CO2-Kompensation

Schlechtes Gewissen, gutes Geld und faule Kompromisse

30:26 Minuten
Ein Arbeiter verschraubt Sonnenkollektoren im Solarpark in Leutkirch (Kreis Ravensburg).
Mit Projekten wie einem Solarpark wird die CO2-Einsparung voran getrieben. Doch ausreichend ist dies nicht. © dpa/ Raimund Haser
Von Robert B. Fishman · 24.11.2020
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Erst die Umwelt belasten, dann den Schaden ausgleichen lassen – die zahlreichen Anbieter von CO2-Kompensationen versprechen dies. Doch was bringt das wirklich fürs Klima? Und wer profitiert vom guten Gewissen?
Ein Wald am Flughafen Münster-Osnabrück, dem FMO. Noch ist es eher ein Wäldchen.
"Einheimische Laubbäume, die Rotbuche, die Hainbuche und die Stieleiche, das sind die Hauptbäume die hier gepflanzt worden sind", erklärt Flughafensprecher Detlef Döbberthien. "Wir haben hier auf etwas mehr als einem Hektar fast 3000 Bäume gepflanzt."
Luftbild vom Flughafengelände Münster-Osnabrück und der Umgebung mit den ersten Bewaldungen.
Um den Flughafen Münster-Osnabrück soll der CO2-Ausgleich durch Baumpflanzungen stattfinden.© imago-images/ Hans Blossey
Döbberthiens Arbeitgeber will bis 2030 "klimaneutral" werden. Helfen soll dabei dieser Wald. Denn die Bäume holen Kohlendioxid - CO2- aus der Atmosphäre. Hier nehmen sie, so der Plan, in etwa so viel CO2 auf, wie der Flughafen emittiert und geben Sauerstoff ab. Die Photosynthese ist so etwas wie eine umgekehrte Atmung.
Der Kohlenstoff C aus dem CO2 wird in der Biomasse der Bäume gebunden. Sie wachsen. Den Sauerstoff O2 geben die Pflanzen an die Luft ab.
Dann ist ja alles gut? Nicht ganz. Bäume brauchen mindestens zehn, eher 20 und mehr Jahre, bis sie so groß gewachsen sind, dass sie CO2 in erheblichen Mengen aufnehmen. Bis dahin können sie vertrocknen, von Schädlingen aufgefressen werden oder abbrennen. Die Investition des Flughafens ist also ein offener Scheck auf die Zukunft. Niemand kann sicher sagen, ob wann und in welcher Höhe er eingelöst werden wird. Das weiß auch der Flughafen-Sprecher.
"Wir lassen den Wald nicht einfach nur wachsen und kümmern uns nicht mehr darum, sondern achten schon drauf, dass die Bäume auch wirklich gut wachsen und dass dort eben auch keine Probleme passieren."

