Coronakrise

Wie Frankreich Kulturschaffenden hilft

07:20 Minuten
Screenshot eines Computerbildschirms: Die Musiker des "Orchestre National de Lyon"treffen sich bei einer Videokonferenz am 28. März 2020.
Musiker wie hier das "Orchestre National de Lyon" sind von der Coronakrise hart getroffen. Der französische Staat hat Kulturschaffenden großzügige Hilfe versprochen. © imago / Masha Mosconi
Von Philip Artelt · 30.03.2020
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22 Millionen Euro: So viel hat Frankreichs Kulturminister Franck Riester als Erste Hilfe für die Kultur in der Coronakrise versprochen. 200.000 Kulturschaffende bekommen eine Art staatliches Überbrückungsgeld. Macht Frankreich es besser als Deutschland?
Mellie Melzassard zählt auf, was ihr alles weggebrochen ist. Drehtage, eine Woche Artist in Residence, eine Vorstellung. Die junge Schauspielerin aus Villeurbanne bei Lyon hat derzeit weniger zu tun. Die Ausgangssperre in Frankreich zwingt sie, daheim zu bleiben, genauso wie das Publikum, das jetzt nicht mehr in Theater und Kinos gehen darf – auf unbestimmte Zeit.
Dabei hat Melzassard Glück: Sie ist eine von mehr als 200.000 "Intermittents de spectacle", Menschen, die im Kulturbetrieb arbeiten, Schauspieler, Bühnentechniker, Tonmeister – und die ganz besondere Konditionen genießen: An Tagen, an denen sie nicht arbeiten, bezahlt der Staat sie einfach weiter. Bei Mellie Melzassard sind das 47 Euro netto pro Tag.
Mit Beginn der Ausgangssperre hat die französische Regierung sehr schnell zugesagt, den Status der Intermittents vorerst automatisch zu verlängern. Das entspannt die Lage etwas, auch für Mellie Melzassard. Aber es bleiben viele Fragen. Fragen, auf die das Arbeitsamt keine Antwort weiß. Und dann ist da noch die Forderung nach einer echten Entschädigung für die Ausfälle, die bisher von der Politik unbeantwortet blieb.
Eine Tournee mit 15 Spieltagen könne man nicht einfach so zwei oder drei Monate verschieben, sagt die Schauspielerin. Dafür müsse das ganze Team verfügbar sein, aber auch die Theater, die dann vielleicht wieder ihren normalen Spielplan aufgenommen haben.

Frankreich tut viel für die Kultur - aber auch genug?

Videokonferenz zur Krise. Im niedrigen Obergeschoß des Theaters de l'Uchronie in Lyon, erreichbar nur über eine Hühnerleiter, sitzen Barbara Loison und Manuel Liminiana vor einem Bildschirm und informieren sich über Steuern für Kleinunternehmer, Kinderbetreuung und alles, was sonst noch wirtschaftlich nützlich sein kann.
Der Staat tue viel im Kulturbereich, sagt Barbara Loison, das französische System der Intermittents sei einmalig. Aber jetzt in der Krise gebe es vor allem Ankündigungen. Von den Hilfen sehe man bisher nicht viel.
Angekündigt wurde unter anderem, dass Kulturinstitutionen und Festivals staatliche Subventionen nicht zurückzahlen müssen, wenn die Veranstaltungen ausfallen. Dem Theater de l'Uchronie bringt das nichts, denn es erhält sowieso keine Subventionen. Die Fixkosten von rund 900 Euro pro Woche müssen trotzdem gezahlt werden.
Wenn man im Kulturbereich arbeitet, ist man gewöhnt, täglich zu kämpfen, sagt Manuel Liminiana. Man kämpft um ein Projekt oder um die Existenz, man kämpft darum, zu wissen, was in sechs Monaten sein wird. Wenn wir uns jetzt darüber Sorgen machen, dass uns niemand hilft, verlieren wir den Reflex, uns selbst zu helfen und selber Wege aus der Krise zu finden.

