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Gesetzliche Hürden
Keine Psychotherapie für traumatisierte Flüchtlinge?

Laut Gesetz haben traumatisierte Flüchtlinge in Deutschland Anspruch auf eine Psychotherapie. In der Realität scheitern aber viele an Bürokratie und gesetzlichen Hürden. In einem Fall etwa blieb ein Therapeut auf seinen Kosten sitzen.

Von Isabel Fannrich-Lautenschläger | 18.01.2018
    Flüchtlinge warten in der Erstaufnahmestelle in Suhl auf ihre Registrierung.
    Viele Asylbewerber haben in der Heimat oder auf der Flucht Traumatisierendes erlebt (dpa-Bildfunk / arifoto UG)
    Die Privatpraxis von Ahmed Al-Hafedh war bis vor kurzem eine wichtige Anlaufstelle in der Potsdamer Innenstadt. Weil der gebürtige Iraker nicht nur Arabisch und Deutsch, sondern auch Französisch und Englisch spricht und ohne Dolmetscher therapieren kann, suchten ihn immer mehr geflüchtete Menschen auf.
    "Wir sprechen über Menschen, die schon sehr Schwieriges erlebt hatten, die ihre Familien verloren hatten, die teilweise alleine hier waren. Es waren viele Frauen dabei, Mütter, es waren auch verwitwete ältere Männer – Schicksale, die mich sehr getroffen haben."
    Viele Flüchtlinge, die hierherkommen, sind durch Krieg und Flucht schwer traumatisiert, doch die Wartelisten für eine Psychotherapie sind – ebenso wie für viele Deutsche – lang. Vor zweieinhalb Jahren beantragte Ahmedh Al-Hafedh daher beim Zulassungsausschuss der Ärzte in Brandenburg eine sogenannte Ermächtigung. Denn seit 2015 ist es Psychotherapeuten und Institutionen ohne Kassenzulassung erlaubt, Psychotherapie für Flüchtlinge anzubieten, die von der Kassenärztlichen Vereinigung bezahlt wird.
    Die Bedingung: Der Geflüchtete muss eine schwere Form psychischer, physischer oder sexueller Gewalt etwa durch Flucht oder Vergewaltigung erlebt haben. Und er muss bereits Leistungen nach Paragraph 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes beziehen, sich also länger als 15 Monate in Deutschland aufhalten.
    Doch keine Kostenübernahme
    Al-Hafedh bekam die Erlaubnis und begann, immer mehr Psychotherapien für Flüchtlinge anzubieten. Insgesamt 25 Patienten hatte er, sieben Monate lang.
    "Kurz vor der Ermächtigung hat es sich so entwickelt, dass ich dann mit der Ermächtigung plötzlich eine sehr wichtige Quelle geworden bin, eine sehr wichtige Zentrale hier in Potsdam für psychisch kranke Menschen, die Asylbewerber gewesen sind. Und das hat sich dann wie ein Lauffeuer verbreitet, und dann habe ich relativ schnell eine volle Praxis gehabt."
    Doch dann der Schock: Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) wollte die vielen Sitzungen nicht vergüten. Al-Hafedh ist sicher, der Zulassungsausschuss habe ihm mündlich zugesagt, dass er auch neue Patienten aufnehmen kann, die sich bereits im Asylverfahren befinden. Bei der KV allerdings heißt es auf Nachfrage, die mündliche Zusage sei eine nicht nachvollziehbare Behauptung.
    "Es entpuppte sich als Katastrophe. Und plötzlich kam dann diese Verkündung der Nicht-Kosten-Erstattung der KV. Und das war natürlich ein riesengroßer Schock."
    Die Angelegenheit ist kompliziert: In den ersten 15 Monaten seines Aufenthaltes wird die Therapie eines Flüchtlings vom Sozialamt bezahlt, danach von der Kassenärztlichen Vereinigung. Ursprünglich sollte das Gesetz aus dem Jahr 2015 sicherstellen, dass bei diesem Übergang die Therapie weiterläuft und eine Behandlung während des Asylverfahrens auch durch qualifizierte Therapeuten ohne Kassenzulassung sicher gestellt ist.
    Eingeschränkter Patientenkreis
    Ahmed Al-hafedh ist nicht der einzige, der mit der neuen Regelung Probleme hat, betont Silvia Schriefers von der "Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer", kurz BAfF. Fast die Hälfte der Kassenärztlichen Vereinigungen, darunter die in Brandenburg, engt den Kreis der leistungsberechtigten Asylbewerber stark ein – mit dem Argument, die Weiterbehandlung müsse gesichert werden.
    Allerdings beginnen Flüchtlinge nur selten in den ersten 15 Monaten in Deutschland eine Therapie, hält Silvia Schriefers von der BAfF dagegen:
    "Das ist eigentlich ein Unding, dass, wenn das Bundesministerium für Gesundheit eine neue Regelung anstößt, dann die Kassenärztlichen Vereinigungen der Länder das willkürlich, nach eigenem Ermessen komplett unterschiedlich auslegen. Ich denke, das hat etwas mit Kosten zu tun, dass man die Kosten der Behandlung begrenzt halten möchte. Ich glaube, man hatte im Sinn mit der Regelung, dass man die Zielgruppe eingrenzen möchte."
    Das Problem geht noch weiter: Wenn jemand als Flüchtling anerkannt wird, eine Arbeit oder Ausbildung aufnimmt, muss die Behandlung beim ermächtigten Therapeuten abgebrochen werden – er muss dann zu einem Psychotherapeuten mit Kassenzulassung.
    Ist die umfassende Versorgung politisch nicht gewollt?
    Christine Meuth hält diese komplizierten Regelungen für absurd. Die Verhaltens- und Traumatherapeutin aus Berlin behandelt Geflüchtete aus Afghanistan, Syrien, dem Nordirak und Iran.
    "Was ist mit diesen Menschen, die jetzt in Therapie sind, zum Teil komplex traumatisiert. Das wäre mir ein großes Anliegen, dass ich zumindest die Therapien, die ich begonnen habe, auch uneingeschränkt zu Ende bringen kann. Und das ist auch aus fachlicher und aus ethischer Sicht absolut zu vertreten."
    Christine Meuth hat eine Ermächtigung der Berliner Kassenärztlichen Vereinigung. Doch auch die will Kosten sparen und die Gruppe Geflüchteter eingrenzen, die behandelt werden darf, vermutet die Therapeutin. Ab 1. April kann sie neue Fälle nur dann annehmen, wenn die Betroffenen sich noch nicht im Asylverfahren befinden – mit der Begründung, die spätere Weiterbehandlung gewährleisten zu wollen. Christine Meuth bezeichnet die Regelung als Feigenblatt. Die umfassende therapeutische Versorgung von Geflüchteten sei politisch nicht gewollt, glaubt sie.
    Beschämend, Patienten abweisen zu müssen
    Ahmed Al-hafedh kämpft derweil juristisch um sein Honorar. Den Großteil der Flüchtlinge musste er wieder wegschicken, zwei behandelt er noch, allerdings ehrenamtlich.
    "Das ist keine schöne Sache. Das ist eine sehr beschämende Sache, jemanden damit zu konfrontieren, dass ich ihn quasi auf die Straße setze, weil ich das nur für das Geld mache sozusagen."