City of Music

Ausgerechnet Hannover!

Lead singer Klaus Meine (R) and lead guitarist Rudolf Schenker of the iconic German heavy metal band Scorpions, 2009.
Kommen aus Hannover: Die Scorpions - hier Gitarrist Rudolf Schenker (links) und Sänger Klaus Meine © AFP PHOTO JOHN MACDOUGALL
Von Alexander Budde  · 29.11.2014
Die Rockband Scorpions, Musikproduzent Mousse und Sänger Thomas Quasthoff - sie alle kommen aus Hannover und sind drei von vielen Gründen, warum sich die Stadt bei der UNESCO als City of Music bewirbt. Aber wie hip ist Hannover wirklich?
Trommelwirbel ziehen den Besucher immer tiefer in den alten Luftschutzbunker hinein. Graffiti, rätselhafte Zeichen schmücken die im Halbdunkel aufragenden Betonwände. Hinter mächtigen Stahltüren probieren Musiker. Ein Brausen schwillt an - aus Rap, Funk und Schwermetall. Hier im Kulturbunker in der Rotermundstraße im Hannoveraner Stadtbezirk Vahrenwald trifft die harte auf die sanfte Welle.
Ausgerechnet Hannover will sich zur UNESCO-"City of Music" aufschwingen. Sollte die vergleichbar beschauliche Stadt an der Leine triumphieren, wäre sie künftig in einem Atemzug mit Bogota, Bologna, Glasgow, Gent und Sevilla zu nennen. Da sind die Musikmetropolen, die bislang im Netzwerk der "Creative Cities" vernetzt sind.
Provinzieller Übermut, Hybris gar? Cindy, Michelle, Henk und auch all die anderen Künstler, derer der Reporter an diesem Abend im Kulturbunker habhaft wird, erwarten nichts weniger als einen triumphalen Ausgang des Höhenflugs. Hannover, so frohlocken die Alt-Rocker ihre halb geleerten Becks-Flaschen schwenkend, sei nämlich durch und durch musikalisch.
Nils Wilcken: "Es gibt viele Leute, die mit viel Herzblut spielen und das auch auf die Bühne bringen können - man will ja nicht ewig im Keller verstauben! Und ich muss sagen: es gibt in Hannover relative viele Möglichkeiten, gerade auch für junge Leute. Es gibt viele Band-Contests oder auch Locations, wo man open stage auf die Bühne gehen kann."
Michelle Schiller: "Und dann gibt es ja auch vom MusikZentrum Hannover ganz viele Möglichkeiten, wie "Frauen-Rockmobil", dass also Mädchenbands sich gründen können. Und das sind dann auch die Väter schuld. Wenn die irgendwann mal gerockt haben in Hannover, dann färbt das ab."
Cindy Honrbostel-Schiller: "In Hannover gibt es einfach ein tolles Publikum!"
Im pompösen Rathaus der Messestadt kann Marlis Drevermann allerhand klangvolle Argumente ins Feld führen, die Hannovers Anspruch untermauern sollen. Die Kulturdezernentin schwärmt von der vitalen Jazz-Szene am Ort. Sie erinnert an die rund 400 Laienchöre, zu denen sich Bürger vereinen. Weltruhm genießen Knaben- und Mädchenchor, bemerkt Drevermann. Und die Sozialdemokratin versichert, dass sie in Hannover trotz der klammen Kassenlage ...
Marlis Drevermann: "... systematisch allen Kindern, die es wollen, die Chance geben, Musik zu machen, Rhythmus zu lernen, sich begeistern, selbst machen, zuhören. Das ist ein großer Erfolg, weil die Schulen auch feststellen, wie wichtig das für die Kinder ist, mit Musik zu wachsen!"
Vom UNESCO-Ehrentitel erhoffen sich die Anwärter, dass er den Tourismus ankurbeln, das ohnehin schon breite Portfolio von Festivals, Konzertreihen und Produktionen aufwerten könnte. Doch die Hannoveraner versprechen, als gute Netzwerker auch den internationalen Austausch mit Ländern zu pflegen, deren Kreativwirtschaft noch im Aufbau steckt.
Marlis Drevermann: "Es gibt viele Projektideen, gerade mit Malawi. Zum Beispiel, dass wir überlegen, im Bereich der Popmusik hier dem jungen Nachwuchs, Musikern und Technikern aus Malawi, eine Möglichkeit zu geben, ein Praktikum zu machen - und zu lernen, wie man eine Veranstaltung organisiert."
AC/DC und ZZ Top kaufen ihre Gitarren in Hannover
Was noch immer kaum jemand weiß: In Hannover wurde 1898 das Grammophon erfunden, 1951 die allererste Schallplatte gepresst. Auch Musik-Kassette und CD gingen hier erstmals in Serienfertigung. Kluge Köpfe aus Hannover bereicherten die Musikwelt mit dem MP3 Standard. Eine elitäre Künstler-Fangemeinde von AC/DC bis ZZ Top schwört auf die in Hannover gefertigten Gitarren Marke "Duesenberg". In der Kreativmetropole Hannover glauben auch Forscher wie Eckart Altenmüller an die unbändige Kraft der Musik.
Eckart Altenmüller: "Wir haben festgestellt, dass die Musik und vor allem das Musizieren ein unglaublich mächtiger Anreiz für Veränderungen des Nervensystems ist, dass sich das Gehirn vernetzt, dass wir die Stimmungen verändern können. Wir können zum Beispiel erklären, warum wir bei bestimmten Musikstücken ´ne Gänsehaut haben und warum überhaupt die Menschen so gerne Musik machen. Im Moment sind wir sehr stark daran interessiert, die Wirkungen von Musik insbesondere in der Therapie zu beforschen."
Der Neurologe leitet das Institut für Musikphysiologie und Musikermedizin (IMMM) an der Hochschule für Musik, Theater und Medien. In seiner Praxis in Hannover behandelt Altenmüller alljährlich bis zu 500 Musiker, die an Schmerzen, Zittern oder Lampenfieber leiden.
Eckart Altenmüller: "Ich finde diese Idee, dass Hannover als Musikstadt sich bewirbt, grandios! Weil es so etwas Offenes, Internationales gleichzeitig aber auch liebenswert Provinzielles enthält."
Im verbunkerten Probenraum wirft Michelle einen müden Blick auf Kabel, Verstärker und Eierpappen. Am Montag will die UNESCO verkünden, wer sich künftig als "City of Music" präsentieren darf. Mehr Geld für Hannovers Kreativwirtschaft erwartet der Rock-Veteran davon nicht. Doch er vertraut auf die Selbstverpflichtung des Magistrats, die Musen zu ehren und zu fördern:
Michelle Schiller: "Wenn wir uns jetzt als band bewerben, und sagen, wir möchten gern in Hamburg spielen und kommen aus der UNESCO-Stadt, der Musikstadt Deutschlands, ´ne größere Krone kann man sich nicht aufsetzen! Wenn das tatsächlich Hannover hinbekommen würde, super! Dann können wir auch ´ne höhere Gage verlangen!"
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