CO2-neutral bis 2060

Chinas ungewisses Klimaversprechen

07:28 Minuten
Fabrik im Smognebel
Klima- und Umweltschutz scheinen in vielen Regionen Chinas kaum eine Rolle zu spielen. © picture alliance / AP / Chinaopix
Von Steffen Wurzel · 29.09.2020
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In keinem Land der Welt wird so viel klimaschädliches CO2 in die Luft geblasen wie in China. Die Staats- und Parteiführung in Peking bekennt sich zwar zu Klimazielen. In der Bevölkerung gibt es aber so gut wie kein Bewusstsein für das Thema.
Ou Hongyi als absolute Einzelkämpferin zu bezeichnen, ist nicht übertrieben. Die Schülerin ist in der 1,3 Milliarden-Einwohnernation China die einzige bekannte "Fridays for Future"-Aktivistin. Seit rund zwei Jahren engagiert sich die 17-Jährige, die sich auch Howey nennt, für mehr Klimaschutz. Zum Beispiel, in dem sie sich in der südchinesischen Stadt Guilin mit einem selbst gemalten Schulstreik-Plakat in eine Einkaufstraße stellt.
"Das lief heute mehr oder weniger normal. Nicht sonderlich erfolgreich. Aber ich konnte mich mit vier oder fünf Leuten einigermaßen intensiv über Klimaschutz unterhalten", zieht sie Bilanz. "Ich habe sie eingeladen, bei ‚Fridays for Future’ mitzumachen und zu einem unserer Filmabende zu kommen."

Engagement für Klimaschutz ist unerwünscht

In China interessieren sich Menschen viel weniger für ökologische und gesellschaftspolitsche Themen als in Europa oder den USA. Das gilt auch fürs Thema Klimaschutz. Dass sich die Bevölkerung außerhalb staatlicher Strukturen engagiert, ist nicht erwünscht und kommt auch so gut wie nie vor. Entsprechend schwer hat es Ou Hongyi. Die Polizei habe sich auch schon bei ihren Eltern gemeldet, erzählt sie. "Wir wurden verhört. Und auch an meiner Schule will man nicht, dass ich mit meinem Klimaschutz-Aktivismus weitermache. Solange ich das mache, soll ich nicht mehr in den Unterricht kommen."

Grundsätzlich bekennt sich die Kommunistische Staatsführung zum Kampf gegen die Erderwärmung. In den vergangenen Jahren hat das Land Milliarden in den Ausbau von Wind- und Solarenergie investiert. Aber: Nach Zahlen des chinesischen Statistikamtes wird immer noch 64 Prozent des Stroms durch Kohlekraftwerke erzeugt. Der Anteil der Erneuerbaren wächst zwar, aber längst nicht so schnell, wie einige Jubel-Berichte der Staatsmedien suggerieren.
Smog in Tianjin, China: Eine Frau trägt eine Maske.
Alltag: Smog in der chinesischen Stadt Tianjin.© picture alliance / dpa / Zhi Yue
Aktuell sorgen grüne Energiequellen gerade einmal für rund 28 Prozent des Strommixes. Zum Vergleich: In Deutschland waren es zuletzt fast 50 Prozent. Staats- und Parteichef Xi Jinping versprach bei der UN-Generalversammlung Mitte September Besserung. "China wird seine bisher zugesagten Beiträge zum Klimaschutz erhöhen, durch neue ambitionierte Strategien und Maßnahmen. Wir streben an, dass die CO2-Emissionen bis 2030 ihren Höhepunkt erreichen, und wir wollen bis 2060 CO2-neutral werden."

Sind Chinas Klimaschutz-Ankündigungen glaubwürdig?