Branche spezialisiert auf CO2-Kompensationen

Die Idee, schlechte Treibhausgasemissionen mit guten Klimataten zu kompensieren, erfreut sich vor allem bei Unternehmen und Behörden wachsender Beliebtheit. So können sie mit klimaneutralen Produkten und Dienstleistungen werben.
Da es gar nicht so einfach ist, CO2-Emissionen zu berechnen und zu kompensieren, hat sich darauf inzwischen eine ganze Branche spezialisiert. Allein in Deutschland bieten mehr als zwei Dutzend Unternehmen und Organisationen die CO2-Kompensationen an. Das Prinzip ist einfach: Auf einem CO2-Rechner im Internet rechne ich aus, wie viele Treibhausgase mein Leben, mein Unternehmen oder nur mein Flug von A nach B verursacht.
Auf der Homepage von Atmosfair, einem der größten deutschen Anbieter für CO2-Kompensationen, kann ich die Treibhausgasemissionen meines Fluges berechnen.
Das Ergebnis für einen One-Way-Linien-Flug von München nach New York in der Economy mit einem Airbus A340-500 erscheint in einem leuchtend roten Balken: 2,658 Tonnen Kohlendioxid. Zum Vergleich gibt die Seite darunter die jährlichen pro-Kopf-Emissionen der Menschen in Indien an: 1,6 Tonnen, dazu die CO2-Bilanz von 12.000 Kilometer Autofahren mit einem Mittelklassewagen: 2 Tonnen. Ein grüner Balken beziffert dann das "klimaverträgliche Jahresbudget eines Menschen" mit 2,3 Tonnen.
Fazit: Wer einmal nach New York fliegt, schädigt das Klima mehr, als ein durchschnittlicher deutscher Autofahrer im ganzen Jahr - und mehr, als das Weltklima von einer Person im Jahr ertragen kann.
Gleich die nächste Zeile verspricht meinem geschundenen Umwelt-Gewissen Entlastung: "Ich kompensiere die Klimawirkung meines Fluges von insgesamt 2658 kg CO2 zu 100 Prozent, indem ich mit folgendem Betrag Klimaschutzprojekte unterstütze."
62 Euro, zahlbar direkt auf der atmosfair-Seite - so einfach wie jeder Online-Einkauf. Pro Tonne CO2 macht das 23 Euro und 32,5 Cent.
Ab dem kommenden Jahr berechnet die Bundesregierung jede Tonne CO2, die Unternehmen in die Luft pusten, mit 25 Euro - ein politisch festgelegter Preis im Rahmen des sogenannten Klimapakets. Das Umweltbundesamt kommt dagegen auf mindestens 180 Euro.
Der große Airbus A380 im Luftraum über Frankfurt.
Ein Flugzeug auf dem Weg nach New York - das hinterlässt einen immensen CO2-Fußabdruck.© Lufthansa
Dr Michael Bilharz beobachtet beim Umweltbundesamt UBA den Markt für grüne Produkte und beschäftigt sich dort mit "nachhaltigem Konsum". Außerdem hat er den CO2-Rechner auf der Internetseite des UBA entwickelt. Bilharz erklärt, wie diese horrenden Preisunterschiede zustande kommen.
"Ich denke, ganz wichtig ist zu unterscheiden: Es gibt die Schadenskosten und das sind die 180 Euro des Umweltbundesamtes. Eine Tonne CO2 verursacht im Schnitt 180 Euro Schaden an Ernteausfällen, an Gebäudeschäden etc.", sagt Bilharz.
"Das andere sind die Vermeidungskosten. Bei den Vermeidungskosten habe ich von 1 Euro bis 200, 300 Euro alles Mögliche drin. Es gibt Projekte, da muss ich nur ganz wenig draufmachen, weil sie an der Grenze zur Wirtschaftlichkeit sind und es gibt Projekte wie die Moorfutures, die in Deutschland passieren, dementsprechend hohe Lohnkosten haben und ein sehr hohen Aufschlag brauchen, um eine Tonne CO2 entsprechend einsparen zu können."

Kompensiert wird vor allem im globalen Süden

Es kommt also darauf an, was Atmosfair mit dem Geld aus den Kompensationszahlungen macht. Die gemeinnützige GmbH überweist die Einnahmen - ähnlich wie viele andere Anbieter - an Projekte im globalen Süden. In Afrika, Südostasien oder Lateinamerika ist es schon wegen der deutlich niedrigeren Lohnkosten billiger als in Europa, eine Tonne CO2 auszugleichen.
Atmosfair kauft zum Beispiel von den Einnahmen energiesparende Öfen oder kleine Biogas-Anlagen für arme, afrikanische Familien auf dem Land. Die kochen damit ihr Essen. So müssen sie weniger Bäume fällen, um an Feuerholz zu kommen.
"Das ist nach wie vor eine der größten Quelle von Treibhausgasen, diese sogenannten 3-Steine-Herde, wenn Menschen einfach auf offenem Feuer kochen, das ist eine riesige Energieverschwendung da werden Öfen gemauert oder eben aus Stahl genutzt. Da kann man dann wirklich mit einem Schlag 80, 90 Prozent Energie einsparen und damit auch die entsprechenden Emissionen mindern. Also das ist sehr effizient", erklärt Atmosfair-Geschäftsführer Dietrich Brockhagen.
Ähnlich funktionieren die Mini-Biogasanlagen, die organische Abfälle in afrikanischen Dörfern vergären. Das dabei entstehende Gas können die Anwohnerinnen und Anwohner zum Kochen verwenden.
In Madagaskar bauen Partner-Projekte außerdem kleine lokale Solaranlagen für die Stromversorgung.
"Also wir sind jetzt gerade dabei in Madagaskar die ersten zehn Dörfer zu elektrifizieren, das heißt, dort bauen wir mit lokalen Betreibergesellschaften, also auch dort verschenken wir den Strom nicht, vor den Dörfern Fotovoltaikanlagen auf", erklärt Brockhagen.
"Da sind dann zum Teil noch Gewächshäuser integriert mit Tröpfchenbewässerung, sodass dort auch Arbeitsplätze entstehen. Und dann wird das ganze Dorf durch ein Mini-Grid versorgt. Das heißt, wir verlegen Stromnetze und dann entstehen dort Werkstätten, in denen auch ein Schuster arbeiten kann oder ein Schweißer Schweißarbeiten vornehmen kann."
Die Projekte sollen so einen doppelten Nutzen bringen: Entlastung fürs Klima und bessere Lebensbedingungen für Menschen in den Partner-Ländern.

