Coronapartys und Anhusten

Soll man gleich die Polizei rufen?

05:14 Minuten
Eine erhobene Hand in einer Menschenmenge auf einer Party.
Zusammenkünfte von mehreren Personen in Zeiten von Corona: Anschwärzen oder untereinander klären? © EyeEm / Tom Chambers
Von Ludger Fittkau und Tobias Krone · 02.04.2020
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Jugendliche, die weiter Partys feiern. Oder Freundeskreise, die im Rudel durch die Wälder wandern. So mancher Bürger meldet solche Beobachtungen derzeit an die Polizei. Ist das vorbildlich oder Denunziantentum? Dazu ein Pro und Contra.

PRO: Das ist Körperverletzung - und damit ein Fall für die Polizei

Wer riskiert, dass sich andere mit dem Coronavirus infizieren, begeht eine Straftat, findet Hessen-Korrespondent Ludger Fittkau. Er würde in einem solchen Fall die "110" wählen.
Am Beginn der Coronakrise hierzulande – etwa so in der letzten Februarwoche – konnte ich irgendwie noch verstehen, wenn Leute sagten: "So schlimm wird das bestimmt nicht, wir haben noch wenige Fälle. Wuhan ist weit weg. Wir lassen uns die Lebensfreude und den kommenden Frühling nicht vermiesen, bieten dem unsichtbaren Feind die Stirn und feiern weiter zusammen – etwa im Park."
Doch nun haben wir Anfang April und die Welt ist auch hier eine ganz andere als noch vor vier, fünf Wochen. Heute sind Coronapartys jeder Art und erst recht ein vorsätzliches Anhusten eines anderen Menschen im öffentlichen Raum nur eines: Eine Form von Körperverletzung. Dafür gibt es das Strafrecht und das muss angewendet werden. Bis hin möglicherweise zu einer hohen Freiheitsstrafe bei Körperverletzung mit Todesfolge, wenn man vorsätzlich oder auch fahrlässig dafür sorgt, dass das Virus etwa Hochbetagte und Pflegebedürftige erreicht.

Körperverletzung fängt übrigens nicht erst bei einer sichtbaren äußeren Verletzung an. Auch psychische Störungen oder Schlaflosigkeit können vor Gericht als Folge von Körperverletzung gelten. Wenn mich jemand im öffentlichen Raum bewusst anhustet und ich nicht weiß, ob derjenige Covid-19 hat oder nicht – dann könnte mir das schon die eine oder andere schlaflose Nacht bereiten, soviel ist klar.
Schon deswegen werde ich die Polizei rufen, wenn mir das widerfahren sollte oder wenn ich Zeuge einer solchen Tat würde. Der Täter oder die Täterin müssten sofort zwangsweise getestet werden.

Das Anzeigen von Coronapartys soll eine Denunziation sein?

In den letzten Tagen sind auch in mehreren hessischen Altenheimen Menschen an Covid-19 gestorben. Doch Coronapartys sollen weiter eine Bagatelle sein, bei der man ein Auge zudrückt?
Ein Landesfinanzminister begeht Suizid – offenbar auch, weil er, wie der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier sagte, von den Sorgen über die gesellschaftlichen Folgen der Coronakrise "erdrückt" wurde. Aber das Anzeigen von Coronapartys soll eine Denunziation sein?
Nein, im Gegenteil. Wenn ich über solcherart unverantwortliches Treiben im Park oder in Nachbars Garten hinwegsehe, mache ich mich mitschuldig. Unterlassene Hilfeleistung ist übrigens auch ein Straftatbestand.
Sicher, man kann auch aus Dummheit fahrlässig handeln. Doch mit Nichtwissen über die Gefahren des Coronavirus kann sich heute niemand mehr herausreden. Anfang April 2020 – nach mehreren Wochen des Corona-Ausnahmezustands!
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CONTRA: Denunzieren geht gar nicht – bitte bilateral klären!

Wenn sich Menschen in Pandemiezeiten so verhalten, dass sie ein Risiko für andere darstellen können, dann kann die Staatsmacht dagegen wenig ausrichten, glaubt Bayern-Korrespondent Tobias Krone. Er würde eine solche Situation lieber ohne Polizei regeln.
Zunächst mal grundsätzlich: Wir in Deutschland haben ein schizophrenes Verhältnis zur Denunziation. Denn einerseits weiß wohl niemand besser als wir, wozu das übereifrige Kooperieren mit der Staatsmacht schlimmstenfalls führen kann. Zum anderen ist die Kultur des Anschwärzens hierzulande weiter sehr lebendig.
In Frankreich etwa wäre es undenkbar, wie in Deutschland Menschen mit Geld dafür zu belohnen, dass sie Graffiti-Künstler*innen an Bahnstationen in flagranti verpfeifen, wie vor einiger Zeit das deutsch-französische TV-Magazin "Karambolage" bemerkte. 



Ohne Wenn und Aber: Denunzieren geht gar nicht. Andere bei der Polizei zu melden, bedient nur unsere niedrigsten Gefühle: Den Trieb, uns zu unterwerfen – und mit uns selbst gleich noch unsere Mitmenschen, die sich dem Kollektiv nicht beugen wollen.

Was ist mit dem Corona-Sit-in im Hinterhof?

Doch natürlich geht es gerade nicht um eine Lappalie, gerade jetzt sollte sich jede und jeder einzelne von sich aus den Regeln beugen, weil sich die Pandemie anders nicht stoppen lässt – als durch diesen Konformismus.
Was mit dem Corona-Sit-in im Hinterhof? Sollte man hier nicht zügig die Polizei holen? Nein. Denn Ordnungsämter und Ordnungshütende sind selten ein Weg, um Menschen wirklich von einer Sache zu überzeugen. Macht ist kein Argument, Macht ist immer Macht. Sie kann drohen, sie kann bestrafen. Aber Einschüchterung und ein Bußgeld richten wenig aus gegen die größten Probleme dieser Tage, die da wären: Nicht-Information, Halb-Information und blanker Egoismus.
Ja, es gibt jene, die glauben, es reiche, nicht zur Risikogruppe zu gehören, um zu picknicken oder Bekannte zu besuchen. Und ja, welcher gewissenhafte Mensch ist beim Anblick ihrer Verantwortungslosigkeit nicht innerlich auf 110?
Was soll ich also tun? Ich werde nicht umhinkommen, Kontakt mit diesen Menschen aufzunehmen, ihnen ruhig und freundlich zu erklären, dass ihr Verhalten gerade gefährlich ist. Und dass ich sie niemals bei der Polizei verpfeifen werde, denn ich mache das ja auch nicht für die Polizei, sondern für mich – und für alle, die genauso darauf angewiesen sind, dass wir gesund bleiben.
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