Computer mit Gefühlen

Rezensiert von Jörg Plath · 18.09.2006
Zurück zur Natur - aber bitte mit Technik! Eine harmonische Symbiose der Schöpfung, einen neuen Biorealismus, propagiert Robert Frenay in seinem Buch "Impuls". Sein "neues Zeitalter" beschert uns Computer mit Gefühlen, Geld, das natürliche Energieströme nachahmt und Schiffe, die wie Fische schwimmen.
Revolutionär ist heute jedes neue Föhnmodell. Skeptisch liest man daher Robert Frenays Ankündigung, in seinem Buch "Impuls" werde er eine "viel versprechende Aussicht auf ein neues Zeitalter" bieten. Zumal der nordamerikanische Wissenschaftsjournalist das Neue dank "zeitloser Ideen" heraufziehen sieht: dank der Gesetze der Biologie.

Ein "Biorealismus", so Frenay, werde das Maschinenzeitalter ablösen und alle Lebensbereiche des Menschen umgestalten. Wem die Rede von der Biologie als neuer Leitwissenschaft bisher immer etwas abstrakt klang, der erhält bei Frenay Anschauungsunterricht.

Sein 620-Seiten-Werk zerfällt in drei große Abschnitte. Die Erwartungen, die der Untertitel "Das kommende Zeitalter naturinspirierter Systeme und Technologien" weckt, scheint schon der erste Abschnitt vollends einzulösen. Er handelt von technischen Innovationen nach dem Vorbild der Natur: von Nano-Robotern, die ihre Energie wie Zellen gewinnen, von Robotertieren und -spielzeugen, von Genen nach Wunsch, Computersehhilfen, künstlichen Stoffen mit Formgedächtnis, denkenden Maschinen und solchen, die ihrerseits Maschinen bauen.

Frenay schildert auch Forschungen zur Produktion von künstlichem Leben. Staunend, zuweilen auch schaudernd folgt der Leser dem Autor, der nur selten von den Gefahren der Neuerungen spricht.

Um diese kommenden Umwälzungen zu verstehen, müsse man, so Frenay, die "Funktionsweise großer biologischer Systeme" kennen. Im zweiten Abschnitt widmet er sich daher der Ökologie. Im Mittelpunkt steht die Landwirtschaft, die "in die Hände von Radikalen" geraten sei, die den Boden verwüsteten und Energie verschleuderten. Frenay stellt ökologische Bewirtschaftungsmethoden und integrierte Schädlingsbekämpfung für Felder und Wälder vor, spricht über neue Urbanität und dezentrale Energieerzeugung. Im Allgemeinen - nicht aber in dieser Detailliertheit - dürfte Vieles davon dem aufmerksamen Zeitgenossen in Deutschland vertraut sein.

Der dritte Abschnitt widmet sich globalen Problemen. "Industrieökologie" soll die Probleme Klimaerwärmung, Energie- und Rohstoffverschwendung sowie die unmittelbar bevorstehende Energieknappheit lösen. Frenay setzt nicht nur auf technische Lösungen wie die Kreislaufwirtschaft: in der der Abfall der durch die eine Produktion verursacht wurde der Rohstoff einer anderen ist, anstatt einfach auf der Deponie zu landen.

Er propagiert auch eine andere Form des Wirtschaftens: Die Golddeckung der Währungen soll erneut eingeführt und der Zins abgeschafft werden. Damit soll Geld wieder zum konkreten, unverzerrten Maßstab der Realität werden: "Echtes Geld" nennt es Frenay, und geht damit weit über die von ihm nicht erwähnte Tobin-Steuer hinaus, die die Globalisierungskritiker von "Attac" fordern.

Zu guter letzt soll sich auch die Kultur erneuern: freie Meinungsäußerung und freie Märkte anstelle von Lobbyismus, Werbung und Kartellen.

Robert Frenay kehrt in "Impuls" mit dem Textverarbeitungsprogramm als Besen all das zusammen, was sich derzeit als Ausweg aus verschiedensten Krisen anbietet. Frenay wechselt gut lesbar zwischen Reportage und Wissenschaftsjournalismus, um so unterschiedliche Dinge wie Technikbegeisterung und Ökologie, neoliberale Überzeugungen - weniger Staat, weniger Steuern - und umfassende Wandlungsbereitschaft zu vereinen.

Computer sind für ihn das einzigartige Hilfsmittel des neuen Zeitalters. Ansonsten brauche es nur Einsicht in grundlegende Prinzipien der Biologie wie Evolution, Emergenz und Selbstorganisation - sowie die Kenntnis der zwei Hauptsätze der Thermodynamik, nach denen im Universum keine Energie verloren geht, sich jedoch stetig verdünnt.

An Verständnisproblemen dürfte der "Biorealismus" kaum scheitern. Schon eher an seinem rigoros simplifizierten Bild von der Biologie. Über die Mechanismen der Evolution herrscht nämlich unter Wissenschaftlern keineswegs Einigkeit. Und von Wahrheiten sprächen sie auch nicht. Stutzig machen zudem Formeln wie die "goldene Mitte", auf die die Biologie vermeintlich stets hin steuere. Oder dass wir gegenwärtig abgeschnitten seien "von unseren unmittelbaren Reaktionen auf die Natur" und "kein instinktives Gefühl für Grundsätzliches mehr" hätten. Robert Frenay liefert technisch avancierte Ökoesoterik. Neu ist an seinem "neuen Zeitalter" nur die Technik.

Robert Frenay: Impuls. Das kommende Zeitalter naturinspirierter Systeme und Technologien
Übersetzt von Sebastian Vogel
Berlin Verlag, August 2006
624 Seiten, 29.90 Euro