Corona-Maßnahmen

Kioske vor dem Aus

05:35 Minuten
Leuchtschrift an einem Späti im Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf
Auch hier könnte bald das Licht ausgehen: Vielen Spätkauf-Läden in Berlin macht die Coronakrise zu schaffen. (Symbolbild) © picture alliance / dpa / Wolfram Steinberg
Von Manfred Götzke · 09.02.2021
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Kein Bierverkauf nach 23 Uhr, keine Touristen und Nachtschwärmer, keine staatlichen Hilfen: Corona macht den Spätis in Berlin arg zu schaffen. Das Aussterben der Kioskkultur könnte drohen.
Cem hat Lust zu plaudern. Er hat ja auch nicht so viel zu tun momentan. Seit einer halben Stunde ist niemand mehr in seinen Spätkauf am Rosenthaler Platz in Berlin-Mitte gekommen.
Es ist kurz nach 18 Uhr, normalerweise gehen um diese Zeit die ersten Feierabendbiere über die Theke, dazwischen die Touristen, die mit Clubmate oder Augustiner durch Mitte flanieren. Beides läuft momentan überhaupt nicht, sagt Cem, der eigentlich anders heißt.
"Was am Rosenthaler fehlt? – Es fehlt ja überall: Menschen. Menschen fehlen. Das ist das Hauptproblem. Aber na ja, Gesundheit geht vor."

Spätis bekommen keine Coronahilfen

Die Tür geht auf und mit der Kälte kommt Ali rein. Ein Kumpel von Cem, er ist derzeit arbeitslos, hilft hier manchmal aus. Der 40-Jährige redet gern, kommt von der Situation der Spätis schnell auf die große Politik.
"Es ist eine Tatsache: Es ist total beschissen. Wer hat denn die Coronahilfen wirklich bekommen? Der Staat finanziert die Lufthansa. Was machen die kleinen Einzelhändler? Wie viele Millionen Insolvenzen haben wir demnächst? Über eine Million? Wenn jedes dieser Unternehmen zwei Arbeitslose bietet – wie soll der Markt das noch auffangen? Wann kommen denn die ganzen Touristen wieder?"
Mehr als eine Million Insolvenzen – das klingt etwas übertrieben. Der Handelsverband HDE rechnet für dieses Jahr aber immerhin mit 50.000 allein im Einzelhandel.

In der Mitte des Ladens steht eine Insel aus Bierkisten: Berliner, Budweiser, Flensburger, Augustiner. Nachschub für die acht vor sich hinbollernden Getränkekühlschränke. Doch Cem musste lange nichts mehr nachfüllen, erzählt er. Dabei ist Alkohol, vor allem Flaschenbier, die Haupteinnahmequelle des Spätis. Gerade hier in Mitte. "Die Kühlschränke laufen doch. Da vermindert sich der Strompreis nicht."

Keine Touristen, kein Umsatz

Die Spätis – vor allem in den Touristenvierteln Berlins – sind vom Lockdown besonders betroffen. Ihr Geschäftsmodell läuft nicht mehr: Seit Monaten sind keine Touristen in der Stadt, Alkoholholkonsum in der Öffentlichkeit verboten, nach 23 Uhr sogar der Verkauf. Die November- oder Dezemberhilfen bekommen die Spätis dagegen nicht. Denn anders als Restaurants, Cafés und Bars dürfen sie ja aufhaben.
"Die, die zugemacht haben, das sind diejenigen, die Geld bekommen haben – die sind glücklich. Die aufhaben dürfen, sind überhaupt nicht glücklich."
Nach 20 Minuten kommt der erste Kunde vorbei – Zigaretten holen. Der 39-Jährige Kioskbetreiber macht damit allerdings so gut wie gar kein Geld.
"An Zigaretten verdienst du acht Prozent: Da musste mal überlegen, zum Beispiel: Du hast einen Mitarbeiter bei Mindestlohn. Du musst 100 Schachteln Zigaretten verkaufen damit du 60 Euro hast – und wenn du dann noch nicht einmal Getränke verkaufen kannst nach 23 Uhr, dann hast du nichts."

Viele Spätis von Pleite bedroht

Anders als sein Kumpel lässt sich Cem nicht so leicht aus der Ruhe bringen. Als ich ihn nach Umsatz und Miete des Ladens frage, zuckt er nur kurz mit den Achseln.
"Sehr hoch, sehr hoch, ich gebe es nicht an. Das sind Summen, die kriegst du nicht mehr raus. Das ist nicht einmal ein Drittel, was man rauskriegen kann – und Gewinnerwirtschaftung gibt es sowieso nicht."
- "Nur ein Drittel der Miete sozusagen?"
- "Die kriegst du nicht mal raus, das ist das Problem."
- "Und wie viel weniger Umsatz macht ihr?"
- "Über 90 Prozent weniger – wirklich, ernst. Wir haben Mitarbeitern Stunden gekürzt, auch gekündigt. Anders geht es nicht."
Wie lange sie hier noch durchhalten? – Cem weiß es nicht.
"Vielleicht April, Mai, dann ist für den Laden auch Sense. Dann muss man gucken, was man machen kann. Man zahlt irgendwie aus der Tasche, versucht mit Krediten irgendwie auf den Beinen zu stehen. Wenn das das ganze Jahr noch weiter geht, kannst du wirklich alle Spätis zumachen."

Die Angst vor dem Job-Verlust

50 Meter weiter auf der anderen Seite des Rosenthaler Platzes sitzt Yusuf Karaje hinter der Theke und schaut auf sein Handy. Auch bei ihm: tote Hose. "Guck mal: Sie sind zehn Minuten hier – nicht ein Kunde."
Karaje ist hier seit mehr als zehn Jahren angestellt. Er teilt sich die Arbeit mit dem Besitzer. Seit Corona ist er viel seltener hier. Weniger Kunden, weniger Umsatz, kürzere Öffnungszeiten.
"Vorher haben wir um acht Uhr aufgemacht, jetzt ab zehn oder ab elf. Kommt keiner mehr. Wir müssen aufmachen, egal was. Wir müssen Miete und alles bezahlen."
Karaje deutet auf die Schokoriegel in der Auslage, lange sind sie nicht mehr haltbar. Auch das Bier ist nicht mehr lange gut.
"Ich hab seit über einem Monat gar nichts mehr nachbestellt, weil die Leute hier nichts kaufen."
Wie lange sein Chef sich die hohe Miete hier am Rosenthaler Platz leisten kann? Er weiß es nicht – zwei Monate vielleicht noch. Er hat jedenfalls große Angst um seinen Job, schließlich ist er schon 51.
"In dieser Zeit hat jeder Angst, weil nichts los ist. Was machen wir? Du hast keine Chance, einen neuen Job anzufangen. Sowieso. Es ist richtig schwer."
Nach 40 Minuten kommt endlich der erste Kunde. Er füllt einen Lottoschein aus.
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