahren. 240 Verhandlungstage sind vergangen, ohne dass die Hauptangeklagte zu einer einzigen Frage Stellung bezogen hätte. Jetzt also diese Kehrtwende.
    Am Telefon ist Jerzy Montag. Er arbeitet als Rechtsanwalt, saß bis zur letzten Bundestagswahl für die Grünen im Bundestag und er hat als Sonderermittler für das Parlamentarische Kontrollgremium die NSU-Ermittlungen genauer unter die Lupe genommen. Schönen guten Morgen, Herr Montag.
    Jerzy Montag: Einen schönen guten Morgen, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Beate Zschäpe, Herr Montag, wird also morgen aussagen. Was erwarten Sie sich davon?
    Montag: Zu allererst lautet die Ankündigung ja nicht, dass Frau Zschäpe aussagen wird, sondern lediglich, dass ihr neuer Verteidiger eine schriftlich vorbereitete Erklärung vom Blatt verlesen wird. Das alleine ist schon ein riesiger Unterschied. Und dann lese und höre ich, dass keine Fragen, die anschließend vom Gericht, von der Staatsanwaltschaft, von den vielen Nebenklägervertretern zu stellen wären, beantwortet werden. Eine vollständige und persönliche Erklärung oder Einlassung ist das nicht.
    Keine persönliche Erklärung
    Armbrüster: Was macht das denn für einen Unterschied, ob sie diese Aussage nun selber macht, also selber spricht, oder das von ihrem Anwalt verlesen lässt?
    Montag: Rechtlich keine große, aber psychologisch und für den Prozess natürlich eine immense. Sie müssen sich vorstellen: Wenn diese Frau, die einem Vorwurf des zehnfachen Mordes und 15fachen Raubüberfalls und vielem anderen mehr seit drei Jahren ausgesetzt ist, jetzt persönlich zu all diesen Dingen sprechen müsste, das hält kein Mensch ohne eine emotionale Beteiligung an dieser Aussage aus. Von solchen Emotionalitäten ist ein mögliches Geständnis, eine Einlassung, die offene Sachverhalte klärt, natürlich von großer Bedeutung für das Gericht, aber auch für die Öffentlichkeit. Eine vom Verteidiger verlesene, vorher abgesprochene, auf Blatt aufgeschriebene Erklärung, zu der keinerlei Nachfragen zugelassen sind, hat eine völlig andere Qualität, auch für die Bewertung der Aussage dann durch das Gericht.
    Armbrüster: Ist das dann möglicherweise ein taktischer Fehler von ihr, wenn sie sich von dieser Aussage versprochen hat, dass die Strafe hinterher möglicherweise abgemildert wird?
    Montag: Das wird man erst ehrlich beantworten können, wenn man die Aussage kennt. Ich jedenfalls bin skeptisch, ob ihr eine solche Einlassung, in dieser Form vorgetragen und zu diesem späten Zeitpunkt, noch als Verteidigungsmöglichkeit reell helfen kann. Dazu ist der Prozess viel zu weit fortgeschritten und so weit, wie wir die Straftaten aus der bisherigen Beweisaufnahme kennen, würden mögliche Einlassungen, die ihre Schuld mildern, äußerst unglaubwürdig wirken. Würde sie aber das, was man ihr vorwirft, bestätigen und erklären, alles ist richtig, ich war gleichberechtigt mit den beiden Uwes an dem ganzen Vorfall beteiligt, der sich über 14 Jahre hinzog, dann hat ein solches Geständnis, das ja kaum heute noch von Reue und Einsicht getragen werden würde, für die Frage des Urteils keine so große Rolle mehr.
    "In hohem Maße überführt"
    Armbrüster: Sie haben jetzt schon eine Frage angesprochen: ihre Nähe zu den beiden Uwes, wie Sie sagen, ihre Beteiligung an diesen Morden. Welche Fragen konkret sind da noch offen? Was sind da die wichtigsten Fragen, die möglicherweise morgen geklärt werden könnten, zumindest von ihrer Seite?
    Montag: Nun ja, ganz konkret, welche Rolle sie spielte. Selbst die Staatsanwaltschaft wirft ihr ja nicht vor, dass sie an den Tatorten direkt anwesend und beteiligt gewesen sein soll. Wenn sie das wirklich nicht war, dann stellt sich natürlich die Frage, in welchem Maße war sie in die Planung und Durchführung durch die Gruppe eingebunden. War sie gleichberechtigtes, vielleicht sogar führendes Mitglied, oder war sie nur diejenige Frau im Hintergrund, die für den Haushalt sorgte? Diese Frage ist für das Gericht von Bedeutung. Meiner Meinung nach ist sie durch die Beweisaufnahme in einem hohen Maße überführt, als gleichberechtigtes und mithandelndes Mitglied dieser Terrorgruppe gewesen zu sein. Wie sie sich jetzt einlässt, werden wir morgen feststellen.
    Armbrüster: Wenn das nun für sie für den weiteren Prozessverlauf gar keine so große Bedeutung mehr hat, wie Sie sagen, was meinen Sie denn, was hat Beate Zschäpe dazu gebracht, diesen Schritt jetzt zu tun?
    Montag: Da können wir alle nur spekulieren. Das kann ich nicht wissen. Es wird darüber geredet, dass der psychische Druck, der auf ihr lastet und den ich ihr ohne weiteres abnehme - kein Mensch ist davor gefeit -, sie in diese Situation bringt. Vielleicht auch zum Ende das Bedürfnis, einige Dinge klarzustellen, von denen sie denkt, dass sie in der Beweisaufnahme falsch oder schief rausgekommen sind. Woran ich nicht glaube ist ein Zeichen der Reue, der Einsicht, Mitleid mit den Opfern, irgendeine Form der Entschuldigung gegenüber den Hinterbliebenen. Das wäre sehr gut und sehr wichtig gewesen vor ein, zwei Jahren, als die Eltern und Brüder und Schwestern der Opfer ihr gegenüberstanden, nicht jetzt nach drei Jahren. Ich glaube, dass dies, wenn es denn käme, zu spät wäre.
    Armbrüster: Der ehemalige Grünen-Abgeordnete Jerzy Montag - er war bislang außerdem intensiver Beobachter dieses NSU-Prozesses - war das live hier im Deutschlandfunk über die Aussage von Beate Zschäpe, die sie für morgen im NSU-Prozess angekündigt hat. Vielen Dank, Herr Montag, für das Gespräch heute Morgen.
    Montag: Ich danke Ihnen und wünsche Ihnen einen schönen Tag. Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.