Christov-Bakargiev wird nächste documenta-Chefin

Von Carsten Probst · 03.12.2008
Die Leiterin der documenta 13 wird eine US-Amerikanerin mit bulgarischen Wurzeln: die in New Jersey geborene, aber vor allem in Europa tätige Kuratorin Carolyn Christov-Bakargiev. Sie hat nun bis 2012 Zeit, ihr Programm für die international bedeutendste Ausstellung für zeitgenössische Kunst zu entwerfen.
Die documenta gönnt sich eine Verschnaufpause. Carolyn Christov-Bakargiev ist eine exzellente Kuratorin, und wenn die Short List der sechs letzten, aussichtsreichsten Bewerber stimmt, die in den letzten Tagen kursierte, dann hat Bakargiev das mit Abstand profundeste Angebot an Fachwissen und Erfahrung gemacht, gerade in Hinblick auf große Ausstellungen. Aber sie ist keine Frau für große Experimente und extreme Thesen. Sie ist nicht der Typ der intellektuellen Überzeugungstäterin wie Catherine David, die der documenta 1997 gegen erhebliche Widerstände eine völlig neue Ausrichtung gab.

Als Leiterin des renommierten Castello di Rivoli in Turin, einer der am meisten angesehenen Adressen für Gegenwartskunst in Europa, ist Bakargiev eher eine gestandene Kunstmanagerin. Damit passt sie gut in die derzeitige Situation der documenta, die schwierig ist.

Die Findungskommission scheint aus dem Verlauf und der teils massiven inhaltlichen Kritik an der letzten documenta von Roger M. Buergel und Ruth Noack Konsequenzen gezogen zu haben. Man wollte offenbar eine Zäsur, aber nicht nur gegenüber Buergel, sondern gegenüber den letzen drei documentas.

Catherine David hatte 1997 mit ihrer documenta 10 ein Muster geliefert, auf das sich ihre Nachfolger Okwui Enwezor 2002 und Roger M. Buergel 2007 mehr oder weniger ausdrücklich bezogen. Diese drei letzten documentas wurden von Theoretikern geleitet, die die Kunst mehr als Beleg und Illustration für politische und ästhetische Theorien verwendeten und ausstellten. Sie versuchte,n das Kunstverständnis des europäischen Publikums zu erweitern, zu öffnen für die dezidiert politische Rolle, die die Gegenwartskunst auf den anderen Kontinenten, vor allem in Südamerika und Afrika spielt.

Vor allem wollte sich die documenta aber immer wieder als die Anwältin einer marktfernen Kunst auszeichnen, und das suggerierte aus Sicht der Kuratoren auch: einer wahren Kunst abseits des Mainstreams, die nicht nur als Markt- und Karrierestrategie funktioniert.

Diese Aufteilung der Kunstwelt in Gut und Böse funktioniert aber schon lange nicht mehr. Das hat die Findungskommission eingesehen. Mit der Wahl von Carolyn Christov-Bakargiev haben sie eine ideologiefreie Kuratorin berufen, der es, so kann man aus ihrer bisherigen Ausstellungstätigkeit schließen, um die Arbeit mit Künstler und Kunst geht, aber nicht darum, ihnen eine Theorie überzustülpen.

Zugleich besitzt sie aber den fachlichen Horizont, um die wichtigsten Themen der documenta abzudecken: das Erbe der Moderne, Kunst als politisches Medium für die Probleme unserer Zeit und die verschiedenen Gegenwartskünste in aller Welt.

Mit dieser Wahl ist klar, was die documenta nicht mehr sein soll. Was sie dagegen noch sein kann, muss dahingestellt bleiben. Das Publikum strömt seit Jahrzehnten so zahlreich nach Kassel, weil sich die Ausstellung erfolgreich das Image eines Orakels unserer Kultur erarbeitet hat. Das ist auch in Zukunft die Erwartung, aber ob sie eingelöst werden kann, darauf gibt die Ernennung Bakargievs keine Antwort.

Vielleicht ist es dafür auch zu früh. Die nächste documenta wird vielleicht eine Art Übergangsdocumenta, passend zur Übergangsphase, in der sich momentan offenkundig die ganze Welt befindet. Vielleicht wird sie stärkere Ähnlichkeiten mit den Biennalen und mit dem Angebot des Kunstmarktes haben als zuvor. Wahrscheinlich wird man im Herbst 2012 sagen, es war eine schöne und solide Schau. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.