Commonwealth Games in Glasgow

Die Spiele der Königin

Clyde - das offizielle Maskottchen der Commonwealth Games in Glasgow, 2014
Clyde - das offizielle Maskottchen der Commonwealth Games in Glasgow, 2014 © picture alliance / dpa
Von Ronny Blaschke · 20.07.2014
Seit mehr als 80 Jahren gibt es die Commonwealth Games – die olympisch inspirierten Wettkämpfe von Sportlern und Sportlerinnen aus Großbritannien und seinen ehemaligen Kolonien. In diesem Sommer finden sie im schottischen Glasgow statt. Die frühere Industriestadt erhofft sich eine neue Blüte und die schottische Regierung wünscht sich patriotische Gefühle.
Der Osten von Glasgow. Das lebendige Zentrum mit seinen Bürokomplexen, Museen und Bars ist nur fünfzehn Gehminuten entfernt, und doch glaubt man hier in einer anderen Welt zu sein. Die Londoner Zeitung Times bezeichnete den Stadtteil als härteste Gegend Großbritanniens. An der Haltestelle Bridgeton sind am späten Machmittag kaum Menschen auf der Straße. Die beschmierten Rollläden der Geschäfte sind heruntergelassen, daneben zerschlagene Schaufenster und bröckelnder Putz. Junge Männer mit geschorenen Haaren und Kapuzenpullis decken sich mit Dosenbier ein. An der Ecke gegenüber hat George Redmond sein Büro. Wie seine Eltern und Großeltern hat auch er sein Leben im Osten Glasgows verbracht. Seit der Jugend engagiert er sich für die Gemeinde. Seit 1999 sitzt Redmond im Stadtrat, für die Arbeiterpartei Labour.
„Ich denke, es gibt viele Probleme in dieser Gegend. Zum Beispiel die Herausforderungen im Gesundheitswesen: Viele junge Menschen trinken zu viel Alkohol, ernähren sich ungesund und treiben zu wenig Sport. Für manche ist das zum Lifestyle geworden, sie fühlen sich von der Arbeitswelt abgehängt. Wir wollen ihnen helfen, aber das ist oft schwer. Denn viele haben keine Agenda, keinen Antrieb. Das ist sehr frustrierend.“
Die 120.000 Einwohner in Glasgow East bekommen die Rezession besonders zu spüren. Mietrückstände, Jugendkriminalität, Drogenkonsum. Dreißig Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung sind ohne Job. Im Stadtviertel Calton liegt die Lebenswartung der Männer bei Mitte fünfzig – also mehr als zwanzig Jahre unter dem britischen Durchschnitt. In keiner Region Europas sterben so viele Menschen an Alkoholkonsum. Doch George Redmond will nicht aufgeben. Im Hauptberuf ist er Filialleiter einer Genossenschaftsbank. Abends schiebt er Projekte an: Hausaufgabenhilfe, Gesundheitsvorsorge und moderne Stadtplanung.
„Wir hatten eine große Industrie. Aber ab den frühen siebziger Jahren ist vieles weggebrochen: Und niemand machte sich Gedanken, wie dieser Verlust ausgeglichen werden könnte. In dieser Gegend sind innerhalb von zwanzig Jahren fast siebzig Prozent der Einwohner weggezogen. Ins Umland oder in andere Stadtteile.“
Glasgow war lange zweitwichtigstes Wirtschaftszentrum
Wer mehr über die Geschichte der größten Stadt Schottlands erfahren möchte, sollte das Tenement House aufsuchen. In diesem typischen Stadthaus aus dem 19. Jahrhundert wurden Alltagsansichten einer Arbeiterin konserviert. In engen Räumen mit knarzdendem Parkett, vergilbten Tapeten und rissigen Möbeln. Die aus Belfast stammende Mitarbeiterin Rachel Kacir führt Gäste durchs Haus, die Historikerin hat sich intensiv mit der Geschichte Glasgows beschäftigt.
