Corona in Hollywood

Das Virus wird die Traumfabrik nachhaltig verändern

15:39 Minuten
Tom Cruise am Filmset von "Mission Impossible 7" in Rom. Fans machen Selfies mit dem Schauspieler, 29.11.2020.
Hollywoodstar Tom Cruise am Set zur Fortsetzung von "Mission Impossible" - auch hier herrschten strenge Hygienemaßnahmen. © Getty Images/Mondadori Portfolio/Insidefoto/Samantha Zucchi
Von Katharina Wilhelm · 11.01.2021
Audio herunterladen
Die Pandemie hat auch in der Filmbranche in Los Angeles vieles auf den Kopf gestellt. Dreharbeiten unter strengen Auflagen und abgesagte Premieren stellen die Zukunft des Kinos in Frage. Wie verändert sich Hollywood durch Corona - 2021 und darüber hinaus?
"Das ist keine Verschiebung, sondern ein Erdbeben, der Stärke 8" - "Kinos sind von Milliarden-Einnahmen auf Null gerutscht – über Nacht" - "Ich setze auf den Impfstoff, ich denke, dass sie uns auffordern werden, ihn zu nehmen."

Eines der schlimmsten Jahre für Hollywood

Hollywood hat mit 2020 eines seiner schlimmsten Jahre hinter sich. Die sogenannte Traumfabrik stand über Nacht still, so wie der Rest der Welt. Viele Menschen, die in der Filmwelt arbeiten, hatten von jetzt auf gleich keine Aufträge mehr, so wie Alma Diffie. Sie ist Maskenbildnerin und im Juli klang ihre Situation noch so: "Ich habe bisher nicht gearbeitet. Generell versuche ich gerade nicht viel Geld auszugeben."
EIne Frau mit Maske und dickem Wintermantel schminkt eine Schauspielerin auf einem Stuhl.
Mit der Maske ans Make-up - Maskenbildnerin Alma Diffie findet das anstrengend.© Alma Diffie
Im Dezember 2020 will ich wissen, wie sich die Situation verändert hat. Alma sagt, es läuft besser, denn seit November haben viele Filmschaffende einen neuen Status in Kalifornien.
"Wir sind jetzt essenzielle Arbeitskräfte – und das heißt, die meisten in Hollywood arbeiten jetzt."

Strikte Regeln für die Dreharbeiten

Der neue Status macht es für die Produktionen einfacher, Drehs zu organisieren, denn eigentlich sollen größere Menschenansammlungen, vor allem in Los Angeles, unterbunden werden. Seit dem Sommer gibt es konkrete Sicherheitsvorschriften für Filmsets. Regelmäßige Schnelltests zum Beispiel, keine offenen Buffets, alle Arbeitskräfte, die nicht vor der Kamera stehen, müssen Maske tragen, zum Teil Handschuhe, Schutzbrille – auch Alma, die als Make-up-Künstlerin besonders nah dran ist an den Menschen. Es sei schon anstrengend, sagt sie.
"Sie nennen es Masken-Müdigkeit, das ist ein echtes Ding. Es ist kräftezehrend. Man vergisst manchmal, dass man all dieses Zeug im Gesicht hat und man will ein Wasser trinken und merkt dann, dass man gegen das Gesichtsschild stößt. Man trägt die Sachen zwölf Stunden, während der Mittagspause kann man sie aber abnehmen. Und wenn es mal eine kleine Pause gibt, versucht man sie schnell abzunehmen, um durchzuatmen."
Für Schauspieler gilt: Während den Drehpausen müssen sie ihre Masken wieder anziehen – aus Sicherheitsgründen. Für die Maskenbildnerin ein Albtraum. "Wenn ich an einem Schauspieler arbeite, dann machen wir das ganze Gesicht. Dann zieht er die Maske an und ich muss sehen, wie das hält. Es ist schwierig."
Trotzdem: Alma Diffie ist froh, dass sie arbeiten kann.