Kalkulationen der Anbieter sind umstritten

Andere Anbieter wie My Climate oder die Klima-Kollekte verfolgen einen ähnlichen Ansatz.
Umstritten sind sie dennoch. Die Biologin Jutta Kill hat rund 15 dieser Projekte in mehreren Ländern besucht. Überzeugt haben sie nur wenige.
"Bei der Berechnung dieser angeblich eingesparten Emissionen werden zwei Zahlen miteinander verglichen. Das Problem ist aber, dass eine dieser Zahlen eine hypothetische ist: Die hypothetische Zahl, die ergibt sich dabei aus einer Geschichte, in der der Projektbetreiber darlegt, wie hoch die Emissionen gewesen wären, hätte es sein Kompensationsprojekte nicht gegeben", sagt Kill.
Am historischer Hafen Berlin will man mit Bepflanzung von Kähnen, Ufern und weiteren Massnahmen die CO2-Emissionen kompensieren. 
Maßnahmen zum CO2-Ausgleich sind variantenreich - und manche auch überzeugend.© imago-images/ PEMAX
"Diese hypothetische Zahl wird dann verglichen mit den tatsächlichen Emissionen aus dem Kompensationsprojekt. Und aus der Differenz ergibt sich dann eben die Summe der angeblichen Einsparungen und damit eben auch die Summe der Gutschriften, die ein Kompensationsprojekt verkaufen kann."
Niemand kann also genau sagen, wie viele Treibhausgase dieses oder jenes Projekt der Atmosphäre genau erspart.
Lambert Schneider hat am Freiburger Öko-Institut verschiedene Kompensationsprojekte untersucht. Er empfiehlt, genau zu prüfen, an wen man wofür seine Kompensationszahlung überweist.
"Projekte für effiziente Kocher oder Solarkocher sind keine schlechten Projekte. Ich finde sie vor allem ganz gute Projekte, weil sie wirklich der ärmsten Bevölkerung helfen. Von der Klimawirkung ist es leider so, dass da oft die Emissionsminderungen überschätzt werden. Inzwischen wurden da die Standards, nach denen die berechnet werden, auch nachgebessert. Das heißt, da gibt es eine Tendenz, dass inzwischen die Berechnungen besser geworden sind."

Ausgleichsprojekte zusätzlich zum Normalbetrieb

Noch schwieriger ist die Frage der Zusätzlichkeit: Dem Klima bringt es wenig, wenn Kompensationszahlungen - zum Beispiel für Flüge - Projekte finanzieren, die auch ohne die Zahlung gemacht würden.
"Ja, die Studie des Öko-Instituts hat gezeigt, dass für die ganz große Mehrheit der Projekte es doch fragwürdig ist, ob sie zusätzlich sind. Und am Ende sind es weniger als zehn Prozent der Zertifikate, die mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zusätzlich sind und wo wir sagen würden, ja, die könnten wir tatsächlich empfehlen, um die eigenen Emissionen auszugleichen."
Trotzdem teilt Lambert Schneider die Meinung der meisten Fachleute.
"Ich würde sagen, es ist in jedem Fall immer noch besser zu kompensieren, als nicht zu kompensieren. Natürlich ist das Wichtigste, die eigenen Emissionen zu reduzieren."
Die Schüler fordern mit ihren Protesten den sofortigen Kohleausstieg, eine Klimawende, die Einhaltung der Ziele des Pariser Abkommens und des 1,5-Grad-Ziels. Ein Demoschild mit der Aufschrift "GESTERN - HEUTE - MORGEN" zeigt die Zerstörung der Natur. 
Schüler, Studenten und Klimaaktivisten bringen das Thema CO2 immer wieder mit auf die Agenda.© imago images/ Müller-Stauffenberg
Das empfiehlt auch Stefan Fischer von der Stiftung Warentest. Die Stiftung hat Ende 2017 drei von sechs getesteten Anbietern mit "sehr gut" bewertet.
"Wir haben in unserem Test, die Qualität der Kompensation bewertet. Dann haben wir uns angeschaut, wie transparent die Organisationen sind und ob sie sich gut kontrollieren lassen. Das heißt, ist die Leitung frei zu tun, was sie will und hat sie Möglichkeiten, Geld zu veruntreuen. Oder gibt es Aufsichtsgremien, die den Leuten auf die Finger schauen…"
Die besten Noten erhielten atmosfair, die Klima-Kollekte und Prima Klima.
"Das sind alles Anbieter, die mit Zertifikaten gearbeitet haben, die hohen Standards entsprechen. Das sind vor allem die Goldstandards. Das sind auch Standards, die das Umweltbundesamt als ausreichend oder als empfehlenswert zertifiziert hat."

