Corona-Styles für die Zukunft

Kopfkissenkleider und Pandemie-Bärte

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Zwei Männer fahren mit ihren Hochrädern durch die nahezu menschenleere Innenstadt in Oldenburg.
Not macht erfinderisch? Trifft auch auf die Coronakrise zu, meint Psychologe Peter Walschburger. © dpa / Hauke-Christian Dittrich
Von Matthias Finger · 02.05.2020
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Wilde Frisuren, wuchernde Bärte, Kleider aus Kopfkissen - das bleibe uns höchstwahrscheinlich auch in Corona-freien Zeiten erhalten, glaubt Trendforscherin Li Edelkoort. Und auch andere Neuerungen der Pandemie-Zeit werden sich halten, meinen Experten.
Küchlein in Form von Klopapierrollen und Drive-Inn-Läden für Blumen. Kontaktlose Hinterhofkonzerte, bei denen das Geld – in Papier eingewickelt im Hof landet – und stylische Outfits mit farblich abgestimmten Atemschutzmasken – im Komplettlook:
These 1: Corona setzt - wie viele andere Krisen – kreative Potentiale frei
Die Geschichte der Menschheit ist eine Aneinanderreihung von Katastrophen, in der Anpassung zur Weiterentwicklung führt. Der Psychologe Peter Walschburger von der Freien Uni Berlin. "Eine der typisch menschlichen Bewältigungsstrategien besteht darin, erfinderisch zu sein, uns etwas Neues einfallen zu lassen. Das steckt ja in unserem Geist drin."
Die Isolation konfrontiert uns mit neuen Problemen, die wir mit Fantasie meistern.
"Es ist so, dass man durch den Reset seinen Kleiderschrank noch mal durchforstet und alte Schätze neu entdeckt und vielleicht so kombiniert, wie man das selber gut findet", beobachtet Designerin Arielle de Bateaux.
Wenn alle Läden zu sind, emanzipieren wir uns vom Geschmacksdiktat.
Über Mode lernen wir eher Grundsätzliches – abends in den Filmen der Streaminganbieter. So erteilt "Der schwarze Diamant" Lektionen über die Bedeutung von Accessoires.
"Ich denke, das war eine Entschleunigung für alle im positiven Sinne, weil man mal zu sich kommen konnte", sagt Arielle de Bateaux. "Ich denke, dass dieses 'Möglichst viel Masse' in Zukunft nicht mehr so gefragt ist und man mehr ein besonderes Teil macht, das lange hält."
Designer setzen bereits auf lokales Handwerk: Alexander McQueen zum Beispiel verarbeitet irisches, von der Sonne gebleichtes Leinen.
Die Zukunftsforscherin Li Edelkoort sieht eine Do-it-yourself-Attitüde, kurz DIY, erstarken und spricht gar von einer Quarantäne des Konsums. Die zeigt sich auch schon auf Instagram, wo wir gerade gerne Bilder posten, auf denen wir nichts tragen außer einem Kissen – meist mit einem Gürtel um den Bauch geschnallt – in Pillow Challenges.

These 2: Nach Corona werden wir viele Dinge entspannter sehen.

Im Homeoffice gammeln wir, tragen höchstens obenrum mal was Formelles – für die Videokonferenz. Und untenrum?
"Chinojogger", rät Arielle de Bateaux: "Eine etwas smartere Jogginghose, bei der das Bündchen wie eine Jogginghose ist, aber sonst aussieht wie eine Chinohose."
In Beige, natürlich mit hochgekrempeltem Saum. Die Hose ist so bequem, dass ich sie in die Arbeitswelt nach Corona hinüberretten möchte. Wenn ich jemals wieder ins Büro gehe:

These 3: Die angestammte Präsenzkultur wird ein Ende haben.

Arbeitsminister Hubertus Heil will im Gesetz ein Recht aufs Homeoffice verankern.
Weil wir dort zu zotteligen Höhlenmenschen mutieren, explodieren im Netz die Suchanfragen zum Thema "Haare selber schneiden".

These 4: Corona führt zur Selbstermächtigung

Die wohl beliebteste Herrenfrisur ist gerade, und bleibt vielleicht, der Buzzcut – früher Russenschnitt genannt. Justin Timberlake und David Beckham schwören auch darauf: Einmal selber mit der Haarschneidemaschine über die Rübe, in der niedrigsten Stufe. Fertig.
Videoblogger Mark Molter: "So, und hier noch mal ein kleiner Tipp für das Schneiden auf der rückwärtigen Seite des Kopfes. Hier schneide ich zum Beispiel fast blind. Das heißt: Ich ziehe nur von unten bis oben durch und mache das natürlich so lange, bis keine Haare mehr abfallen."
Im Netz kursieren zwar Bilder von schlimmen DIY-Frisurexzessen, doch in der Isolation stört das kaum. Und auch die wild wuchernden Pandemiebärte – über die keine Atemschutzmaske der Welt luftdicht passt – machen uns irgendwie menschlicher:

These 5: Dank Corona gehen wir aufmerksamer miteinander um

Nicht nur im Supermarkt tanzen wir umeinander wie rohe Eier. Zukunftsforscher Matthias Horx verortet eine neue Verbindlichkeit: "Es wird wieder telefoniert. Das ist doch überraschend! Jetzt kann man sagen: Danach rennen wir genauso blöd wieder weiter. Und wir kommunizieren genauso blöd wieder über Smileys, als mit den Leuten zu telefonieren. Aber ich kann das für mich erst mal nur beantworten und einen großen Teil der Menschen, die ich kenne: Das wird nicht so sein."
Die Jungen entdecken analoge Kulturtechniken, die Alten skypen ganz selbstverständlich: Probleme, vor die uns Corona stellt, sind auch Möglichkeiten: Den Nährboden für die Renaissance bereitete schließlich auch die mittelalterliche Pest.
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