„Glasgow war eine blühende, wohlhabende Stadt in der viktorianischen Epoche. Die Stadt war ein Zentrum für Schiffbau und Handel. Doch die Unterschiede zwischen Arm und Reich waren enorm. Arbeiter lebten in Häusern wie diesem hier, mit ein oder zwei kleinen Räumen. Und auf der anderen Seite konnten sich Geschäftsleute prächtige Häuser leisten. Aus technologischer Sicht war Glasgow eine sehr fortschrittliche Stadt, sie galt lange als zweitwichtigstes Wirtschaftszentrum im Königreich hinter London.“
Der Osten Glasgows prägte die Industrialisierung Schottlands, viele Zuwanderer vor allem aus Irland erhofften sich eine blühende Zukunft. In Fabriken, Destillerien und Webereien. Im Laufe des 20. Jahrhunderts zerbricht das Britische Imperium, mit der Globalisierung verschwinden ganze Industriezweige. Der Schiffbau wandert nach Asien ab, die letzten Hochöfen werden Mitte der siebziger Jahre still gelegt. Neue Einkaufszentren können den Aderlass der Arbeitsplätze nicht stoppen. Rachel Kacir.
„Wir haben viele Besucher aus Australien, Kanada und Amerika, deren Eltern und Großeltern aus Schottland stammen und in diesen kleinen Stadthäusern aufgewachsen sind. Sie wollen sehen, wie ihre Vorfahren gelebt haben. Und viele dieser Besucher kommen mit Vorurteilen. Sie glauben, dass Glasgow eine dreckige Stadt ist, in der es viel Gewalt gibt. Doch wenn sie sich umschauen, erkennen sie, dass Glasgow lebenswert ist. Die Museen sind weltklasse, es gibt Musikveranstaltungen, jeden Abend ist etwas los.“
Hohe Investitionen in die Infrastruktur der Stadt
Politiker, Aktivisten und Kulturschaffende haben viele Ideen entwickelt, um ihrer Stadt eine neue Bedeutung zu geben. Nach einer breiten Marketingkampagne wurde Glasgow 1990 zur Europäischen Kulturhauptstadt ernannt. Gartenplanung, Architektur, Design: Immer wieder bemühte sich die Verwaltung um öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen und Wettbewerbe. Oben auf der Agenda: der Sport. In diesem Sommer finden in Glasgow die Commonwealth Games statt, das größte Sport- und Kulturereignis in der Geschichte Schottlands. Nun soll der Fortschritt auch im gebeutelten Osten der Stadt ankommen, sagt Shona Robison, Ministerin Schottlands für Gesundheit und Sport.
„Die Investitionen in die Infrastruktur belaufen sich auf eine Milliarde Pfund. Es gibt neue Straßen und Sportstätten, der Nahverkehr wurde verbessert. Es wurden 6000 Jobs geschaffen, von denen viele erhalten bleiben werden. Achtzig Prozent der beteiligten Firmen haben ihren Sitz in Schottland. Einige sind sehr klein, sie haben eine schwere Rezession hinter sich, und vielleicht konnten sie gerade durch die Commonwealth Games überleben. 5000 junge Menschen haben durch die Spiele einen Ausbildungsplatz oder ein Praktikum erhalten. Gerade der Osten von Glasgow hat sich stark gewandelt.“
Den Zuschlag für die Commonwealth Games hat Glasgow 2007 erhalten. Ähnlich wie die Olympia-Planer von London 2012 betrachten die Schotten ihr Sportereignis als Stadtentwicklung. Das Herz der Spiele wird im östlichen Stadtgebiet liegen: Die Eröffnung findet im Fußballstadion von Celtic statt. Daneben ist ein moderner Sportkomplex entstanden. Die Radrennbahn trägt den Namen des sechsmaligen Olympiasiegers Chris Hoy, einer schottischen Ikone. Nicht weit entfernt liegt das Athletendorf für sechstausend Teilnehmer. Es soll später 700 Wohnungen und einem Seniorenheim Platz bieten. Shona Robison.