"Gold-Standard" nach Vorgaben des Weltklimarats

Von den zahlreichen Standards, die es inzwischen für Kompensationsanbieter und -Projekte gibt, stellt der "Gold-Standard" nach den Vorgaben des Weltklimarats die höchsten Anforderungen.
Die strengeren Kriterien müssen auch geprüft werden. Der Aufwand schlägt sich im Preis für die Kompensation von einer Tonne CO2 nieder, ebenso die höheren Ansprüche an die Projekte.
Zu kompliziert? Hier hilft der Verein "3 fürs Klima". Er empfiehlt drei Schritte, um das Weltklima zu entlasten: Erstens die eigenen Treibhausgas-Emissionen verringern. Zweitens: Das kompensieren, was sich nicht vermeiden lässt und drittens andere auf diesem Weg mitnehmen, also zum Mitmachen bewegen. Über die Internetseite des Vereins kann man seinen CO2-Fußabdruck - und mehr - mit ein paar Klicks kompensieren.
Michael Bilharz hat den Verein zusammen mit einigen anderen Engagierten gegründet.
"Wer noch überhaupt keinen Plan hat, da sagen wir vom Verein 3 fürs Klima, dann werde Mitglied bei uns: Kompensiere deinen kompletten CO2-Fußabdruck und wir entscheiden im Verein gemeinschaftlich mit allen Mitgliedern, in welche Projekte wir wie viel geben", sagt Bilharz.
"Wer im Detail sich da mehr reinknien will - wäre dann die nächste Empfehlung - gemeinnützige Anbieter zu wählen, das heißt hier die Vielfalt der Anbieter dadurch reduzieren, dass man sagt, ich greife die heraus, wo ich dann auch eine Spendenbescheinigung bekomme."
Bilharz empfiehlt, Kompensationszahlungen wie bei der Geldanlage breit zu streuen. Dazu arbeitet 3 fürs Klima mit sieben Anbietern zusammen, unter anderem mit den Compensators.

Kauf von CO2-Zertifikaten

Die Compensators, ebenfalls ein gemeinnütziger Verein, gehen einen ganz eigenen Weg: Sie kaufen von den Spendeneinnahmen CO2-Zertifikate. Die Vorschriften des europäischen Emissionshandels sehen vor, dass Unternehmen einiger Branchen Verschmutzungsrechte kaufen müssen, bevor sie Treibhausgase in die Luft abgeben. Kauft man ihnen diese Zertifikate weg, steigt der Preis. Die Luftverschmutzung wird teurer. Alternativen werden im Verhältnis dazu billiger und die Treibhausgasemissionen gehen zurück.
Auf der Internetseite kann man sich aussuchen, an wen 3 fürs Klima die Spenden weiterleitet oder die Auswahl dem Verein überlassen.
"Es ist klar, wenn ich nur auf ein Pferd setzte, nehme ich auch das ganze Risiko, das dieses Pferd beinhaltet, mit. Deswegen ist unsere Empfehlung: alle Projekttypen mit reinnehmen - von der Aufforstung über Effizienz über Ausbau erneuerbarer Energien, immer auch die Armutsbekämpfung mit in den Blick nehmen und dann passt es wirklich."
Damit es noch schneller geht, haben die Aktiven von 3 fürs Klima die Klimawette gestartet. Bis zum nächsten Weltklimagipfel, dem COP26 im November kommenden Jahres, wollen sie eine Million Menschen dazu bringen, jeweils mindestens eine Tonne CO2 zu kompensieren. Das geht direkt auf der Internetseite dieklimawette.de.
Wichtig ist Michael Bilharz bei beiden Initiativen folgendes: "Wir machen nicht einfach nur Kompensation, sondern wir nehmen den kompletten Dreiklang in den Blick. Das heißt, wir geben Informationen an die Mitglieder, wie sie weiter noch CO2 einsparen können. Wir unterstützen gebündelt entsprechende Kompensationsprojekte und vor allem der dritte Punkt: Wir machen eine politische Botschaft daraus", sagt er.
"Jawoll, Klimaschutz kann besser gehen, muss besser gehen und dementsprechend ist der Vereinsbeitrag keine Verwaltungsgebühr sondern ist eine Spende für eine politische Aktion."

