Clubsterben in Kassel

Die Musik spielt anderswo

07:49 Minuten
Ein Punk Rock-Fan tanzt zu dem Beat der deutschen Punkband 'Boonaraaas!'
Der "A.R.M"-Club in Kassel – ein sehr angesagter Club mit Bühne. Inzwischen sind auch dort die Lichter ausgegangen. © Picture Alliance/dpa/epa/Uwe Zucchi
Von Ludger Fittkau · 31.01.2020
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Rockbands machen einen Bogen um Kassel. Viele Clubs wurden geschlossen – dadurch gibt es kaum noch Bühnen für mittelgroße Konzerte. Frustrierte Konzertveranstalter hoffen auf die "Documenta-Halle". Aber eine Entscheidung ist nicht in Sicht.
Uni-Campus Kassel in der Nordstadt. Auf dem Weg aus den Seminarräumen zur Straßenbahn finden einige Studierende die Zeit, Fragen zu Diskos und Livemusik- Clubs in der Stadt zu beantworten. Die Studierenden klingen nicht gerade euphorisch:
"Es schließen immer mehr Clubs, leider und die, die es so gibt, wie York oder A7, die sind nicht so mein Fall. Außer das "A.R.M", da war ich zweimal drin. Das fand ich ziemlich cool." – "Könnte besser sein." –"Nicht viel los hier." - "Ich finde es halt traurig, dass das A.R.M. zugemacht hat."
Das "A.R.M.", ein etwas trashiger, aber beliebter Club, ist seit vergangenem Jahr geschlossen. So wie seit dem Jahreswechsel auch das "Musiktheater" – kurz "MT", wo auch Livebands vor bis zu tausend Konzertbesucherinnen und Besuchern auftreten konnten. Dass der Club seit einem Monat geschlossen ist, haben jedoch auf dem Kasseler Uni-Campus noch nicht alle mitgekriegt: "In Kassel gibt es das A7 und das MT." – "Ja, da war ich einmal, kurz bevor es zugemacht hat. Es war richtig leer, da war nichts los. Wir sind nach nicht mal fünf Minuten wieder rausgegangen."

Geeignete Musikbühnen fehlen

Der ehemalige Besitzer des "MT" konnte nach seiner Rente keinen Nachfolger finden, der in die etwas veraltete Halle investieren wollte.
"Ja, sonst wüsste ich jetzt keinen anderen Club." – "An sich, so bekannte Gruppen, wo man sagt: Wow, da muss ich hin."
Nach der Schließung des "Musiktheaters" gibt es in Kassel aus Sicht erfahrener Musikveranstalter aktuell keine geeignete Location mehr für mittelgroße Konzerte, für Bands wie Tocotronic oder Maximo Park. Der Kasseler Konzertveranstalter Uwe Vater beschreibt, dass dies für Live-Konzert- Publikum aus dem Raum Kassel nun bisweilen Anreisen in die umliegenden Städte nach sich zieht:
"Ja, es bleibt den Leuten nichts anderes. Es geht dann halt nach Göttingen, wo eigentlich auch keine Tausender-Kapazität zur Verfügung steht, dort ist es auch etwas kleiner. Und dann geht es weiter nach Hannover, nach Norden hin und zum Westen hin geht es nach Bielefeld, Paderborn. In Paderborn gab’s auch mal so einen Klub, der so 1000 Leute fasste, weiß ich gar nicht, ob es den noch gibt. Und dann geht es einfach weiter nach Frankfurt, in die Batschkapp. Oder in Erfurt gibt es ja auch die Alte Oper und das ist ja auch ein Club. Oder den Stadtgarten gab es da demnächst aber auch nicht mehr für Konzerte. Es ist immer mit weiten Anreisen verbunden."

Wer gute Band hören will, muss reisen

Anderthalb bis zwei Stunden dauern Zugreisen von Kassel etwa nach Frankfurt am Main oder Bielefeld. Nur Göttingen liegt deutlich näher.
Uwe Vater wünscht sich von der Kulturverwaltung der Stadt, dass diese bald die relevanten Akteure im Konzertbereich zu einer Art Krisengipfel einlädt, um die Hallensituation zu diskutieren und gemeinsam eine Lösung zu finden.
Das Problem sind nicht unbedingt die reinen Diskotheken oder kleinen Veranstaltungsorte. Da sind sich alle Kenner der Kasseler Club-Szene einig. Es fehlt an Hallen der mittleren Kategorie für 800 bis 1200 Besucherinnen und Besucher. Die Stadthalle Kassel ist mit 2000 bis 3000 Besuchern für viele Live-Events wiederum zu groß. Und sie ist teuer geworden, weil sie nun vor allem als Kongresszentrum dient. Sagt die Kasseler Konzert-Dramaturgin Angelika Umbach:
"Die Stadthalle war früher ein prima Konzertort in Kassel, mittlerweile heißt sie Kongress-Palais. Dort finden Kongresse statt, die werden mit viel Aufwand der Stadt gefördert. Die Stadthalle trägt sich nicht selbst, ist aber für normale Konzertveranstalter gar nicht mehr zu bezahlen und auch nicht mehr zu haben. Deichkind ist zu meiner großen Freude dort vor drei Jahren aufgetreten. Solche Bands möchte man dort auch nicht."