Drehen dort, wo die Fallzahlen niedriger sind

"Es war nicht so viel möglich, wie es hätte sein sollen." Das sagt Thure Riefenstein über 2020. Der deutsche Schauspieler lebt und arbeitet normalerweise in den USA und in Deutschland. Einige Zuschauer haben ihn vielleicht schon in deutschen Krimis gesehen: in der Polizeiserie "Soko" zum Beispiel.
Im Dezember 2020 spielte er im neuen "Tatort" den Gegenspieler von Kommissarin Lena Odenthal. Im April, zu Beginn des Lockdowns in Los Angeles hatten wir zuletzt gesprochen. Damals war arbeitstechnisch eher Flaute: Viele Drehs mussten gestoppt werden. Mittlerweile dreht Riefenstein wieder, allerdings erst einmal in Deutschland und nicht in den USA. In Deutschland war es vor allem einfacher zu drehen, da die Coronavirus-Fallzahlen niedriger waren.
"In Deutschland hat sich das aufgrund der günstigeren Lage im Sommer tatsächlich so ergeben, dass hier mehr gedreht wird. Es ist teilweise so, dass keine Drehteams zur Verfügung standen. Die gute Nachricht ist, dass gedreht werden kann - mit strengen Hygienekonzepten."
Ein lächelnder Mann mit Schnauzer, grauem Jacket und Krawatte.
"Die gute Nachricht ist, dass gedreht werden kann - mit strengen Hygienekonzepten", sagt der deutsche Schauspieler Thure Riefenstein.© Thure Riefenstein
Ein Hygienebeauftragter am Set überwacht, dass alle Vorschriften eingehalten werden. Das gilt für deutsche, aber auch für amerikanische Filmsets. Und doch passiert es, dass sich jemand mit dem Virus infiziert. Bei den Dreharbeiten zu dem neuen Comic-Film "Batman" in Großbritannien steckte sich Hauptdarsteller Robert Pattinson mit Covid-19 an. Das hieß: Drehpause, zwei Wochen ging gar nichts. Die Mehrkosten für den Ausfall dürften sich auf Hunderttausende, wenn nicht Millionen US-Dollar belaufen.

Wenn Tom Cruise anfängt zu schreien

Wie angespannt die Situation ist, wird klar, wenn man hört, wie Hollywoodstar Tom Cruise einen Mitarbeiter am Filmset zur Fortsetzung von "Mission Impossible" anschreit, der gegen das Corona-Protokoll verstoßen hat. Die britische Zeitung "The Sun" veröffentlichte das Audio des Ausrasters, in dem Cruise dem Mitarbeiter vorwirft, er gefährde die ganze Industrie, riskiere, dass Menschen ihre Häuser oder Jobs verlieren könnten.
Trotz vieler Schutzmaßnahmen mussten im Januar 2021 in Hollywood viele Dreharbeiten der großen Studios von Disney bis Universal außerdem wieder pausieren. Zu viele Coronavirusfälle an den Sets, zu viele infizierte Mitarbeiter. Und das bei einer dramatischen Lage im Großraum von Los Angeles, denn viele Krankenhäuser melden, dass sie keine Plätze mehr auf den Intensivstationen frei haben.
Für die Studios bedeutet die Coronapandemie vor allem Geldeinbußen und zwar gewaltige. Mit mindestens 20 Milliarden US-Dollar Verlust rechnet man in der US-Filmbranche. Nicht zuletzt auch, weil viele Kinoblockbuster 2020 nie das Licht der Leinwand erblicken konnten.

Auch in den USA sind sehr viele Kinos geschlossen

Einer der ersten großen Filme, die vom Coronavirus sozusagen befallen wurden, war der neue "James Bond"-Film "Keine Zeit zu sterben". Zuerst war der Verleiher Universal optimistisch, dass der Start von Frühling auf Herbst 2020 verschoben werden konnte. Mittlerweile lautet der neue Starttermin April 2021. James Bond folgten Dutzende weitere große Filme. Der Grund: sehr viele Kinos waren geschlossen, in den USA und weltweit.
Zwei große verrammelte Türen des Kinos Arclight in LA.
Viele Kinos weltweit sind derzeit geschlossen - so wie dieses in Los Angeles.© Katharina Wilhelm, ARD-Studio Los Angeles
Eine ganz merkwürdige Zeit, auch für Filmjournalisten wie zum Beispiel John Horn vom öffentlichen Radiosender NPR. Sein Job ist es normalerweise regelmäßig zu Filmpremieren zu fahren und Filmschaffende zu treffen. Jetzt beschäftigt er sich in seinem Podcast "Hollywood – The Sequel" zu Deutsch: "Hollywood – die Fortsetzung", mit der Frage, wie die Pandemie das Filmgeschäft nachhaltig verändert.
"Den einzigen Film, den ich im Kino gesehen habe, war "Tenet". Dafür bin ich extra nach Las Vegas gefahren, denn ich hatte das Gefühl, diesen Film auf einer Leinwand sehen zu müssen."
In Las Vegas hatten die Kinos auf, mit geringerer Kapazität, Maskenpflicht und Abstandsregeln. Damit sind die Kinobetreiber dort etwas besser dran, als in der Filmstadt Los Angeles, wo seit März alle Kinos geschlossen sind.

