Coronakrise in den USA

Den Virus schleppen immer die anderen ein

07:36 Minuten
US-Präsident Donald Trump hat die Einreisesperren für Menschen aus dem europäischen Schengenraum in einer Fernsehansprache verkündet. Eine Kamera filmt ihn an seinem Schreibtisch im Oval Office im Weißen Haus in Washington.
US-Präsident Donald Trump hat die Einreisesperren für Menschen aus dem europäischen Schengenraum in einer Fernsehansprache verkündet. © imago/Doug Mills
Andreas Platthaus im Gespräch mit Ute Welty · 13.03.2020
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Nachdem der US-Präsident die Corona-Epidemie lange verharmloste, hat er nun ein Einreiseverbot für Menschen aus der EU verhängt. Der Autor Andreas Platthaus sieht in Trumps Politik einen Rückfall in längst vergangene, überwunden geglaubte Zeiten.
Ute Welty: Das ist schon eine hammerharte Maßnahme: Grundsätzlich ist allen Menschen aus der EU die Einreise in die USA verboten. So hat es der amerikanische Präsident angeordnet, und dieser Einreisestopp, der gilt in nicht mal 24 Stunden. Für Andreas Platthaus dürfte sich die Situation absurd anfühlen. Der Redaktionsleiter der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" hat gerade sein amerikanisches Tagebuch veröffentlicht. Für dieses Tagebuch sind Sie den Spuren von Thomas Mann gefolgt. Sie haben Zeit verbracht in Manns Haus in Pacific Palisades. Was haben Sie dort gelernt über Thomas Mann und über die USA?
Andreas Platthaus: Für mich war es eine sehr seltsame Situation, weil ich zum ersten Mal überhaupt an der Westküste war, das heißt, einen Teil der Vereinigten Staaten, den ich nicht kannte, und deshalb bin ich mit einer recht naiven Haltung dort hingegangen, weil ich dachte, alles, was mir dort begegnen wird, wird ganz neu und interessant sein. Was ich dann feststellte, als ich vier Monate im Thomas Mann-Haus leben durfte, war, dass ganz viel in den Vereinigten Staaten doch europäisch geprägt ist. Gerade in Kalifornien sind sehr viele Exilanten in der Zeit des Zweiten Weltkriegs angelandet, und deshalb ist dort ein europäisches Erbe erhalten geblieben, was zumindest in kultureller Hinsicht ganz bemerkenswert ist.
Damit hatte ich dort gar nicht gerechnet. Ich dachte, dort auf ein ganz neues Amerika zu treffen, eines, das sich ganz stark nach Asien orientiert und eines, was auch lateinamerikanisch geprägt ist. Natürlich ist dem auch so, und die Orientierung verlagert sich immer mehr dahin. Aber im Grundzug ist immer noch ein ganz starkes europäisches Gefühl da, auch eine Verbundenheit, gerade der Kalifornier mit dem alten Europa.
Das wiederum hat mich sehr positiv überrascht, und gleichzeitig erschreckt mich natürlich, was sich in den letzten Jahren in eine andere Richtung entwickelt. Nicht, dass man sich woandershin orientiert, aber dass man ganz bewusst, zumindest in Regierungskreisen in Amerika versucht, die Wurzeln zu Europa zu kappen.

"Thomas Mann wäre entsetzt"

