Comic "9/11. Ein Tag, der die Welt veränderte"

Weltgeschichte aus der Sicht einer 14-Jährigen

05:59 Minuten
Cover des Buchs "9/11. Ein Tag, der die Welt veränderte" auf orangem Hintergrund
Autor Baptiste Bouthier und Zeichnerin Héloïse Chochois thematisieren nicht nur die Attentate des 11. Septembers 2001, sondern auch, wie sie bis heute nachwirken. © Knesebeck Verlag / Deutschlandradio
Von Eva Hepper · 25.08.2021
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Die Anschläge von 9/11 verfolgt eine junge Französin fassungslos vor dem Fernseher. 20 Jahre später reist sie nach New York, um Ground Zero zu besuchen. Ein Comic erzählt davon in klaren Bildern und geschickt verflochtenen Handlungssträngen.
9/11 als Graphic Novel? Geht das überhaupt? Tatsächlich haben die Großmeister der Comic-Kunst diese Fragen längst beantwortet. Art Spiegelman etwa, der die Anschläge vom 11. September 2001 in New York erlebt hatte, veröffentlichte bereits 2002/03 seine schräge Bilderserie "Im Schatten keiner Türme". Und Ernie Colón und Sid Jacobson gelang 2007 mit der Comic-Version des offiziellen Abschlussberichtes (9/11-Commission-Report) ein Meisterwerk.

Erfolgreich in große Fußstapfen getreten

Die Fußstapfen, in denen die jungen Franzosen Baptiste Bouthier und Héloïse Chochois heute treten, sind also groß. Doch statt sich davon abschrecken zu lassen, haben der Texter (geboren 1987) und die Zeichnerin (geboren 1991) einen ganz eigenen Zugang gefunden: Zum 20. Jahrestag der Attentate erzählen sie die Geschehnisse aus der Sicht der damals 14-jährigen Pariserin Juliette.
Die Geschichte beginnt in der Jetztzeit mit der nunmehr 33 Jahre alten Protagonistin, die im Flugzeug nach New York sitzt und sich an die Ereignisse erinnert, die sie mit ihrer Familie vor dem Fernseher verfolgt hat. In Rückblenden wird zunächst buchstäblich nachgezeichnet, wie die Zwillingstürme getroffen wurden und einstürzten.
Die 102 Minuten dazwischen erzählt Baptiste Bouthier anschließend in verschiedenen Varianten – mehrmals wechselt er die Perspektive und verschränkt so die Erlebnisse einzelner Zeitzeugen und Überlebender.
Dicht schildert der Autor beispielsweise, wie Stanley Praimnath und Brian Clark, die im World Trade Center arbeiteten, die Flucht durchs Treppenhaus gelang, wie einzelne Feuerwehrmänner gegen das Inferno kämpften, oder wie die Journalistin Suzanne Plunkett das Grauen auf den Straßen fotografierte.
Kontrastierend dazu sind die Erlebnisse der 14-jährigen Juliette gesetzt, die mit Eltern, Freunden und Schulkameraden das Geschehen diskutiert.

Was dem Anschlag folgte

Doch gehen Autor und Zeichnerin noch weiter, wenn sie thematisieren, wie die Attentate bis heute nachwirken. Fast die gesamte zweite Hälfte ihrer Graphic Novel erzählt von Folgen wie dem Patriot Act, den Kriegen gegen Afghanistan und Irak, von Guantánamo, von Terrorakten weltweit und dem Erstarken des IS bis hin zu modernen Überwachungsmethoden, die der Whistleblower Edward Snowden öffentlich machte.
Das ist viel Stoff! Doch wie was zusammenhängt, wird hier insbesondere für jüngere Leserinnen und Leser gut nachvollziehbar. Zumal Héloïse Chochois’ Bilderstrecken stellenweise an einen Sachbuch-Comic erinnern. Die Illustratorin pflegt einen zurückhaltenden Zeichenstil in matter Tonalität und bringt zusätzlich Fakten und Zahlen in abgesetzten Kästchen. Das ist nicht spektakulär, wird dem Thema aber gerecht.

Überzeugende Brechungen

Überzeugend ist auch die Herangehensweise des Autors, die Geschehnisse mehrfach zu brechen durch die Perspektivwechsel, die Zeitsprünge und die Sichtweise der jugendlichen und später erwachsenen Heldin. Wirklich verarbeiten kann Juliette den 11. September nicht.
Doch wenn sie auf den letzten Seiten durch New York läuft und Ground Zero besucht, eröffnen sich mit ihrem Blick zum Himmel neue Dimensionen.

Baptiste Bouthier/Héloïse Chochois: "9/11. Ein Tag, der die Welt veränderte"
Aus dem Französischen von Ingrid Ickler
Knesebeck Verlag, München 2021
144 Seiten, 24 Euro

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