Cowboys der Postmoderne

Von Christian Gampert · 30.09.2010
Im Leipziger "Theater der Jungen Welt" trafen sich die deutschsprachigen Kinder- und Jugendtheatermacher zu Arbeitsgesprächen, Erfahrungsaustausch, Workshops und natürlich zu zahlreichen Aufführungen.
Die Postmoderne hat nun auch das Kinder- und Jugendtheater erreicht. Mit Jo Fabians "Wendelgard. The First Level" eröffnete das "theater junge generation" aus Dresden das Festival: eine surreale, geschlossene Situation hinter Maschendrahtzaun, ein Horrorfilm mit drei barock gewandeten Tänzerinnen, die wie Dornröschen in den Schlaf sinken und vom Tod, einer spastischen Marilyn-Manson-Figur in Feinripp-Unterwäsche und Nazi-Outfit, per Wasserguss immer wieder aufgeweckt werden zu einem Leben in Unfreiheit. Dazu viel Trockeneisnebel, Wagners "Rheingold", wummernde Rammstein-Klänge. Unklar, aber bedeutungsschwanger. Bis der Regisseur höchstselbst aus dem Off die Performance unterbricht:

"Und dazu ziehen jetzt hinten so’n paar Wolken vorbei, mein Gott, die zieh’n so vorbei, und in dem Moment strömt das Volk aus den Häusern, und blickt denen hinterher. Und dann sind da überall kleine Türen, die müssen ja nicht überall … nur so, dass das Volk da durchpasst, und ein kleines Mädchen geht einkaufen auf der Milchstraße. Das ist nicht so schwer, wie ihr immer tut …"

Dieser Nonsense, diese selbstironische Regisseurs-Parodie - erklär den Schauspielern halt was, irgendwas - ist der Höhepunkt der Show, die gleich danach wieder in kraftmeierndes, bilderseliges Beeindruckungs-Theater zurücksinkt. Das passt zwar sehr schön zum Motto des Festivals, das sich mit dem Thema "Bilderwelten - Weltenbilder" auseinandersetzen möchte; allein: bei Jo Fabian befinden wir uns in einer Rumpelkammer der Zitate, und es ist die Frage, was Jugendliche damit anfangen können.

Auch wenn Fabian an Jugend-Medien wie Computerspiele und Horror-Videos anknüpft und auf den Festival-Diskussionen freundlich erklärt, nach Nazizeit und Stalinismus münde die Geschichte nun mal in ein globalisiertes Bedrohungs-Szenario, so stellt sich doch das Problem: Ist die völlig sinnfreie Verwendung von Nazi-Symbolen, Beuys-Hasen, Nibelungen, Gasmasken und Zombies nicht eher was für Erwachsene, die mit der Zertrümmerung der Geschichte und dem Verschwinden des Subjekts schon irgendwie fertig werden? Und weniger was für Jugendliche, die noch auf der Suche nach dem eigenen Ego sind - und bestenfalls auf dem "First Level", der Oberfläche des Spiels, mit hergestellter Coolheit reagieren, also "ey, geiler Nazi, echt scharf …"?

Schwierige Frage, man möchte ja nicht allzu sozialpädagogisch sein …

Eine Gegenposition zu Fabian vertritt Jürgen Zielinski, der Intendant des Leipziger "Theaters der Jungen Welt", des Festival-Gastgebers. Zielinski zeigte mit Darja Stockers "Nachtblind" eine eher alltagsorientierte Studie zu sexualisierter Gewalt (und deren Verdrängung) im Jugendalter - gespielt in einer Halfpipe. Zielinski sieht im Jugendtheater noch ganz andere Tendenzen:

"Gerade die Auseinandersetzungen der letzten Jahre, sich dem Musiktheater ein wenig zu öffnen, das ist vorhanden. Und der angestoßene Trend, auch choreographisch-tanztheatralische Produktionen zu machen, ist sehr verbreitet."

Trotz chronischer Unterfinanzierung (das Leipziger "Theater der Jungen Welt" ist da eine Ausnahme!) finden im Jugendtheater ständig Uraufführungen statt - auch auf dem Festival sah man drei Arbeitsproben junger Autoren, die Stückaufträge erhalten hatte. Aus den nur hastig einstudierten Aufführungen ragte Bernhard Studlars "Um die Ecke" heraus, ein Stück für Menschen ab 2 Jahren - das ganz leise und poetisch, mit Malen und Versteckspielen auf die kindliche Welt zur Zeit des Spracherwerbs eingeht:

"Die Schwierigkeit liegt darin, nicht zu sprachlastig zu sein, und eine Reduktion zu erreichen - die aber gleichzeitig nicht banal wird. Also dass es nicht kindertümelnd wird, sondern auf eine sehr einfache Weise Poesie bekommt."

Die bislang schönste Aufführung des Festivals kam dann von einer freien Gruppe: das Bonner "Theater Marabu" erzählte - für Grundschulkinder - von einem sehr hungrigen Wolf und einem sehr intelligenten Schaf, das den Bösewicht um den Finger wickelt. Eine Parabel, ganz vorsichtig dargeboten vor allem akustischen Mitteln, mit Pantomime, mit sich wiederholenden Elementen:

Der Wolf: "Die Stadt ist noch sehr weit. Und hier wohnt niemand." (Wind heult). "Wir sind ganz allein." (Wolf grunzt hungrig vor sich hin…). - Schaf: "Jetzt sieht er fast 'n bisschen unheimlich aus …" (Lachen im Publikum)

Das Schöne ist, dass das "Theater Marabu" seine Mittel offenlegt, dass die Kinder sehen können, wie all die Geräusche hergestellt sind, vom Knistern des Feuers bis zum Kratzen an der Tür.

Mit ganz anderen Methoden arbeitet natürlich das Jugendtheater, das sich momentan sehr gern Stücke einverleibt, die eigentlich im Erwachsenen-Spielplan zu finden sind. "Hamlet" wird beim belgischen "Agora Theater" aus St.Vith - auch vom Outfit her - zum Lonesome Cowboy. Und die Jugendabteilung des Heidelberger Theaters spielte "Frühlings Erwachen" mit dem Untertitel "Live Fast - Die Young" - und gänzlich ohne Elternfiguren. Die seien heute sowieso meist abwesend, meint die Produktions-Dramaturgin Valerie Lautenschläger:

"Bei Wedekind war das auch noch ne Zeitkritik, dass eben die Eltern ihre Kinder so rigoros erziehen. Also das war ganz klar eine Kritik gegen eine bestimmte Erziehungshaltung, und heute gibt es diese eine Erziehungshaltung nicht mehr."

Die rührigen Festivalmacher aus Leipzig hatten aber - als pures Anregungs-Potential - auch Theaterleute eingeladen, die entlegene, neue Spielformen in die Jugendszene einschleusen sollten. Spät nachts konnte man Volker Gerlings ineinander verschränkte Berichte und Foto-Portraits über die Außenseiter dieser Erde erleben, was er bescheiden "Daumenkino" nennt. Und der grandiose Basler Percussionist Fritz Hauser erzeugte eine Stunde Beckettscher Konzentration, als er die Beziehung zwischen Mensch und Ding, die Annäherung eines Mannes an eine Trommel untersuchte.

Dieses Festival trommelt für das Jugendtheater - hoffen wir, dass die Kulturpolitiker und Kürzungskommissare ein offenes Ohr haben …