Welty: Wie, glauben Sie denn, würde Thomas Mann auf die aktuelle Situation reagieren?
Platthaus: Er wäre entsetzt, weil er zumindest in seinen amerikanischen Jahren, in den Exiljahren, wirklich ein Weltbürger gewesen ist, einer, der die Gesamtverantwortung für die Welt und vor allem für die Demokratie in den Mittelpunkt seines ganzen Schreibens und seines ganzen öffentlichen Engagements gestellt hat. Die Tatsache, dass man sich zurückzieht auf einen nackten Nationalismus, das wäre für ihn ein Albtraum.
Alle seine Schriften, vor allem auch nach dem Zweiten Weltkrieg, plädieren immer dafür: Überwinden wir das Allerschlimmste, was überhaupt passiert ist, nämlich die Entwicklung des Nationalismus. Wir müssen Internationalisten werden.
Natürlich ist das zurzeit genau das, was nicht nur in Amerika, sondern fast auf der ganzen Welt überhaupt nicht passiert. Man zieht sich zurück auf ein klassisches mittelalterliches Muster und sucht den Schuldigen für alle Infektionen jenseits der eigenen Grenzen, das Fremde hat das herangebracht. Das ist ein Rückfall in Zeiten, die ich längst für überwunden geglaubt hatte.
Welty: Was bedeutet das alles aus Ihrer Sicht für das transatlantische Verhältnis?
Platthaus: Eine grässliche Schädigung. Es ist ganz ersichtlich, dass zumindest die amerikanische Seite an diesem Verhältnis nur insofern interessiert ist, wie es ihr wirtschaftlich irgendwie nutzt oder wie es vielleicht als Entschuldigung dafür taugt, irgendwelche eigenen Fehler zu kaschieren.
Die Europäer geben sich natürlich sehr viel Mühe. Wie sollten sie auch nicht. Amerika ist von unglaublicher Bedeutung, sowohl ökonomisch wie politisch. Das heißt, wir sind natürlich in der viel schwächeren Position, aber leider Gottes beruht ein enges Verhältnis zueinander natürlich auf gegenseitigem Geben und Nehmen.
Im Moment hat man leider Gottes das Gefühl, dass die Vereinigten Staaten partout nur nehmen wollen, aber nichts geben und dass dieser Einreisestopp jetzt ohne Absprache mit den europäischen Verbündeten, wie es ja immer so nett heißt, erfolgt ist, ist ein grauenvolles Zeichen. Man hätte sich so etwas vor ein paar Jahren überhaupt nicht vorstellen können.
Welty: Inwieweit trägt die These, dass Donald Trump versucht, abzulenken vom eigenen Versagen in Sachen Corona?
Platthaus: Die Vorwürfe gegen ihn sind sehr früh erhoben worden, dass er viel zu wenig gegen die Ausbreitung der Seuche in den Vereinigten Staaten getan hat. Und das ist wahrscheinlich richtig, denn er war ja derjenige, der den ganzen Februar durch immer noch betont hat, das ist etwas wie die Grippe, da müssen wir uns gar nicht so viele Sorgen machen, und wir werden das ganz simpel eindämmen.
Jetzt zeigt sich, dass auch in den Vereinigten Staaten die Zahlen sehr stark wachsen. Es gibt erstaunlich viele Tote im Vergleich zumindest mit der deutschen Situation bei bisher sehr viel weniger festgestellten Infizierten. Das heißt, er muss sich natürlich den Vorwurf gefallen lassen, er hätte die Lage unterschätzt, und Fehler einzuräumen ist nun überhaupt nicht die Sache von Donald Trump, aber Maßnahmen zu ergreifen, um die eigenen Fehler zu kaschieren, darin ist er sehr groß.
Welty: Sie schreiben im Buch, dass sich etliche noch vor absehbarer Zeit für Trump entschuldigt haben, und das habe ich sich geändert. Warum?
Platthaus: Es gab eine Art von Normalisierung. Ich war 2017 an der Ostküste, und da war für mich so unmittelbar nach der Wahl und der Amtseinführung von Trump verblüffend, dass die allermeisten Amerikaner sich bemühten zu erklären, wie das denn um Gottes Willen passieren konnte und dass sie den peinlichsten Präsidenten überhaupt haben. Nun sind wir drei Jahre weiter, und natürlich hat man sich an Trump auch gewöhnt.
Es ist eine Art Resignation, zumindest unter den Liberalen in Amerika, und in Kalifornien haben die nun ganz klar die Mehrheit. Das heißt, ich hatte auch kaum Chancen, auf Trump-Befürworter zu treffen in den vier Monaten, die ich da war. Wenn man darüber sprach – und die Amerikaner sprechen viel mehr über Politik, als es früher der Fall war und auch viel kritischer über die eigene Politik –, dann wird der Präsident mittlerweile fast achselzuckend hingenommen.
Alle hoffen auf die diesjährigen Präsidentschaftswahlen. Ich war bisher sehr, sehr pessimistisch und war eigentlich ziemlich sicher, dass Trump wiedergewählt wird, aber jetzt wird natürlich das bedroht in Amerika, was ihn am allermeisten stärkt, nämlich die gute Wirtschaftsentwicklung, und das weiß er selbstverständlich auch. Auch deshalb ist für ihn diese Epidemie ein riesiges Problem.

Drastischer Bruch mit der eigenen Vergangenheit

Welty: Sehen Sie aus Ihrer Erfahrung heraus auch einen Ansatz, um die Dinge aufzufangen oder vielleicht aufzulösen?
Platthaus: Sehr schwierig. Wie man Epidemien auffängt oder auflöst, dazu kann ich überhaupt nichts sagen, da sehe ich keinerlei Ansätze. Wie man das amerikanische und europäische Verhältnis wieder auflöst, ja, in gewisser Weise natürlich dadurch, dass man hoffen darf, dass - wenn wir denn irgendwann mal das Ende der Ära Trump erleben - es auch eine Art Gegenbewegung gerade deshalb geben wird, weil es auch in den Vereinigten Staaten als so unglaublich drastischer Bruch mit der eigenen Vergangenheit bei den etwas europafreundlicheren Menschen empfunden wird.
Natürlich sind diejenigen Leute, die Trump schlagen wollen, auf Gegenpositionen angewiesen, und die Gegenposition ist natürlich unter anderem auch, dass man das Bündnis mit den Europäern wieder stärken will. So gesehen hoffe ich sehr stark, dass genau da dann extrem zurückgerudert wird, um ein Gegenbild zur Trumpschen Politik zu schaffen.
Das ist dann immerhin mal ein Ansatzpunkt, mit dem wir arbeiten können und wo man dann schaut, dass man dann so viel wie möglich diese hoffentlich europafreundliche Stimmung, die irgendwann auch in den Regierungskreisen wieder einsetzen wird, sofort nutzt.
Welty: Und welches Buch von Thomas Mann empfehlen Sie in Zeiten wie diesen?
Platthaus: Die "Reden an die Deutschen", also die Reden, die Thomas Mann im Zweiten Weltkrieg an die Deutschen gehalten hat - ganz starke Plädoyers natürlich vor allem gegen Hitler und für die Demokratie, aber auch immer durchsetzt vom Willen zur internationalen Zusammenarbeit.
Also der Essayist Thomas Mann ist zurzeit der alleraktuellste neben all den großartigen Romanen. Nur die kann man natürlich nicht so unmittelbar politisch lesen wie die Essays, die genau zu diesen Anlässen geschrieben worden sind. Die haben leider Gottes, muss man sagen, in 70 Jahren sehr, sehr wenig von ihrer Brisanz verloren.

Andreas Platthaus: Auf den Palisaden - Amerikanisches Tagebuch
Rowohlt Berlin, 416 Seiten, 24 Euro

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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