Rechtfertigung, um weiter Klima zu zerstören?

Biologin Jutta Kill bleibt dennoch skeptisch. Sie beklagt, dass die Kompensationsangebote den Menschen eine Rechtfertigung liefern, weiter das Klima zu zerstören.
"Das Angebot oder die Reaktion der Luftfahrtindustrie darauf ist, wir wachsen jetzt klimaneutral. Hier ist unser Portfolio an Kompensationsprojekten, unsere Auswahl für Sie. Fliegen sie weiter, klimaneutral. Das kann doch nicht funktionieren", sagt Kill.
"Und es bremst eben die Debatte darüber, wie Mobilität auch ohne fliegen aussehen kann. Auch hier ist Kompensation nicht hilfreich, denn sie erlaubt die Illusion zu sagen: Ich kann die Flugscham ja mit dem Ablass-Obulus abgelten. Kann man nicht. Der Klimaschaden bleibt und die gesellschaftliche Debatte ist gebremst und nicht gefördert."
Wer seine Kompensationszahlung überwiest und dann weiterfliegt und fährt wie gehabt, macht es sich zu einfach. Die Umweltbelastung soll ja geringer werden.
Auch Peter Kolbe von der Klimaschutz Plus Stiftung in Heidelberg findet die Idee falsch, man könne seine Flüge und anderen klimaschädlichen Verhaltensweisen kompensieren. Seine Kritik: Zu billig und zu langsam.
Die meisten CO2-Kompensationen sind für Kolbe ungedeckte Schecks auf die Zukunft. Deutlich macht er das mit einem Vergleich.
"Also wir nehmen an: Wir haben einen gemeinsamen Wald. Ich sitze an dem einen Ende des Waldes. Sie sitzen am anderen Ende des Waldes und neben mir sitzt da einer mit seiner Fabrik und der kippt da ordentlich Gifte in den Wald rein", erklärt Kolbe.
"Dann sage ich ihm, 'pass mal auf: Hier Gift in den Wald reinschütten, geht gar nicht mehr.' Dann sagt er: 'Wo wir das raus holen aus dem Boden ist ja egal, weil es verteilt sich sowieso ganz schnell da im Boden.' Dann machen wir das so. Ich zahle dem da ein bisschen Geld und dann holt der das da hinten in Indien wieder raus", so Kolbe weiter.