„Es gibt mehr als fünfzig Programme, die auf die Nachhaltigkeit der Spiele setzen. Wir hoffen, dass viele Menschen mehr Sport treiben und sich gesünder ernähren. Das würde ihr Selbstvertrauen stärken. Auch die Schulen sollen sich daran noch mehr ausrichten. Dieser Wandel passiert nicht über Nacht, die Programme sind auf einige Jahre ausgelegt. Es ist uns wichtig, die Psychologie zu ändern.“
Vergleichbare Effekte haben die Commonwealth Games 2002 in Manchester gehabt. Auch deshalb war die Unterstützung für die Spiele in Glasgow parteiübergreifend. In der Bevölkerung regte sich kaum Widerstand. Die Fußball-Weltmeisterschaften in Südafrika und Brasilien, die Europameisterschaft in Polen und der Ukraine, die Olympischen Winterspiele in Sotschi: Seit Jahren stehen Sportereignisse in der Kritik. Wegen Menschenrechtsverletzungen, Korruption, Verschwendung. Steht Glasgow dagegen für eine umsichtige Strategie?
Blick auf die schottische Stadt Glasgow
Blick auf die schottische Stadt Glasgow© picture-alliance/ dpa
Die ersten "British Empire Games" fanden 1928 in Amsterdam statt
Die Commonwealth Games sind eng mit der britischen Geschichte verbunden: 1891 entwarf der Engländer J. Astley Cooper in einem Zeitungsartikel den Plan für ein Festival. Für Literatur, Militär, Sport. Er wünschte sich weniger Konkurrenzdenken, mehr Fröhlichkeit. Die Idee für ein reines Sportereignis entwickelte der Kanadier M. M. Robinson unter dem Eindruck der Olympischen Spiele 1928 in Amsterdam. Zwei Jahre später fanden im kanadischen Hamilton die ersten British Empire Games statt. Mit 400 Athleten aus elf Ländern, erzählt Philip Barker. Er arbeitet als freiberuflicher Kolumnist und Fernsehreporter in London, seit Jahrzehnten erforscht er die Commonwealth Games.
„Wenn Sie Fotos aus den dreißiger Jahren anschauen, dann fallen Ihnen bei den Spielen viele britische Flaggen sofort ins Auge. Bei der Eröffnungsfeier und bei den Wettbewerben. Der König hielt in London eine pathetische Rede und forderte Loyalität der Athleten zur Krone. Aus heutiger Sicht sind das imperialistische Töne. Damals spielte der Bezug zum Königreich eine wichtige Rolle. Auch die Kanadier oder Australier betrachteten Großbritannien als ihr Mutterland.“
Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchsen die alle vier Jahre stattfindenden Spiele rasant, seit 1978 laufen sie unter dem Namen Commonwealth Games. Der lose Bund für das „Gemeinsame Wohl“ besteht aus 53 Ländern, mit ganz unterschiedlichen Staaten wie Australien, Ruanda, Zypern, Pakistan oder Samoa. Bei den Spielen sind mehr als siebzig Teams vertreten, auch kleine Inseln mit wenigen hundert Einwohnern, die Isle of Man, Jersey oder Guernsey. In Schottland fanden die Spiele zuletzt 1986 statt. Doch 32 Nationen boykottierten eine Reise in die Hauptstadt Edinburgh. Ihnen war die Haltung der britischen Premierministerin Margaret Thatcher gegenüber dem Apartheid-Regime in Südafrika nicht streng genug. Der Sporthistoriker Philip Barker.
„Viele Länder, vor allem in Afrika, haben in den sechziger Jahren ihre Unabhängigkeit erklärt. Der feierliche Bezug zur britischen Krone bei den Commonwealth Games ging stark zurück. Die Spiele wurden vielfältiger. Königin Elisabeth gibt sich in ihren Eröffnungsreden zurückhaltend und bescheiden, sie spricht von gemeinsamen Werten im Sport, von einer großen Familie. Der Imperialismus ist verschwunden, es gibt keinerlei Kontroversen. Vor allem für die kleinen Teams, die nicht bei Olympia starten, sind die Commonwealth Games eine große Bühne. Mit einer Medaille sind sie auf der Weltkarte.“
Netzwerke zwischen den ehemaligen Kolonien
Das Britische Imperium ist Geschichte, der politische Austausch im Staatenbund hat abgenommen. Netzwerke zwischen den ehemaligen Kolonien werden am Leben gehalten, in der Wirtschaft und im Bildungsbereich. Nur die Commonwealth Games werden größer und professioneller. Wie aber bleiben die Spiele vital und glaubwürdig, wenn ihr historischer Kern verblasst? David Grevemberg leitet das Organisationskomitee der Spiele von Glasgow. Er ist in New Orleans aufgewachsen, war lange als Ringer aktiv, hat sich als Funktionär in der paralympischen Bewegung einen Namen gemacht. Der Amerikaner Grevemberg fragte Briten, Australier oder Kanadier, was sie mit dem Commonwealth verbinden würden.
