Comicjahr 2019

Das Beste aus der "Neunten Kunst"

08:08 Minuten
Unterwegs in Gummistiefel mit Comiczeichnungen.
Egal wie das Wetter wird, Comics gehen immer. Und das Jahr 2019 hat wieder für eine reiche Ernte gesorgt. © Unsplash/ Gemma Evans
Von Stefan Mesch · 27.12.2019
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2019 war ein gutes Jahr für Comics, stellt Kritiker und Journalist Stefan Mesch fest. Besonders erfreulich: Immer mehr Comics blicken nicht mehr auf Minderheiten, sondern lassen durch deren Perspektive auf die Welt blicken.
Stefan Mesch ist sehr beeindruckt vom Comic "Good Talk" von Mira Jacob. Jacob sei eigentlich eine Prosa-Autorin. "Sie hat ganz viele Gespräche über Rassismus geführt", erklärt Mesch, "vor allem, weil ihr Sohn jetzt in das Alter kommt, wo er solche Sachen fragt: Was bedeutet das – warum ist Papa weiß und du bist braun und was bin ich? Und dann hat sie daraus Fotocollagen erstellt, in Dialogform. Das ist ein bisschen wie Theater, ein bisschen wie ein Skript, aber funktioniert eben auch als Comic ganz großartig. Leider noch nicht auf Deutsch."
Im Netz gebe es "On a Sunbeam", ein lesbischer Web-Comic, etwas schrullig und ganz großartig, sagt Mesch. Er hoffe, dass mal jemand den ein oder anderen Titel auch nach Deutschland bringe. "Das sind einfach nur meine Herzensbücher, die ich in deutschen Buchhandlungen sehen will – in Übersetzung."

Die Perspektive von Minderheiten

Er freue sich, dass es immer mehr Comics gebe, die aus einer speziellen Minderheiten-Perspektive auf die Welt blickten. So liebe er etwa den Comic "The Avant-Guards". "Es geht um Leute, die auf einem Mädchen-College Basketball spielen. Ich sage Leute, weil eine der Personen keine Frau ist, sondern sagt: Ich bin nicht-binär." Im Endeffekt gehe es um sechs, sieben Personen, die zusammen Basketball spielen "und das ist schon die ganze Geschichte", sagt Mesch. "Es ist ein Wohlfühl- und Empowerment-Comic, wo ich mit einer Gruppe von Menschen Zeit verbringe, die ich im echten Leben in Deutschland so erst mal gar nicht treffen kann." So was sei großartig aus seiner Sicht: "Davon bräuchte es noch viel mehr."
In "Gender Queer" sagt die Autorin Maia Kobabes erst, sie sei eine lesbische Frau, und dann: "Nein, vielleicht bin ich ein Mann". Kurzum: "Maia ist einfach nicht binär und sagt jetzt, was das für sie bedeutet." Es sei ein Erklärcomic, etwas didaktisch, wie ein langer Essay. "Wenn so etwas in ganz bunten, fröhlichen, empowernden, niedrigschwelligen Comics mal auf 200 Seiten erklärt wird, nehme ich da unglaublich viel mit."

Comics zum Thema Krieg

Unter den Comics, die sich mit dem Thema Krieg beschäftigen, hebt Mesch "Insekten" von Regina Hofer und Leopold Maurer hervor, im Wiener Luftschacht Verlag erschienen. Die Autoren haben die Gespräche mit Maurers Großvater festgehalten, eines bekennenden Nationalsozialisten, und dessen Erinnerungen mit Rechercheelementen ergänzt. "Ein sehr sperriger, schwerer Schwarz-Weiß-Comic, wo mich jedes Bild einfach wegbläst. Es ist unglaublich harte Kost, aber das ist wirklich Kunst."
"Der Krieg der Knirpse" ist eine fünfteilige Serie über den Ersten Weltkrieg aus Frankreich. Es geht um vier Waisenkinder, die aufgrund widriger Umstände hinter die deutschen Linien geraten und dort, auf sich allein gestellt, um ihr Überleben kämpfen müssen. Einerseits, so Mesch, komme ihm das etwas "tumb" vor, aber anderseits: "Mit elf hätte mich das begeistert."
Schauspieler George Takei, der Sulu aus Star Trek, musste in seiner frühen Kindheit mit seinen Eltern in ein Internierungslager auf Pearl Harbor. Die Geschichte sei im Prinzip bekannt, sagt Mesch: "Aber das noch mal didaktisch erklärt zu bekommen, auf 200 Seiten zu sehen, was haben die gegessen, wie sahen die Zäune aus, das ist auch was, was nur ein Comic so gut kann." Mesch sagt: "Das sollte eigentlich in Schulen unterrichtet werden."

Für bestimmte Altersgruppen

"Best Friends" von Shannon Hale ist ein Comic für Teenager. Hale erzählte "einfach alles Problematische, was ihr in der siebten Klasse passiert ist". Es sei ziemlich komplex, wie diese Freundinnen versuchen, Freundschaften zu "navigieren".
Und dann gebe es noch viele Erklär-Comics, wo ein Sachverhalt vermittelt werde: Der zum Thema Burn-out von Maaike Hartjes sei zwar nicht unbedingt für Depressionsbetroffene geeignet, aber vor allem künstlerisch toll, sagt Mesch.
Der französische Comic "Das unabwendbare Altern der Gefühle" handelt von zwei Rentnern, die ihre Sexualität neu für sich entdecken. In "Upgrade Soul" gehe es "beckett-artig" ums Klonen.
Im Manga-Bereich seien ihm vor allem Titel positiv aufgefallen, die sich – wie er später festgestellt habe – an ältere, erwachsene Männer richten. "Ist halt so", sagt er. "Die erscheinen in Magazinen, die für Männer gemacht sind. Das heißt, sie sind ein bisschen erwachsener oder probieren künstlerisch etwas Neues."
(mfu)

Ezra Claytan Daniels: "Upgrade Soul"
Oni Press, 272 Seiten

Maaike Hartjes: "Burnout: Ein Comic-Tagebuch"
Übersetzt von Bärbel Jänike
Patmos Verlag, 240 Seiten, 26 Euro

Régis Hautière/Hardoc: "Der Krieg der Knirpse" (Bd.1-5)
Panini Verlag, 2015-2018

Regina Hofer/Leopold Maurer: "Insekten"
Luftschaft, 240 Seiten, 23 Euro

Mira Jacob: "Good Talk: A Memoir in Conversations"
Random House, New York, 368 Seiten

Maia Kobabe: "Gender Queer: A Memoir"
Lion Forge, 240 Seiten

George Takei: "They Called Us Enemy"
Top Shelf Productions, 208 Seiten

Shannon Hale/Leuyen Pham: "Best Friends"
Macmillan, 256 Seiten

Carly Usdin/Noah Hays: "The Avant-Guards"
Boom Box, Los Angeles, 112 Seiten

Zidrou/Aimée de Jongh: "Das unabwendbare Altern der Gefühle"
Splitter Verlag, 144 Seiten

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