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Computerspiel als Gegenwartssatire
Cyberpunk-Bartender-Action am PC

Nicht alle Videospielentwickler setzen auf die neuesten Trends wie Virtual Reality, computergenerierte Inhalte und zunehmend fotorealistische Grafiken. Kreative Indie-Spiele nutzen bewusst eine altmodische, blockige Grafik. So auch bei "VA-ll Hall-A". Hinter der Idee, in einer Bar Getränke zu mixen, verbirgt sich eine durchdachte Gegenwartssatire.

Von Kai Löffler | 01.09.2016
    Ein Junge spielt ein Computerspiel
    Das Indie-Computerspiel "Va-11 Hall-A" setzt bewusst auf altmodische, blockige Grafik. (picture alliance / dpa / Foto: Maximilian Schönherr)
    Der Geruch von Seife und Hunde-Urin ist das erste, was die Besucher der futuristischen Bar "Va-11 Hall-A" oder einfach Valhalla bemerken. Barkeeperin Jill schenkt hier aus, mal ein Bier, mal ein exotisches Mixgetränk, und hört sich dabei die verschiedensten Geschichten an. Die Bar ist der Dreh- und Angelpunkt des gleichnamigen Spiels. Angesiedelt ist es in einer dystopischen Zukunft, in der politische Unruhen und fortgeschrittene Cyber-Technologie Hand in Hand gehen: implantierte Nanomaschinen machen die meisten Menschen gefügig, bei den anderen setzen sogenannte "White Knights" mit Waffengewalt den Willen der Machthaber durch, während Hacker wie der mysteriöse "Alice-Rabbit" im Untergrund wirken - zumindest angeblich.
    "Die Idee war eine anonyme Anarchisten-Gruppe, und daraus wurde am Ende Alice-Rabbit. Genau das passiert, wenn eine Idee ihren Zenit überschritten hat und vom Mainstream vereinnahmt wird: Plötzlich wird aus einer Gruppe eine einzige Person, ein allmächtiges Wesen, das uns alle aus den Schatten beobachtet. Ein typischer Buhmann also, den die Presse erfunden hat."
    Die Entwickler nennen ihr Spiel einen "visuellen Roman", der sich aus unzähligen fragmentarischen Geschichten zusammensetzt. Denn es geht darum, den Gästen der Bar genau diese Geschichten zu entlocken. Wenn ein Gast einen Drink bestellt, heißt es die Zutaten in der richtigen Dosierung zu mischen. Der richtige Drink und die richtige Dosierung Alkohol lösen die Zungen und plötzlich reden die Barbesucher wie auf der Couch des Psychiaters oder in Gesellschaft des besten Freundes. Zu viel, zu wenig oder gar die komplett falsche Rezeptur dagegen lassen das Gespräch abflauen oder eine unschöne Wendung nehmen.
    "Das hab ich nicht bestellt. Ich nehm es trotzdem, aber Trinkgeld gibt es heute keins."
    Bei diesem vordergründigen Barsimulator geht es vor allem darum, eine "post-dystopische" Welt zu skizzieren, wie es die Spielfiguren nennen. Die ist inspiriert von der aktuellen Situation in Venezuela, der Heimat der Entwickler. Hier geht das Nachtleben zwar unbeirrt weiter, gleichzeitig liegt aber über allem eine bedrückende Atmosphäre. Auch im Spiel "Va-11 Hall-A" leben die Menschen in ständiger Unsicherheit; die ironisch betitelten "White Knights", Söldner im Auftrag eines übermächtigen Konzerns, haben die Bevölkerung im eisernen Griff; auf den Straßen bricht immer wieder Gewalt aus. Den Ausnahmezustand, der zum mondänen Alltag geworden ist, beschreiben die Entwickler mit scharfem satirischem Blick.
    "Klar, die Zaibatsu Corp. wird von den Leuten gerne verteufelt, aber ein 'böses Imperium' sind sie nun wirklich nicht. Sie sind einfach nur... habgierig, ein typischer Großkonzern eben... der zufällig einen Nationalstaat regiert."
    Grafik der japanischen Spiele der 90er-Jahre
    Als Spieler nimmt man zwar auf den Verlauf der Handlung Einfluss, die Interaktivität steht aber nicht im Vordergrund, ebenso wenig wie die minimalistischen Soundeffekte oder die schlichte Grafik, die bewusst an japanische Spiele aus den 90er-Jahren erinnert. Eine Sprachausgabe gibt es auch nicht: Die witzig geschriebenen Texte, auf denen das Spiel letztlich beruht, müssen also gelesen werden - und zwar auf Englisch. "Cyberpunk Bartender Action" nennen das die Macher.
    Aber gerade an "Action" mangelt es, denn der Barsimulator ist als zentrale Spielidee eintönig. Das Mixen der überschaubaren sechs Zutaten ist weder schwierig noch spannend; wenn man sich als Spieler also nicht für die Geschichte interessiert, wird "VA-11 HALL-A" schnell langweilig.
    Dabei haben die Figuren - etwa eine Popdiva, eine Hackerin, ein Sex-Roboter, eine Rettungssanitäterin oder ein chauvinistischer Nachrichtenredakteur - viel zu erzählen, und das ist mal absurd komisch, mal schockierend, meistens aber beides. Man kann sich also im besten Fall eine tolle interaktive Erzählung mit viel schwarzem Humor erspielen - eine finstere Satire nicht nur auf den Alltag in Venezuela, sondern auch auf uns, auf eine Gesellschaft, die sich vor der Welt verschließt und lieber konsumiert als erlebt. Denn während die Besucher von Valhalla der Barkeeperin Jill von Sex, Mord und Heldentaten erzählen, sitzt sie selbst doch am liebsten nach Feierabend zuhause auf ihrer Couch und surft mit ihrem Handy im Internet.
    VA-11 Hall-A ist für PC und Mac erhältlich und kostet ca. 15 Euro.