„Viele Menschen finden Inspiration in den Anführern des Commonwealth. Sie bewundern die Königin, Gandhi oder Mandela. Sie verbinden Leidenschaft mit ihnen, Pflichtgefühl, Opferbereitschaft. Zur Sprache kamen aber auch Geschichte und Tradition. Positiv wie negativ. Auf der einen Seite nannten sie Innovation und Wohlstand, auf der anderen Seite Imperialismus und Sklaverei. Dinge, über die man sonst ungern spricht. Dieser Kontrast war spannend, daraus sollten wir eine Botschaft formen. 2,3 Milliarden Menschen leben im Commonwealth. Mehr als fünfzig Prozent der Menschen sind jünger als 25.“
Die Olympische Bewegung ist stolz auf ihren Fackellauf vor den Spielen, die Commonweath Games pflegen eine Abwandlung: einen Staffellauf. Vor gut einem Jahr übergab die Queen den Stab mit einer geheimen Notiz an den Leichtathleten Allan Wells. Seitdem haben hunderte Menschen den Stab durch siebzig Länder getragen, auf einer Strecke von 200000 Kilometern. Die Queen wird die Notiz während der Eröffnung verlesen. David Grevemberg und seine Kollegen haben daran gearbeitet, dass die Begeisterung nicht inhaltsleer bleibt. Das Organisationskomitee hat Stellungsnahmen zu Menschenrechten und Umweltfragen veröffentlicht. Grevemberg betont die Beteiligung der Bürger, und er sucht dafür Argumente auch in der Geschichte.
„Glasgow war die erste Stadt außerhalb Südafrikas, die Nelson Mandela als freien Mann anerkannte. Das ging soweit, dass die Stadtverwaltung einen zentralen Platz nach Mandela benannt hat. Glasgow war dann eine der ersten Städte, die Mandela aus Dankbarkeit besucht hat.“
Die Außenseiter machen den Reiz der Spiele aus
Der Organisationschef David Grevemberg wählt pathetische Worte, aber können damit junge Athleten etwas anfangen? Ein verregneter Vormittag Ende Mai. Im Schatten des preisgekrönten Transportmuseums soll eines der traditionsreichsten Ruderbootrennen Europas stattfinden, das Achter-Rennen zwischen den Universitäten aus Glasgow und Edinburgh. Für Rufus Scholefield ist es eine wichtige Vorbereitung. Der 20-Jährige studiert in Edinburgh Geschichte, die Commonwealth Games aber wird er im Team seiner Heimat bestreiten: Jersey, die größte der Kanalinseln, 20 Kilometer vor Frankreich gelegen. Die Inseln Jersey, Guernsey oder Alderney gehören nicht zum Vereinigten Königreich, sie werden als Britischer Kronbesitz geführt. Die Außenseiter machen den Reiz der Spiele aus, sagt Rufus Scholefield.
„Ich denke, dass die Spiele für die Briten das zweitwichtigste Sportereignis nach Olympia sind. Das hat mit Geschichte und Tradition zu tun, und es ist ein Ereignis, das jeder gewinnen will. Einige meiner Uni-Freunde spielen im Rugby-Team, sie gehen es lockerer an und können abends auch mal Partys feiern. Aber ich denke anders: Das hier ist wahrscheinlich die einzige Chance für mich, auf Leistungssportebene erfolgreich zu sein.“
Die Commonwealth Games bringen Stars und Amateure zusammen, Berühmtheiten und Bewunderer. Rufus Scholefield führt in seinen Ferien Touristen durch Jersey. Er will in Glasgow möglichst schnell rudern, doch er erwartet mehr von den Spielen.
