Computerspiele machen nicht blöd

06.01.2013
Immer mehr Menschen erliegen der Faszination der Computerspiele. Jane McGonigal ist eine der innovativsten Spieleentwicklerinnen und stellt die spannende Frage: Was, wenn man die ungeheure Kreativität, die Leidenschaft und das Engagement der Spieler auch in der echten Welt nutzen könnte?
Ob Super Mario, World of Warcraft, Tetris oder Guitar Hero: Computerspiele faszinieren und begeistern. Dass Menschen spielen, ist keineswegs neu. Schon immer haben Menschen gespielt. Seitdem es Computer- und Videospiele gibt, wird allerdings besonders viel gespielt: Über drei Milliarden Stunden verbringen Spielefans weltweit jede Woche mit Spielen. Die Zahl wächst sogar, denn immer mehr Menschen erliegen der Faszination der digitalen Spielewelten.

Vor allem alle Nicht-Gamer beklagen den Trend. Sie befürchten Isolation und Kulturverfall. Ein völlig falscher Ansatz, meint Jane McGonigal, die selbst Spiele entwickelt und laut "BusinessWeek" eine der zehn wichtigsten und innovativsten Spieleentwicklerinnen der Welt ist. Doch McGonigal programmiert nicht nur Spiele, sie setzt sich auch inhaltlich und generell mit dem Phänomen Spiele auseinander. Die Amerikanerin stellt die spannende Frage: Wie lässt sich dieses ungeheure Potenzial, die immense Kreativität, die Leidenschaft und das Engagement, das viele ins Spielen investieren, für die reale Welt nutzbar machen?

Dass so viele Menschen - übrigens keineswegs nur jüngere - ihre Zeit mit Computerspielen verbringen, hat einen einleuchtenden Grund: Spiele bieten Herausforderungen und Belohnungen, auch Triumphe - alles Aspekte, die uns die reale Welt allzu oft vorenthält. Doch Spiele setzen auch ungeheures Potenzial frei: Spieler arbeiten sich in Systeme ein und sind stark motiviert. Für Jane McGonigal sind Gamer hoch kompetente Problemlöser und passionierte Teamplayer.

Das Sachbuch "Besser als die Wirklichkeit" bietet äußerst interessante Einblicke in die Welt der Computerspiele. Vor allem Nicht-Gamer profitieren von den einleuchtenden Erläuterungen: Warum sind Spiele für so viele Menschen reizvoll, wie funktionieren (gute) Spiele, was bewirken sie beim Spieler, wieso wenden so viele Menschen gerne so viel Zeit und Energie auf, um in virtuellen Welten Probleme zu lösen, die es ohne die Spiele gar nicht gäbe? Es ist vor allem das Feedback und die Belohung der Spiele.

Wer selbst nicht spielt, bekommt durch die Lektüre eine Menge "Aha"-Erlebnisse. Auch wenn man danach vielleicht immer noch nicht selbst spielen mag, man entwickelt auf jeden Fall sehr viel mehr Verständnis dafür, wieso es so viele Gamer gibt und wo der Reiz liegt.

Doch McGonigal geht sogar einen entscheidenden Schritt weiter. Sie fordert: Nutzen wir die enormen Ressourcen, um gesellschaftliche, wirtschaftliche oder medizinische Probleme aus der echten Welt zu lösen. Ein interessanter Ansatz, der durchaus realisierbar ist. Ein neuer und vor allem überzeugender Blick auf die positive Wirkung, die in Spielen steckt.

Ein Buch, das angenehm zu lesen ist, weil undogmatisch geschrieben, jederzeit verständlich und auch Brücken bauend. All jene, die gerne der vor allem in Deutschland weit verbreiteten Ballerspiel-Rhetorik verfallen, kann die Lektüre nur empfohlen werden. Umfassender, unterhaltsamer und aufschlussreicher kann man sich mit dem Thema kaum nähern.

Besprochen von Jörg Schieb

Jane McGonigal: Besser als die Wirklichkeit
Heyne Verlag, München 2012
495 Seiten, 19,99 Euro
Mehr zum Thema