Coming-Out-Kino kommt im Mainstream an

Von Gerd Brendel · 15.02.2013
Selten gab es so viele Filme mit lesbischer und schwuler Thematik in allem Sektionen des Berliner Filmfestivals zu sehen. Auch im Wettbewerb finden sich selbstverständlich schwule und lesbische Beziehungen. Die Jury des queeren Filmpreises "Teddy" hatte eine Menge zu tun in diesem Jahr.
"W imie …", das heißt: "Im Namen des … " - nämlich "im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes" .

Der Film erzählt vom unendlich schwierigen Coming-Out eines katholischen Geistlichen. Im ländlichen Polen ist es unvorstellbar schwer, sich zur Homosexualität zu bekennen. Der Film taucht tief ein in die religiöse Welt, in der es nur seltene Momente der Hoffnung darauf gibt, ein sexuell selbstbestimmtes Leben führen zu können.

"Wir kehren nichts unter den Teppich", sagt der Vorgesetzte des Pfarrers in einer Szene. Nein, schwul-lesbische Liebes- und Coming Out-Geschichten werden im westlichen Kino-Mainstream nicht mehr unter den Teppich gekehrt. "W imie" liefe bei der Berlinale im Wettbewerb – das heißt, er ist nach seiner Auszeichnung als bester queerer Film auch im Rennen um einen der Bären. Und gilt dabei sogar als einer der Favoriten.

"Inzwischen ist die Welt so weit, …"

stellt Wieland Speck fest, Leiter der Panorama-Sektion und Mitbegründer des schwullesbischen Filmpreises Teddy.

"Inzwischen ist die Welt so weit, dass sie mit schwulen Geschichten sehr viel leichter umgeht …"

Auch die Filmwelt. Schwul-lesbische Geschichten werden nicht in eine spezielle Ecke abgeschoben. Sondern schaffen es sogar in den Wettbewerb. Das ist sicher auch der Verdienst des queeren Filmpreises Teddy, der Anfang der 80er-Jahre ins Leben gerufen wurde, um das breite Kinopublikum und die Medien für schwullesbische Themen zu sensibilisieren.

Auftrag also erfüllt? Ja und nein. Denn homosexuelle Filmemacher in Europa und Amerika sind mit ihren Geschichten längst im spießigen Beziehungs-Mainstream angekommen. Mit Haus, Kindern und Langeweile im Ehebett.

Wieland Speck: "Wenn diese Erfolge alle da sind, und die Kinder sich anfangen selber die Brote zu schmieren. Dann ist in der Mitte des Lebens um die 45 herum der Gedanke da: Ist das alles gewesen?"

Das fragt sich auch "Abbey" die Protagonistin des US-amerikanischen Spielfilms "Concussion" – Gehirnerschütterung.

Der Ball, der die Protagonistin beim Spielen mit ihren Kindern am Anfang am Kopf trifft, wird zum Symbol für eine tiefe Erschütterung der bürgerlichen Paar-Idylle.

"”In meinem Film geht es um die Ehe und um die Frage, was passiert in einer Beziehung mit jemandem, der sich nicht mehr begehrt fühlt.""

Die Regisseurin Stacie Passon hat einen sehr persönlichen Film gemacht:

"”Die Kinder von Abbey und ihrer Partnerin werden von meinen eigenen gespielt. Ich selbst war 20 Jahre lang in einer Beziehung. Der Film hat sich aus einer persönlichen Situation entwickelt, auch wenn ich nicht auf den Strich gegangen bin.""

So wie Abbey im Film. In ihrem Nebenjob erlebt Abbey, was ihr in ihrer Ehe fehlt: Sie wird begehrt, nicht nur sexuell, sondern auch als verständnisvolle Komplizin. Spannend wird der Film, als ihre Partnerin schließlich von ihrem Doppelleben erfährt, denn es folgt eben kein 0815-Ehedrama. Sondern der Film endet versöhnlich und ganz schön melancholisch.

"”Ich denke, was die queere community sehen will, sind persönliche Geschichten mit einem universellen Anspruch.""

Aus diesem Grund haben Lioscha Tschetschen, ukrainisches Mitglied der Teddy-Jury und seine Mit-Jurorinnen heute Abend "Concussion" mit dem Preis der Jury ausgezeichnet.

Vom Alltag etablierter Homo-Beziehungen sind Schwule und Lesben in vielen Ländern , die nicht zum "reichen Westen" gehören, allerdings noch weit entfernt.

Dass der Teddy sich auch als Sprachrohr für Filmemacher aus weiter entfernten Weltgegenden versteht, zeigte der heute zum ersten Mal verliehene "Special Teddy" für ein Filmprojekt aus Südafrika. "Steps for the Future" - Schritte für die Zukunft – ist eine Initiative von Filmemachern, die in kurzen Dokumentationen von HIV betroffene Jugendliche durch ihren Alltag begleiten. Die Filme werden auf Dorfplätzen und in Schulen gezeigt. In Workshops lernen Teenager ihre Geschichten selbst mit der Kamera zu erzählen.

Vom arrivierten Lesbenpaar aus einem New Yorker Vorort bis zur jungen Frau in einem südafrikanischen Dorf: Die Filmhelden der diesjährigen Teddy-Preisträger sind so unterschiedlich wie die Community, für die sie stehen. Zum Finale der Teddy-Gala stehen sie alle zusammen auf der Bühne. "Halleluja" singt Rufus Wainwright, der Stargast des Abends. "Liebe ist kein Siegesmarsch, das Halleluja ist gebrochen" heißt es im Text, aber immerhin – sie singen Halleluja.
Der Teddy: Queer Film Award - Internationale Filmfestspiele Berlin
Der Teddy - Preis für den besten queeren Film© Barbara Dietl / TEDDY e.V.