„Ich glaube, dass es die Spiele sind, die das Commonwealth zusammen halten. Ohne sie würde die Geschichte verblassen. Wenn die Spiele laufen, wenn sich Sportler und Zuschauer aus so vielen Ländern begegnen, dann wächst auch das Interesse an anderen Kulturen. Vielleicht weckt es bei mir die Lust, noch mehr zu reisen und noch mehr von der Welt zu sehen.“
Von der Ruderstrecke am Transportmuseum sind es fünfzehn Gehminutenbis zu Glasgows prächtiger Universität. Daneben thront Kelvingrove, das meistbesuchte Museum Großbritanniens, außerhalb Londons. Neben dem palastähnlichen Gebäude liegen gut gepflegte Rasenplätze, ein kleiner Umkleidetrakt, umgeben von einer hohen Hecke. Auf dem Gelände werden die Sieger einer Sportart ermittelt, die wie kaum eine andere für die Tradition der Commonwealth Games steht: Lawn Bowls. Bei diesem Präzisionssport geht es darum, die eigene Kugel möglichst nahe an eine Zielkugel zu rollen. John Bell trägt einen weißen Strickpulli und eine weiße Stoffhose. Seit mehr als fünfzig Jahren ist er im Bowls aktiv. John Bell zieht im Hintergrund des englischen Teams die Fäden.
„Bowls ist eine Sportart, die seit langem gespielt wird, sehr lange. Wie wir heute annehmen, hatte sie ihren Ursprung im 16. Jahrhundert. In den alten Commonwealth-Ländern hat Bowls eine große Tradition. Und allmählich breitet es sich aus, nach Südamerika und Asien. Auch in Deutschland spielen einige Menschen Bowls. Die Welt ändert sich rasant. Da ist es doch gut, wenn ein wenig Stabilität bleibt. Und sei es eben durch Tradition im Sport.“
"Jeder kann Bowls spielen, es ist ein Sport für alle"
Zum Programm der Commonwealth Games gehören neben vielen olympischen Sportarten auch Disziplinen, die nur in den britisch geprägten Ländern verbreitet sind: Cricket, Rugby oder Netball. In Australien wird auch Bowls im Fernsehen gezeigt, einige Spieler können von den Sponsorengeldern sogar leben. In Glasgow geht es bei der Vorbereitung bedächtig zur Sache. Spieler diskutieren über Details, nehmen langsam Anlauf, stoßen die Kugeln sanft über den Rasen. John Bell.
„Jeder kann Bowls spielen, es ist ein Sport für alle. Ob sehr jung oder sehr alt. Komplette Familien spielen es, weil sie das soziale Gemeinschaftsgefühl mögen. Ich habe mit zwölf angefangen. Das Durchschnittsalter in unserem englischen Team liegt bei Anfang dreißig. Die internationalen Spitzenteams werden jünger.“
Rutherglen, ein Vorort von Glasgow. Mit federnden Schritten betritt Alex Salmond ein Gemeindezentrum. Salmond führt die schottische Regierung an, seit 2011 mit absoluter Mehrheit für seine SNP, die Schottische Nationalpartei. Die Schotten hatten 1997 für ein regionales Parlament gestimmt, mit begrenzten Kompetenzen. Doch der SNP reicht das nicht: Am 18. September können fünf Millionen Schotten darüber abstimmen, ob sie das Vereinigte Königreich verlassen. Nach 307 Jahren. In Rutherglen wirbt Salmond für einen unabhängigen Staat, neben ihm auf der Bühne sitzt das komplette Kabinett.