Problematische Logik der Kompensationen

"Jetzt kommt ein Dritter dazu und sagt, 'pass auf, ich nehme dir das ab. Ich gebe dir ein Zertifikat, mit dem ich Dir bescheinige, dass du kein Gift in den Wald reingetan hast, weil ich kümmere mich darum, dass das Gift rausgeht. Das kostet bei mir bloß ganz wenig Geld.'"
Das sei die Logik der CO2-Kompensation.
"Was gar nicht kommuniziert wird dabei in der Regel ist: Der andere sagt ja, ich hole es raus, aber ich lasse mir dafür 50 Jahre Zeit oder 30 Jahre Zeit. Inzwischen haben wir aber eine Schwelle erreicht wo schon so viel Gift im Waldboden drin ist, dass es auf jedes Kilogramm ankommt, ob wir eine Kipppunkt erreichen, wo uns der ganze Wald absterben wird", sagt Kolbe.
"Das heißt, wenn derjenige mir jetzt sagt, 'pass mal auf, du hast kein Gift in den Wald reingegeben, weil ich garantiere dir, dass ich es wieder raushole', mir gegenüber aber verschweigt, dass er sich 50 Jahre Zeit lässt damit, bekommen wir alle gemeinsam ein Problem mit dem Wald."
Die niedersächsischen Landesforsten renaturieren (wiedervernässen) ein Moor im Solling bei Holzminden-Neuhaus.
Nasse Moore gehören - noch vor Wäldern - zu den wichtigsten Kohlenstoff-Speichern der Erde.© Robert B. Fishman
Kolbe, will, dass wir alle jetzt Verantwortung für unser Handeln übernehmen: Wir müssen die Folgekosten unseres Wirtschaftens bezahlen, sprich internalisieren. Aktuell produziert derjenige am Billigsten, der die Folgekosten seines Tuns, zum Beispiel für Umweltschäden oder die Folgekosten der Klimaerwärmung, nicht in seine Produktpreise einrechnet. Er wälzt diese externen Kosten auf die Allgemeinheit oder künftige Generationen ab.
"Wir brauchen eine staatliche Regelung an der Stelle, die das zurückschraubt, dieses hemmungslose Externalisieren von Kosten, das heißt, dass einfach die Verpflichtung ist, die Kosten zu übernehmen, eine Abgabe entsprechend, so wie Sie heute nicht mehr einfach ihren Dreck ins Wasser geben dürfen. Sie müssen es vorher reinigen und die sind ja auch nicht alle abgewandert, die ganze chemische Industrie, obwohl sie ihre Wässer nicht mehr in den Rhein kippen dürfen – dreckig."
Heute subventioniere der Staat mit seinen Regeln Unternehmen, die unsere Lebensgrundlagen zerstören und die Kosten dafür anderen überlassen.
"Wir bräuchten nur hingehen und sagen, wir hören mit diesem Quatsch auf, den fossilen Energien auch noch das Geld hinterher zu schmeißen, dann wären die erneuerbaren Energien konkurrenzlos. Das ist der springende Punkt. Selbst wenn wir eine CO2-Abgabe von 40, 50 oder 60 Euro einführen, dann ist es nicht so, dass die fossilen Energien plötzlich eine Abgabe zu zahlen haben, sondern die haben im Moment eine negative Abgabe. Die bekommen Geld geschenkt, und bei einer Abgabe von 60 Euro ist lediglich der Schenkungspreis runtergegangen. Und daran krankt es."

Spender entscheiden selbst über Projekte

Hier hat die Klimaschutz Plus Stiftung mit Climate Fair ein eigenes Angebot: Eine freiwillige CO2-Abgabe von möglichst 180 Euro je Tonne. Das ist der Schaden, den jede Tonne Treibhausgase mindestens in der Atmosphäre anrichtet. Die Stiftung sammelt das Geld ein und finanziert damit Solar- und Windkraftanlagen in Deutschland sowie Energiespar-Projekte. Diese werfen eine Rendite ab, die die Stiftung an einen Fonds überweist. Dieser Fonds finanziert daraus, und aus Erträgen der Stiftung, Bürgerprojekte in den Regionen der Spenderinnen und Spender.
"Und hier ist der Mechanismus bei Climate Fair, dass wir die Gelder - in lokalen Bürgerfonds werden die angelegt, das heißt, der Bürger selber, kann sagen, es ist ein Bürgerfond meiner Stadt, wo ich das einzahle. Und alle Bürger, die an dem Fonds beteiligt sind, die sind berechtigt, lokale Projekte vorzuschlagen, Projekte lokaler Akteure, denn die kennen sie vor Ort. Das heißt, die wissen das viel besser als ich. Ich muss keinen Prüfer bezahlen, der Tausende von Euros kostet, der in Deutschland herumreist und die Projekte anguckt, weil vor Ort sitzen die Bürger."
Jährlich bestimmen die Spenderinnen und Spender gemeinsam in Online-Abstimmungen, was mit dem Geld für die lokalen Bürgerfonds passiert.
Die Menschen entscheiden selbst, wie viel Verantwortung sie für ihre klimaschädlichen Emissionen übernehmen können und wollen.
"Es ist deine Entscheidung, was du übernehmen kannst mit deinem persönlichen Budget, das dir zur Verfügung steht, und das machst du mit ganzem Herzen und da sind wir sozusagen einer, der schlechtes Gewissen verkauft und kein gutes. Ich kann nur 20 übernehmen. Ich bin der Gesellschaft 160 schuldig geblieben. Aber ich kann es im Moment nicht anders. Aber ich kann stolz sein, dass ich angefangen habe, schon mal mit den 20 Euro, die ich zahlen kann."
Peter Kolbe, im Hauptberuf Energieberater beim Rhein-Neckar-Kreis, arbeitet wie alle anderen bei Klimaschutz Plus ehrenamtlich für die Stiftung und für Climate Fair. So halten alle Beteiligten den Verwaltungsaufwand gering. Die Einnahmen kommen fast vollständig im Klimaschutz an. Sie verdrängen Kohle, Gas und andere fossile Energieträger aus unserem Versorgungssystem.
Mit ihrem ganzheitlichen Konzept will Klimaschutz Plus auch die Politik verändern.
"Was wir hier anbieten, ist letztendlich nichts Anderes wie die freiwillige Vorwegnahme einer CO2-Abgabe. Das heißt, wir warten nicht, bis die Politik endlich so weit ist, sondern wir machen es selber und geben damit der Politik aber auch ein klares Signal."

