Coronakrise und Zinsen

Es gibt kein Grundrecht auf Zinsgewinne

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Nahaufnahme von Münzen, die in einer Hand liegen.
Die Berichterstattung über die Zinsflaute liest sich, als hätten wir ein gutes Recht darauf, ohne eigene Leistung unser Geld zu vermehren, so Ralf Hutter. © Eyeem / Westend61
Ein Kommentar von Ralf Hutter · 04.06.2020
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Durch die Coronakrise ist das Zinsniveau niedrig und das bleibt wohl auch noch eine Weile so. Dass mit Sparanlagen keine hohen Zinsen mehr anfallen, könnte aber einen guten Kulturwandel beim Anlageverhalten bringen, meint der Journalist Ralf Hutter.
Seit Jahren wird in Deutschland, ach was, in ganz Europa permanent ein inoffizielles Grundrecht verletzt. Dieser Eindruck entsteht, wenn wir uns die Berichterstattung über die sogenannte Zinsflaute anschauen. In den letzten Jahren hat anscheinend jedes größere deutsche Medium auf der Titelseite die Auswirkungen der Nullzinspolitik der Zentralbanken auf die Bevölkerung thematisiert. Dabei wird normalerweise kritisiert, dass simples Sparen nicht mehr die Inflation ausgleicht. Das komme einer schleichenden Enteignung der breiten Masse gleich, so die allgemeine Klage. Unterstellt wird dabei, dass wir ein gutes Recht darauf hätten, ohne eigene Leistung unser Geld zu vermehren.

Geld arbeitet nicht

Diese Denkweise ist Ausdruck einer systemisch erzeugten Geldgier. Zu den Dummheiten, die der Kapitalismus in die Alltagsmentaliät integriert hat, gehört die Ansicht, dass wir unser Geld für uns arbeiten lassen können. Doch Geld arbeitet nicht. Wer Geld investiert, lässt andere Menschen für sich arbeiten und profitiert von deren Gewinnen, schöpft also den Lohn fremder Arbeit ab. Sowohl das Christentum als auch das Judentum und der Islam fanden das ursprünglich unmoralisch und verboten deshalb das Nehmen von Zinsen.

Im mittelalterlichen Europa wurden dann aber Juden in das dringend benötigte Kreditgeschäft gedrängt, indem sie von normalen Berufen ausgeschlossen wurden. So entwickelte sich das Stereotyp vom geldgierigen Juden, der die Arbeit anderer ausbeutet. Der Kapitalismus verallgemeinerte solch ein rücksichtsloses Gewinnstreben – und zwar auch auf Leute, die keine Firma haben. Es ist heutzutage eine völlig normale Ansicht, dass es beim Geldanlegen nur um Gewinn geht, egal, wie das Geld sich vermehrt.

Der heilsame Effekt der Zinsflaute

Eine Bank vermehrt das Geld der breiten Masse aber dadurch, dass sie es an alle möglichen Firmen weiterreicht, die damit wer weiß was tun und dann die Banken und die Sparenden am Gewinn teilhaben lassen. Das ist nun vorbei. Der heilsame Effekt der Zinsflaute ist, dass diese quasi anonyme Finanzierung schlimmer Geschäftspraktiken nicht mehr so gut funktioniert.
Wer sich gegen den Geldwertverlust, der durch die Inflation entsteht, wehren will, muss in konkrete Firmen oder Projekte investieren, sei es durch eine unternehmerische Beteiligung wie Aktien und Genossenschaftsanteile, oder einen Kredit. Dabei werden viele Leute aus ethischen Gründen vor Investitionen zurückschrecken, die sie früher indirekt und unbewusst über eine Bank getätigt hätten, indem sie dort einfach Geld zur sozusagen freien Verfügung abgaben.

Man kann sein Geld sinnvoll anlegen

Der Witz ist: Anders als so manche Medien seit Jahren tun, sind Anlagegewinne, die die Inflation mehr als ausgleichen, stets möglich gewesen, und das mit geringem Risiko und sogar ethischem Anspruch. Zwei Beispiele für Bereiche, in denen Zinsen in Höhe von ein paar Prozent nach wie vor möglich sind, und wo mit dem Geld sinnvolle Dinge getan werden: Zum einen besteht für die Energiewende ein hoher Investitionsbedarf.

Firmen, die Solar- oder Windparks betreiben, Ökostrom an die Haushalte vermarkten oder für Energie-Effizienz bei anderen sorgen, finanzieren sich ständig über Anleihen. Pleite geht da kaum jemand, und dieser Sektor hat Zukunft. Zum anderen gibt es diverse Projekte für eine im weitesten Sinne soziale Nutzung von Häusern. Hier ist die Anlage durch die Mieten oder gar staatliche Gelder für soziale Einrichtungen ganz gut abgesichert.

Das Geld nur ein bisschen vermehren

Natürlich ist bei solchen Geldgeschäften das Risiko höher, als Geld einfach bei einer Bank abzugeben. Andererseits wird den traditionell aktienskeptischen Deutschen wegen der Zinsflaute seit Jahren vermehrt der Einstieg in die Börsenspekulation empfohlen, und da kann die breite Masse die Risiken nicht wirklich abschätzen. Wer an der Börse investiert, wettet im Grunde auf höhere Kurse, ohne viel Ahnung von den dafür nötigen Grundlagen zu haben.
Die Rendite liegt bei ökologischen oder sozialen Projekten oft nicht viel höher als die Inflationsrate. Aber sein Geld durch das Verleihen nur ein bisschen zu vermehren, ist ja auch in Ordnung. Es gibt nämlich kein Grundrecht auf Zinsgewinne.

Ralf Hutter ist studierter Soziologe und lebt als freier Journalist in Berlin.




Der Berliner Journalist Ralf Hutter.
© Privat
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