Clairo: "Sling"

Keine Abrechnung, sondern Songs über Mama

10:37 Minuten
Clairo im dicken Pullover und mit Beanie auf der Bühne
Auf "Sling" stellt Clairo sich die Frage, wie lang sie noch Individuum sein kann und wie sich das ändern würde, wenn sie Mutter wäre. © imago images / Gonzales Photo
Helene Nikita Schreiner im Gespräch mit Martin Böttcher · 19.07.2021
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Die US-amerikanische Singer/Songwriterin Clairo gilt seit ihrer Debüt-EP "Diary 001" als Stimme ihrer Generation. Aktuell erscheint Album Nummer zwei – mit einem interessanten Konzept.
2017 ging die damals 19-jährige Clairo mit ihrem Song "Pretty Girl" auf Youtube viral. Die darauffolgende EP "Diary 001" und das Debütalbum "Immunity" konnten an den Erfolg anschließen. Trotzdem beginnt "Bambi", der Opener ihrer neue Platte mit ihrer Frustration über die Musikindustrie.
In einem Interview sagte sie, sie sei in diese Musikwelt hineingeworfen worden, in der ihr Männer sagten, was sie zu tun und zu lassen habe, wie die Musikjournalistin Helene Nikita Schreiner erklärt.
In den Songs auf dem neuen Album drücke Clairo ihre Hoffnung aus, dass diese großen Chefs irgendwann weg seien und an deren Stelle irgendwann nettere Menschen rückten, interpretiert Schreiner. Doch es gebe auch egoistischere Gründe, weshalb die Musikerin trotz der sie frustrierenden Situation weitermache: "Sie tut es aber auch – und das finde ich sehr ehrlich – um ihr 'aufmerksamkeitshungriges Zukunfts-Ich', so nennt sie das selbst, zu befriedigen und diesen Durst nach Aufmerksamkeit zu stillen."

Auseinandersetzung mit der Rolle als Frau

"Sling" sei insgesamt auch keine Abrechnung mit der Popszene. Das Hauptthema sei vielmehr ihre Mutter, mit der die 22-Jährige viel Zeit während der Pandemie verbracht habe. Dabei seien dann Fragen aufgekommen wie etwa: "Wer war meine Mutter, bevor sie meine Mutter war?" und "Wer ist sie als Frau?"
Clairo denke wohl darüber nach, ob sie sich selbst vielleicht gerade in dieser Zeit befinde, in der sie noch ein Individuum und eine Frau sein darf, bis sie dann irgendwann nur noch als eine Mutter wahrgenommen werde. Sie hinterfrage die Erwartungen, die eine Gesellschaft an Frauen habe, die Rollen, welche die Gesellschaft Frauen zuschreibe.
Klanglich hat "Sling" für Schreiner das Prädikat "Bedroom-Pop" verdient. Alles sei sehr verträumt und ruhig, mit gehauchter, sanfter Stimme und vielen Instrumente wie Klavier, Akustikgitarre und Harfen.

Die altkluge 22-Jährige

Schreiner fehlen auf "Sling" allerdings Überraschungen: "Das ist so eine Art Musik, die auch gerne mal als Spotify-Chor beschrieben wird: leicht durchhörbare, unaufdringliche Begleitmusik." Man könnte das natürlich auch ein bisschen anders sehen. Dann könnee man sagen, es seien einfach Songs, die sehr, sehr gut zusammenpassten, die gut ineinander übergingen, die stimmig seien und hinter denen ein sehr großes Konzept stehe.
Der Musikjournalisten fehlt dafür allerdings die Selbstironie auf dem Album: Die Gedanken, die Clairo formuliere, seien zwar nicht falsch, aber wirkten oft altklug – und das wirke gerade bei einer 22-Jährigen etwas einschläfernd.
(hte)
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