Viele wünschen sich Klimaschutz in Deutschland

Klimaschutz in Deutschland ist - allein schon wegen der höheren Lohnkosten teurer als etwa in Afrika. In einer Studie des Umweltbundesamts zum Umweltbewusstsein gab die Mehrheit der Befragten an, dass sie sich dennoch vor allem Klimaschutz in Deutschland wünschen - zum Beispiel so:
Förster Ludwig Stegink-Hindriks steht in hohen Gummistiefeln am Rande einer blubbernden, sumpfigen Fläche in einem Wald bei Holzminden in Niedersachsen.
"Was wir gehört haben, sind die Gasbläschen, die im Torf aufsteigen. Die enthalten auch Kohlenstoff und das brauchen die oben wachsenden Torfmoose für ihr eigenes Wachstum. Die nehmen nicht nur CO2 aus der Luft um es zu binden, sondern die sind in der Lage zusammen mit Bakterien dieses CO2 auch aus dem Methan zu binden."
Moore reinigen und speichern ein auch in Deutschland immer knapperes Gut: Wasser. Sie kühlen ihre Umgebung, bieten zahlreichen seltenen Tier- und Pflanzenarten einen Lebensraum und sie binden jede Menge Treibhausgase. Moore und Feuchtgebiete speichern fast zehn Mal so viel Kohlenstoff wie Wald. Drei Prozent der weltweiten Landfläche sind von Mooren bedeckt, 30 Prozent von Wald. Trotzdem speichern die Moore der Welt doppelt so viel Kohlenstoff wie alle Wälder.
Deshalb renaturieren die niedersächsischen Landesforsten wie ihre Kollegen in Mecklenburg, Brandenburg und Schleswig-Holstein zerstörte Moore. Der Aufwand ist hoch.
"Also hier sieht man einen der Hauptentwässerungsgräben im Moor", zeigt Stegink-Hindriks Kollege Ulrich Schlette.
"Man sieht, der ist ziemlich zugewachsen mit Vegetation und da sind also Äste drin und als erstes muss man diese Gräben, wenn man sie vernünftig verschließen will, mit dem Bagger aufsäubern, d. h. das ganze Material hier, das organische Material, wird rausgebaggert, wird an die Seite gelegt und dann kommt - wenn man ein sauberes Profil hat, was man verfüllen kann, kommt Mineralboden wieder rein und oben drüber kommen Sägespäne drüber", erklärt Schette.
"Und dann wird der Graben wieder abgedeckt mit dem Material, was wir vorher ausgehoben haben. Und das wächst dann wieder an und nach ein bis zwei Jahren sieht man überhaupt nicht mehr, dass da ein Graben gewesen ist."