Hat das Kino seine besten Tage hinter sich?

Horn sagt, der Geruch von Popcorn und Butter habe ihn sofort nostalgisch werden lassen, so riecht Kino eben. Nostalgie, Kindheitserinnerungen, große Gefühle in dunklen Räumen - keine Frage, das Kino ist ein magischer Ort. Doch das Kino hat seine besten Tage hinter sich, glaubt Horn, von der Pandemie werden sich viele Betreiber nicht erholen können. Denn selbst geöffnete Kinos können nicht so viel Publikum reinlassen wie sonst und haben in jedem Fall geringere Einnahmen, aber hohe Ausgaben.
"Sie haben Mieten, sehr hohe Fixkosten, Milliarden an Schulden, und kein Geld, das reinkommt. Wie zahlt man das? Ich denke, es wird eine massive Zahl an Schließungen geben."
Ein glatzköpfiger Mann lächelt.
Der Geruch von Popcorn und Butter macht ihn nostalgisch - der Filmjournalist John Horn arbeitet beim öffentlichen Radiosender NPR.© Josh Fogel Photography
AMC, die weltweit größte Kinokette hat bereits angemeldet, dass sie vor der Insolvenz steht. Die Vereinigung der Kinobetreiber in den USA warnte, dass 70 Prozent der kleinen bis mittelgroßen Betreiber ohne Hilfe des Staates Bankrott gehen könnten. Ihre Bitten um staatliche Hilfen blieben bis jetzt ohne Erfolg.

Vorzeitiges Streaming als Erdbeben für die Branche

Und dann kam eine Meldung, die die Branche in ihren Grundfesten ziemlich erschüttert hat: das Studio Warner Bros. will 2021 mindestens 17 Filme gleichzeitig im Kino sowie auf ihrer eigenen Streaming-Plattform HBO Max herausbringen. Darunter Blockbuster wie der Science-Fiction Film "Dune" oder die Comic-Adaption "Suicide Squad".
Normalerweise gilt, dass Kinos mindestens einige Wochen lang exklusiv das Recht haben, Filme zu zeigen, bevor die Studios sie auf andere Plattformen verkaufen. In der Regel zwei bis vier Monate. Eine jahrzehntealte Regelung, die plötzlich aufgehoben wird. Dies sei in der Branche ein Erdbeben der Stärke acht, meint Filmjournalist Horn.
"Die Aussteller hatten alle Macht der Welt. Sie konnten entscheiden, welche Filme im Kino gezeigt werden und wie lang. Die Pandemie hat ihnen das weggenommen. Wir haben es mit dem Universal Kinderfilm 'Trolls Worldtour' gesehen, der als Video on Demand, als Kaufvideo, veröffentlicht wurde. Dann hat Disney seinen Musicalfilm 'Hamilton' anstatt im Frühjahr 2021 plötzlich auf seiner eigenen Streaming-Plattform veröffentlicht. Damit war klar: das betrifft nicht nur ein Studio. Warner hat realisiert, dass die Pandemie noch nicht sofort enden wird und hat beschlossen, dass das Filmjahr 2021 für die Multiplex-Kinos gelaufen ist."

"Die Kinos sind selbst schuld"

Noch vor einem Jahr hätten sich die Kinos gegen so einen Schritt eines Filmstudios gesperrt und Filme von Warner Bros. einfach boykottiert. Doch ihre Rolle ist geschwächt und sie seien selbst daran schuld, meint John Horn.
"Die Aussteller haben sich nur schwer an Veränderungen anpassen können. Sie waren spät dabei, digitale Projektoren anzuschaffen, 3D anzubieten. Sie waren immer einen Schritt zurück. Und sie hätten eine Chance gehabt im 21. Jahrhundert anzukommen, aber sie haben beschlossen, dass Streaming der Feind und keine Partnerschaft möglich ist."
Branchenexperten sind sich einig: Das Zeitalter des Streamens ist angebrochen und lässt die Kinos wahrscheinlich hinter sich. Das sieht man nicht nur daran, dass Studios ihre Filme gleichzeitig oder mit nur zwei Wochen Wartezeit dem Publikum daheim anbieten.