International hat Chinas Staatschef viel Anerkennung für diese Ankündigung bekommen. Doch viele Experten bleiben skeptisch. Zum einen hat Chinas kommunistische Führung in den vergangenen Jahren immer wieder eigene Versprechen gebrochen oder im Nachhinein anders ausgelegt. Zum anderen zeichnet die Realität in China ein ganz anderes Bild: So werden in der Volksrepublik zurzeit Kohlekraftwerke mit einer Gesamtleistung von fast 250 Gigawatt geplant oder gebaut. Das entspricht etwa dem 230-fachen, was das neue umstrittene Riesen-Kohlekraftwerk im nordrhein-westfälischen Datteln leistet.
Entsprechend sorgt der Neubau vieler Kohlekraftwerke in China für Kritik bei Umweltschützern, etwa bei Li Shuo von Greenpeace. Er begrüßt ausdrücklich Xi Jinpings Ankündigung für mehr Klimaschutz, sagt aber auch, Kohlestrom sei etwas "aus dem vergangenen Jahrhundert". "Die Welt strebt nach Fortschritt und Verbesserung – der Bau neuer Kohlekraftwerke ist genau das Gegenteil. Die neu geplanten Kohlekraftwerke zeugen von der Kurzsichtigkeit der Entscheidungsträger vor Ort. Das muss sofort korrigiert werden."

Coronapandemie verlangsamt den Wandel

Die Covid-19-Pandemie hat Chinas Abkehr von der Kohle zusätzlich verlangsamt. Um die Wirtschaftskrise abzufedern, setzt die kommunistische Führung auf massive Zusatzausgaben: unter anderem für den Neubau von Großkraftwerken. Internationale Klimaschutz-Organisationen haben ausgerechnet: Im ersten Halbjahr dieses Jahres haben die chinesischen Behörden neue Kohlekraftwerke mit einer Leistung von 17 Gigawatt bewilligt – das sei mehr als in den zwei vorherigen Jahren zusammengenommen. Guan Dabo ist Professor an der Pekinger Elite-Uni Tsinghua. Er beschäftigt sich dort mit den wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels – und habe sich viele neue Kohlekraftwerke in China angesehen. "Sie haben gemein, dass sie sehr effizient sind. Im Vergleich zu ähnlichen Kraftwerken in den USA sind sie viermal so effizient. Aber natürlich verfeuern sie nach wie vor Kohle. Dass sie CO2 ausstoßen ist also unvermeidlich."

Nach Ansicht von Guan Dabo sollte sich China beim Klimaschutz nicht nur ums Thema Kohlekraftwerke kümmern. Entscheidend seien Energiesparen und Effizienz – und zwar in den Städten, in denen zusammengenommen rund 800 Millionen Menschen leben. Doch bisher ist Energiesparen in China im Alltag kaum ein Thema. Im Winter werden Heizungen meist zentral gesteuert und lassen sich monatelang nicht abschalten. Im Sommer klettern die Temperaturen in den oft schlecht isolierten Wohnungen und Büros. Deswegen gehören Strom fressende Klimaanlagen zum Standard.

Bewusstsein für Nachhaltigkeit ist notwendig

Um langfristig eine klimafreundliche Nation zu werden, müssten die Menschen in China umdenken, fordert Ökonom Guan Dabo. "In China leben 1,3 Milliarden Menschen. In Indien nochmal fast genauso viele. All diese zweieinhalb Milliarden Menschen gewöhnen sich gerade daran, genauso zu leben, wie die Leute in den westlichen Industrienationen. Also: hoher Energieverbrauch, viel Materialverbrauch und viel Müll. Das ist nicht nachhaltig. Wenn alle Chinesen und Inder so werden, wie die Menschen im Westen, dann wird unser Planet all das nicht schaffen."
Die Ankündigung von Staats- und Parteichef Xi Jinping, dass China mehr als bisher für den Klimaschutz tun will, dürfte auf staatlicher Seite einiges in Bewegung bringen. Dass nun in China aber kurzfristig ein breites Bewusstsein ausbricht für Nachhaltigkeit und Energiesparen, das ist sehr unwahrscheinlich.
Die 17-jährige Aktivistin Ou Hongyi aus dem südchinesischen Guilin will ihre Protestaktionen jedenfalls fortsetzen. Die Ankündigung des Staatschefs, sagt sie, sei erst einmal eine gute Nachricht. "Allerdings sagen Klimaforscher und unabhängige Organisationen, dass China eigentlich schon 2050 klimaneutral werden muss. Auch, dass der Ausstoß von CO2 in China erst 2030 seinen Höhepunkt erreichen soll, ist nicht akzeptabel. Wir werden also weiter für unsere Anliegen werben – bis Chinas Führung wirklich aktiv wird."
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