Chronologie des Unrechts

19.09.2007
Das Westjordanland wurde 1967 nach dem Sieg im Sechs-Tage-Krieg von Israel besetzt. Bereits kurze Zeit später kamen die ersten Siedler und ließen sich nieder. Die israelische Historikerin Idith Zertal und der Journalist Akiva Eldar zeichnen in "Die Herren des Landes" die israelische Siedlerbewegung seit 1967 nach und zeigen, wie eng die Bewegung mit den gesellschaftlichen und politischen Kräften des Landes verwoben ist.
1967, mit dem Sieg im Sechs-Tage-Krieg, erzielte Israel große Landgewinne. Seine Armee eroberte das Gebiet westlich des Jordans sowie Ost-Jerusalem. Während Ost-Jerusalem umgehend annektiert wurde, ist das Westjordanland bis heute besetztes Gebiet. Israel gab für die Besetzung politische Gründe an: Man brauche das Westjordanland als Faustpfand für künftige Verhandlungen. 1988 gab Jordanien seinen Anspruch auf das besetzte Gebiet zwar auf, die israelische Besetzung hingegen hält an. Sie ist kein Faustpfand mehr, sondern erweist sich als eines der größten Hindernisse für Frieden im Nahen Osten.

Denn für einen beachtlichen Teil der israelischen Gesellschaft gibt es gar keine "besetzten Gebiete", sondern nur von Gott zugesprochenes Land: das biblische Galiläa, Judäa und Samaria. Viele gläubige Juden sehen es seit 1967 als religiöse Pflicht an, dieses Land zu "retten". Der damalige Sieg der israelischen Armee gilt ihnen als Wunder. Als Geschenk Gottes, dessen sie sich würdig erweisen wollen. Sie fühlen sich aufgerufen, "die Unversehrtheit des Landes" zu garantieren. Das heißt nichts anderes, als es zu besiedeln.

So werden im Westjordanland und um Jerusalem Häuser gebaut und Straßen, Zäune gezogen und die rechtmäßigen Ansprüche arabischen Bewohner ignoriert. Israels nationalreligiöse Siedler, Wiedergeburt der zionistischen Pioniere, verändern die Landkarte und schaffen Fakten. Alles in göttlichem Auftrag. Die israelischen Regierungen, gleich welcher Couleur, unterstützen sie mehr oder weniger offen. Sie legalisieren Rechtsbrüche der Siedler im Nachhinein. Seit vierzig Jahren geht das schon so, das Muster ist immer dasselbe.

In ihrem Buch "Die Herren des Landes" stellen die israelische Historikerin Idith Zertal und der Journalist Akiva Eldar die Geschichte der Siedlerbewegung seit 1967 vor. Sie liest sich als eine Chronologie des Unrechts. Eine Geschichte, in der Interessen von Religiösen, Militärs und Politikern eine unheilvolle und anhaltende Allianz hervorgebracht haben.

Die Autoren stehen der Siedlerbewegung kritisch gegenüber. Sie weisen nach, wie stark von Jahr zu Jahr ihr Einfluss auf die israelische Politik gewachsen ist. Dabei wird durch die nationalreligiösen Siedler das Konzept des israelischen Staates selbst infrage gestellt. Ihrer Vorstellung von "Eretz Israel", der "Verkörperung chiliastischer, religiöser und nationaler Mythen und Hoffnungen" steht die eines demokratischen, säkularen Rechtstaats gegenüber.

Zertal und Eldar füllen mit ihrer Studie eine Lücke. Obwohl seit nunmehr vierzig Jahren die spektakulären Aktionen der Siedler weltweit die Öffentlichkeit beschäftigen, gab es bislang keine vergleichbar umfassende und fundierte Beschäftigung mit der Siedlerbewegung, wie sie jetzt von diesen beiden Autoren geleistet wurde.

Anhand vieler Beispiele machen sie klar, dass Siedler keine homogene Gruppe außerhalb der israelischen Gesellschaft sind. Kein Geschwür, das man abtrennen könnte. Im Gegenteil. Zertal und Eldar verdeutlichen, wie eng die Verbindungen der Nationalreligiösen zu allen Organen des gesellschaftlichen Lebens sind. Sie stellen Knessetabgeordnete und gelten als vorbildliche Soldaten in Eliteeinheiten der Armee. Das lässt für eine grundlegende Veränderung der Situation in Zukunft wenig Spielraum.

Rezensiert von Carsten Hueck

Idith Zertal / Akiva Eldar: Die Herren des Landes. Israel und die Siedlerbewegung seit 1967
Aus dem Englischen von Markus Lemke
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2007
570 Seiten, 28,00 Euro