Kulturdezernentin sieht kein Clubsterben

Angelika Umbach hat drei Jahrzehnte lang im Sommer das sogenannte "Kulturzelt" mitorganisiert, das nun von anderen weiterbetrieben wird:
"Ich wüsste nicht, was dort nicht war: also von Till Brönner, Al Di Meola, Maximo Park, Bosse, Thees Uhlmann – was Rang und Namen hat in Deutschland und auf der Welt, ist da doch aufgetreten."
Im Sommer bietet das Kulturzelt weiterhin Raum für Konzerte mittlerer Größe – in den anderen Jahreszeiten gibt es in Kassel aktuell nichts mehr Vergleichbares.
Die Stadt Kassel argumentiert, dass Konzertveranstaltungen und Club-Betrieb kommerzielle Unternehmungen seien, die privatwirtschaftlich organisiert sein müssten. Susanne Völker ist seit 2017 Kulturdezernentin der Stadt. Vom "Clubsterben" will sie nicht reden, es gäbe ja viele kleine Clubs, die gut liefen, argumentiert sie. Man bekäme aus der Betreiberszene auch die Rückmeldung, dass manche Clubs nicht gut ausgelastet seien.

Die "Documenta-Halle" als Alternative?

Doch einer städtischen Förderung für gute Konzepte will Susanne Völker sich nicht verschließen: "Erst ein Konzept und eine Idee und dann Ort und Finanzierung. Und das fördern und unterstützen wir dann auch gerne. Wir alle, einschließlich der Kulturförderung. Da stehen die Türen offen. Und da kann man ins Gespräch kommen und schauen, wie man Dinge gemeinsam weiter entwickeln kann. Aber genau diese drei Dinge müssen zusammenkommen."

Doch genau dieses Gespräch mit der Stadt komme eben bisher nicht zustande, sagen die Kasseler Konzertveranstalter. Angelika Umbach hatte schon 2017 mit ihren Kollegen vom "Kulturzelt"-Team bei der Stadt ein Konzept eingereicht, um die "Documenta-Halle" am zentralen Friedrichsplatz zum Live-Club umzubauen. Ein großes Kasseler Industrieunternehmen unterstützte den Plan. Aktuell wird die Halle nur gelegentlich für Tanz- oder Verkaufsveranstaltungen benutzt, die Documenta braucht die Halle nur alle fünf Jahre.
Die Akustik und der Backstage-Bereich sind allerdings im jetzigen Zustand für Konzerte kaum zu gebrauchen, sagt etwa Konzertveranstalter Uwe Vater. Aus Documenta-Kreisen ist zu hören, dass die für Kunstausstellungen geplante Akustik der Halle tatsächlich immer wieder viel Mühe bereite, um sie für Musik-Events tauglich zu machen.
Eingang der Documenta-Halle in Kassel.
Konzept für eine Nutzung mit Bühne und Gastronomie gibt es für die "Documenta-Halle". Aber die Stadtverantwortlichen treffen keine Entscheidung.© Laif / Heiko Meyer

Nutzungskonzept liegt schon seit Jahren vor

Konzert-Kuratorin Angelika Umbach sieht keine unüberwindlichen Hindernisse: "Diese Documenta-Halle ist der Documenta GmbH selbst ein Dorn im Auge. Da finden Hochzeitsmessen statt. Kunsthandwerkermärkte, Tattoo-Messen. Und wir haben ein Konzept vorgelegt, wie man diese Halle in Kombination mit Gastronomie und mit all den Räumlichkeiten, die es dort gibt, ausbauen kann, in einen Club, der so für 1000 bis 1500 Leute gut ist, aber auch kleinere Säle hat. Dieses Konzept haben wir unserem Oberbürgermeister vorgelegt, der hat gesagt, der Herr Geselle hat gesagt: Oh, das ist prima, da hab ich noch tausend Fragen. Wir warten immer noch auf die erste, das Konzept lag schon vor drei Jahren vor."
Die zuständige Kulturdezernentin Susanne Völker sagt zu der Frage, warum denn das Konzept nicht beachtet worden sei: Sie sei zwar damals noch nicht im Amt gewesen. Doch die Documenta-Halle sei "gut ausgelastet". Für all diese Veranstaltungen hätte man eine neue Lösung finden müssen, so Völker.
Auf dem Uni-Campus würde man sich über mehr Clubleben auf dem Documenta-Areal in den Jahren ohne Weltkunstausstellung jedenfalls freuen: "Documenta – klar. Aber was ist noch, das ist halt die große Frage." – "Es gibt aktuell wieder eine Diskussion um die Documenta-Halle. Wäre das was?" – "Ja klar, ich denke schon!" – "Abi-Party XXL, da war ich mal. Das war auch immer richtig gut. Könnte öfter was gemacht werden."

Hören Sie zu diesem Thema auch Manfred Götzke über die unsichere Zukunft vieler Clubs in Berlin:
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