Eine zentralistische Kulturpolitik kann schneller reagieren

Immerhin, der Staat hat reagiert. Sogar mit konkreten Zahlen: 22 Millionen Euro hat Frankreichs Kulturminister Franck Riester als erste Hilfe für die Kultur zugesagt, etwa die Hälfte davon soll in den Bereich Musik fließen. In Deutschland klingen viele Hilfsangebote für die Kulturschaffenden weit weniger konkret. Die Bundesregierung verweist vor allem auf die allgemeinen Rettungsmaßnahmen für Unternehmen und Freiberufler. Ist in Frankreichs Gesellschaft die Kultur einfach mehr wert? Barbara Engelhardt, Direktorin des europäischen Theaters Maillon in Straßburg sagt:
"Ich würde das nicht umdeuten in eine Wertschätzung oder Nichtwertschätzung, sondern Frankreich ist ein sehr zentralistisch gesteuertes Land. Eine zentralistische Kulturpolitik kann vielleicht auch anders schnell reagieren als in einem föderalistischen System. Ich glaube aber, dass die Reaktivität, die das Ministerium jetzt auch zutage gebracht hat, auch damit zu tun hat, dass die Kultur durch den Status der Intermittents gekoppelt ist an Soziales und Arbeit, an einen Erhalt eines Systems, das ganz bestimmte Arbeitsstrukturen geschaffen hat, die natürlich jetzt erstmal ganz schnell abgesichert werden muss, damit das System nicht komplett zusammenbricht."
Die Kultur als Profiteur einer Arbeitsmarktpolitik, die in Frankreich auch nicht unumstritten ist.
Im Straßburger Maillon setzen sie aber nicht nur auf Staatshilfe, sondern auch darauf, dass die Kunden ihre Tickets für ausgefallene Vorstellungen nicht zurückgeben, sondern vielleicht gegen neue Karten eintauschen.
"Dass man dann auch ein bisschen in den Dialog kommt, was das bedeutet, wenn alle ihr Engagement und ihre Investition beibehalten, also die Theater den Künstlern gegenüber, aber auch die Zuschauer den Künstlern gegenüber", sagt Maillon-Direktorin Engelhardt.

Freie bildende Künstler fallen durchs Raster

Und dann gibt es noch die, die durch das Raster fallen. Die vielen bildenden Künstler, die frei arbeiten, ohne das Sicherheitsnetz des Intermittents. Maler, Skulpteure, viele von ihnen leben vom RSA, so etwas wie dem französischen Hartz IV.
Vor Kurzem erst habe sich ein Illustrator bei ihr gemeldet, dem eine Bestellung wegen der Corona-Krise storniert wurde, erzählt Marie-Noëlle Duboisdendien von Solid‘arte. Die Organisation hilft Künstlern in prekären Lagen mit Rat und Tat. Die Krise macht aber auch sie sprachlos.
Wird der Maler vom Staat entschädigt? Ratlosigkeit, von den 22 Millionen Euro Hilfsgeldern ist hier jedenfalls noch nichts angekommen.
Vieles ist gut gemeint, da sind sich die Betroffenen einig. Aber die Hilfen sind mit heißer Nadel gestrickt. Wem sie wirklich nützen, wird sich in den kommenden Wochen zeigen.
Für manche gibt es aber noch Hoffnung. Quentin Delaplace hat sich in sein Haus auf dem Land zurückgezogen. Der Musiker nutzt die Ausgangssperre für Improvisationen auf dem Klavier. Und er kümmert sich weiterhin um die Organisation eines Festivals moderner Musik in Lyon. Denn im Juni dürfen die Menschen wieder raus, glaubt er. Letzte Zweifel bleiben.
Immerhin, sagt Delaplace, wird uns während der Ausgangssperre klar, wie wichtig Kultur ist, wie wichtig die Musik oder ein Buch als Zuflucht sein kann. Am Ende könne die Kultur durch die Krise sogar aufgewertet werden.
Und wenn nicht? Dann greift bei ihm zumindest das Sicherheitsnetz, das der französische Staat gespannt hat. Denn auch er ist Intermittent de spectacle.
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