Die Pandemie hat die Studios viel Geld gekostet

Die Pandemie hat die meisten Studios wie Warner, Sony, Disney und Universal viel Geld gekostet. Vor allem der Unterhaltungs-Gigant Disney hat dies zu spüren bekommen. Die Vergnügungsparks und Kreuzfahrten, die Disney auch unterhält, verschlingen ohne betrieben zu werden hohe Summen. Mehr als 30.000 Mitarbeiter von Disney mussten entlassen werden.
Die meisten großen Medienhäuser in den USA haben mittlerweile eine eigene Plattform aufgebaut, um den Streaming-Platzhirschen Netflix oder Amazon Prime Video die Stirn bieten zu können. So viel Auswahl an Streaming-Plattformen wie im Jahr 2020 gab es in den USA noch nie.
Schneebedeckte Berge sind hinter dem Hollywood-Schriftzug in Los Angeles in Kalifornien zu sehen, aufgenommen am 29. Dezember 2020.
Mehr Filme ab Frühjahr 2021? Hollywood verändert sich durch Corona.© picture alliance / ZUMAPRESS.com | Ringo Chiu
Das Filmjahr 2021 wird anders aussehen. Wahrscheinlich weniger Filmpremieren, viele Veröffentlichungen direkt auf Streaming-Plattformen. Weil viele Filme verschoben wurden, könnten Kinofans möglicherweise ab Frühjahr oder Mitte 2021 mit einer reichen Auswahl belohnt werden. Darunter beispielsweise der Marvel-Film "Black Widow" mit Scarlett Johansson, eine Fortsetzung von "Top Gun" mit Tom Cruise. Das Science-Fiction-Drama "Dune", der "Wüstenplanet" oder eine erneute Neuauflage der "Ghost Busters". Dass einige Filme auch direkt per Streaming verfügbar sein werden, das hält Filmjournalist John Horn für gar keine schlechte Nachricht.
"Einer der merkwürdigen Vorteile, der dadurch entsteht ist, dass Independentfilme bessere Chancen haben, gesehen zu werden. Kleinere Arthouse-Filme wie Frances McDormands 'Nomadland' haben in den USA keine Chance zum Beispiel auf dem Land in Kentucky zu laufen, weil es dort wenig Kinos gibt. Aber über das Streaming-Angebot kann man sie sehen, egal wo man wohnt."

Weniger Blockbuster, mehr Arthouse

Manche Branchen-Experten meinen sogar, durch die Veränderungen hin zum Streaming könnte es weniger große Blockbuster-Filme geben, die ja vor allem für das große Kinoerlebnis gedreht wurden. Auch John Horn glaubt, dass kleinere Arthouse-Filme vielleicht bessere Chancen haben könnten, realisiert zu werden.
"Wenn man ein ausführender Produzent eines Studios ist, weiß man, dass ein Marvel-Film vielleicht 500 Millionen US-Dollar kostet, wenn nicht mehr – die Kosten muss man erst wieder reinholen. Man braucht tausende Leute, die an dem Film mitarbeiten. Und wenn man auf der anderen Seite einen Independent-Filmemacher hat, vielleicht eine Frau, weil ich will, dass eine Frau Regie führt; und sie kann das in 35 Tagen machen für fünf Millionen Dollar. Und die Kritiker mögen den Film auch noch, denn er wird qualitativ besser sein als ein Marvel-Film, warum sollte man den nicht drehen wollen?"
Auch wichtige Filmpreise wie zum Beispiel die Oscars oder die Golden Globes werden vermutlich anders aussehen in 2021. Details sind noch nicht bekannt. Aber die ursprünglichen Daten von Anfang des Jahres wurden bereits verschoben auf den Frühling. Doch schon jetzt ist klar: Es werden wohl noch mehr Filme berücksichtigt, die von Streaming-Plattformen wie Netflix, Hulu oder Apple TV+ produziert wurden.
Bislang war es so, dass nur filmische Werke eine Chance auf eine Oscar-Nominierung hatten, wenn sie mindestens an sieben aufeinanderfolgenden Tagen in einem Kino in Los Angeles zu sehen waren. Weil die Kinos in LA allesamt zu sind, dürfen deswegen auch reine Streaming-Filme zugelassen werden. Eine einmalige Ausnahme, wie die Oscar Academy betont.
2020 hat Hollywood verändert – und viele Entwicklungen werden sich nicht zurückdrehen lassen. Doch noch ist nicht klar, wann die Normalität wieder einkehren wird, wann ohne Maske, Handschuhe und Schutzbrille gearbeitet wird.
"Ich setze auf den Impfstoff, ich denke, dass man uns auffordern wird, ihn zu nehmen", meint Maskenbildnerin Alma Diffie. In jedem Falle heißt es: Corona und Hollywood – Fortsetzung folgt.
Mehr zum Thema