Teuer, aber nachhaltig: Renaturierung von Mooren

Billig ist das nicht, rechnet Ludwig Stegink-Hinrichs vor.
"10.000 Euro pro Hektar. Das wäre ein Euro pro Quadratmeter, den allein die Maßnahme kostet. Aber jetzt muss die Fläche ja erst mal aus dem Forstbetrieb herausgelöst werden. Die bringt ja auch ihre Erträge. Diese Kosten kommen auch dazu", gibt er zu Bedenken.
"Und wir wissen schon heute, dass wir diese Flächen dauerhaft betreuen müssen auch, weil neben dem Wassermangel haben wir auch andere Probleme, die extern auf diese Gebiete einwirken unter anderem Stickstoffeinträge. Die wirken wie Dünger auf diese Moorsysteme - Hochmoore setzen nur maximal fünf Kilo Stickstoff je Jahr und Tag um. Wir bekommen aber aus der Luft manchmal 18 Kilo und das jedes Jahr. Da wird es schwierig und dann muss man oft im Wasserhaushalt jahrzehntelang noch nachsteuern."
Unterstützen kann man die Försterinnen und Förster bei der Wiedervernässung von Mooren mit dem Kauf sogenannter Moorfuture. Das sind Gutscheine für die Renaturierung von Mooren. Es lohnt sich, wie Ludwig Stegink-Hindriks erklärt.
"Ein intaktes, wieder hergestelltes Moor bindet zusätzlich aus der Luft 5 bis 7 Tonnen klimarelevante Gase je Jahr und Hektar. Das ist nicht sehr viel, auf die Dauer, aber der wichtige Vorteil unserer Moore bei den Landesforsten ist, dass diese Moore, die jetzt trocken liegen, sofort, in dem Moment wo sie wieder vernässt sind, eine Reduktion klimarelevanter Gase verursachen. Wenn ich heute Wald pflanze, habe ich diese klimarelevanten Effekte über einen sehr viel längeren Zeitraum erst."
Von den niedersächsischen Landesforsten in den 1980er-Jahren renaturiertes und wiedevernässtes Torfmoor Mecklenbruch im Solling.
Es wächst wieder ungestört, das renaturierte Moor Mecklenbruch im Solling.© Robert B. Fishman
Wenige Kilometer entfernt von der aktuellen Moor-Baustelle haben die Landesförster schon in den 80er-Jahren ein zerstörtes Moor wieder vernässt: den Mecklenbruch. Entstanden ist eine Landschaft von berührender Schönheit und Weite. Die Wolken spiegeln sich in schilf- und grasgesäumten kleinen, spiegelglatten Seen.
"Ja wir stehen hier mitten im Moor am Rande eines Moorkolks, eines kleinen Moorsees und typisch für diese Moorseen ist eine ganz spezialisierte Tierwelt. Dazu gehören unter anderem Libellenarten, unter ihnen die Moosjungfern, deren Männchen ein weißes Gesicht haben, eine weiße Gesichtsmaske", erzählt Stegink-Hindriks.
"Die kann man sogar mit dem Fernglas beobachten, wenn man sie kennt. So im Arbeitsumfeld nennen wir sie auch gern unsere Bleichgesichter, weil sie gut erkennbar sind und zeigen, wenn die auftreten, hat das Moor eine gute Qualität erreicht. Dann kann das Wasser in diesem Moorsee an sich nur von besonders guter Qualität sein und dann können alle anderen Pflanzenarten auch wachsen und die Nahrungskette ist dann auch vollständig."

Die Deutschen tun zu wenig

Ludwig Stegink-Hindriks presst ein nasses Büschel Torfmoos aus.
"Das Wasser läuft und läuft. Diese Torfmoose können bis zu 90 Prozent Wasser speichern. 90 Prozent Volumen eines Kubikmeters dieses Torfmooses enthält Wasser und 10 Prozent ist feste Pflanzenmasse. Von daher ist das ein Riesen-Wasserspeicher und sobald die Niederschläge hier runter fallen quillt es auf", erklärt er weiter.
"Wenn diese höheren Bulten austrocknen - und das kann bei diesem Wetter hier schon mal passieren in einem trockenen Sommer - macht es die Haut zu oben, so dass es nach oben hin nicht mehr verdunstet, d. h. das Moor in Trockenzeiten sieht zu, dass es das Wasser behält. Es macht die Poren wie ein Porensystem einfach enger. Es wächst immer nach oben weiter und es stirbt dann ab. Und dieser Prozess hier unten in 20, 30 Zentimeter Tiefe, das ist der eigentliche Torfbildungsprozess."
2018 ergab eine Umfrage des Umweltbundesamtes: Die Deutschen wissen um den Klimawandel und die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen. In der Wahrnehmung der Not kamen die Befragten auf 7,9 von zehn möglichen Punkten.
Beim eigenen Verhalten sieht es dagegen schlecht aus: 4,6 von zehn möglichen Punkten. Man weiß Bescheid, aber verhält sich nicht entsprechend. Die Zahl der PKW steigt weiter. Und zumindest bis zu Beginn der Pandemie stieg die Zahl der Kreuzfahrt- und Flugpassagiere immer weiter an.
Flugbenzin ist steuerfrei. Städte und Landkreise pumpen Milliarden in unrentable Regionalflughäfen. Auf Tickets für grenzüberschreitende Flüge gibt es keine Mehrwertsteuer. So kostet ein Flugticket auf vielen Strecken weniger als ein Fahrschein für die Bahn, oft sogar weniger als die Fahrt zum Flughafen. Reisekostenregelungen des Bundes und der Länder verpflichten Dienstreisende, das billigste Transportmittel zu nehmen. Und das ist oft das Flugzeug.

Regie: Clarisse Cossais
Sprecher Joachim Schönfelder
Ton: Sonja Rebel
Redaktion: Martin Hartwig

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