„Das Vereinigte Königreich hat sich in zwei Systeme gespalten. Es gibt eine florierende Wirtschaft im Großraum London, die vorne weggeht. Und es gibt eine stagnierende Wirtschaft in einigen Regionen Englands. Gemessen daran liegt Schottland über dem Durchschnitt, aber weit hinter London. Was noch wichtiger ist: Schottland liegt auch hinter anderen Ländern von vergleichbarer Größe. Wenn wir jedoch unabhängig wären, würde sich das ändern: Was den Wohlstand angeht, würden wir in der Welt an 14. Stelle stehen. Die Ratingagentur Standard & Poors, die nicht gerade als optimistisch bekannt ist, sagt einem unabhängigen Schottland selbst ohne die großen Ölvorkommen eine blühende Wirtschaft voraus.“
Es vergeht kein Tag, an dem britische Medien nicht über das Unabhängigkeits-Referendum berichten. Siebenhundert Jahre nach der Schlacht von Bannockburn: 1314 schlugen die Schotten unter König Robert the Bruce ihren Nachbarn, für viele ist es das Gründungsdatum ihrer Heimat. Nicht wenige bemängeln heute ein Demokratiedefizit. Die konservativen Torys haben in Schottland zwischen 1979 und 1992 viermal die britischen Wahlen verloren – trotzdem stellten sie in London die Regierung. Auf der anderen Seite genießen die Schotten Autonomie, beispielsweise in Justiz- und Bildungsfragen. Ob sie als eigenständiger Staat in der EU und in der Nato bleiben, ist ungewiss. Ob sie an der britischen Währung festhalten dürfen, ebenfalls. Lange sprach sich in Umfragen nur etwa ein Drittel für die Unabhängigkeit aus. Können die Commonwealth Games die Zustimmung erhöhen? Kann die Regierung im Schatten der Spiele patriotische Gefühle schüren? Sportministerin Shona Robison.
„Ich würde den Einfluss der Spiele auf das Referendum nicht überbewerten. Wir sind uns doch klar darüber, dass wir Parteipolitik und Sport trennen. Aber es wird mir doch keiner widersprechen, wenn ich sage: Die Schotten sollten sich über ihre Leistungen freuen dürfen. Die Spiele sind für die Menschen ein verbindendes Ereignis, egal welche Meinung sie zum Referendum haben. Ich hoffe, dass alle Schotten unser Team unterstützen. Und wir uns dann über viele Medaillen freuen können.“
David Cameron hielt ein emotionales Fernsehplädoyer
Seit Jahren äußert die Opposition den Vorwurf, Alex Salmond würde den Sport nutzen, um der Unabhängigkeit näher zu kommen. Der so genannte Erste Minister Schottlands wollte sich auch bei den letzten Commonwealth Games 2010 in Neu Delhi in Szene setzen. Er bat darum, in der Abschlussfeier die Fahne der Spiele entgegen nehmen zu dürfen. Doch diese Aufgabe war traditionell dem Bürgermeister vorbehalten. In Glasgow ist Salmonds Nationalpartei nicht so einflussreich wie in anderen Regionen, im Stadtrat dominiert Labour seit Jahrzehnten. George Redmond ist seit bald dreißig Jahren in der Arbeiterpartei, seit 1999 sitzt er im Stadtrat.
„Alex Salmond ist ein guter Politiker. Er wird jede Gelegenheit nutzen, um für die Unabhängigkeit zu werben, und er macht das nicht mal diskret. Ich erinnere an die Rückkehr der schottischen Athleten nach Olympia 2012. Warum wurden sie nicht im Rathaus von Glasgow empfangen, dem zentralen Anlaufpunkt der Stadt? Warum fand die Zeremonie im Fruitmarket statt? Die Antwort ist doch klar: Die SNP will eine Labour geführte Stadtverwaltung so klein wie möglich halten.“
Die Schotten nutzen den Sport, die Engländer ebenfalls. Premierminister David Cameron hielt ein emotionales Fernsehplädoyer für die britische Gemeinschaft. Als Schauplatz wählte er das Velodrom im Olympia-Park von London, hinter ihm waren Rennräder aufgestellt. Sieben Goldmedaillen hatte das Team Großbritannien 2012 gewonnen, mit dabei: schottische Vorbilder wie Chris Hoy. Cameron schwärmte in seiner Ansprache von Siegen und Blau-Weiß-Rot, die Farben des Union Jacks, der britischen Flagge. Würde es jedoch nach Alex Salmond gehen, so würden die Schotten bei den Spielen 2016 mit einem eigenen Team starten. Mit dem Andreaskreuz, der schottischen Flagge.