Christlicher Glaube und Extremismus

Hass, der aus Kirchenbänken quillt

Leere Kirchenbänke, hier in der St. Anna Kirche in Düren
Für Christen ist jeder Mensch ein Ebenbild Gott. Eigentlich. In der Realität gibt es natürlich auch unter Christen Männer und Frauen, die rassistische Ressentiments haben. © picture alliance / Horst Ossinger
Friedemann Bringt im Gespräch mit Kirsten Dietrich · 08.05.2016
Wenn gläubige Menschen autoritären Grundhaltungen anhängen, lehnen sie oft religiöse Vielfalt ab. Dies sei der Nährboden für menschenfeindliche Vorurteile, die vor Kirchentüren nicht Halt machen, meint Friedemann Bringt von der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus.
Kirsten Dietrich: Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs galten die Kirchen als eine der wenigen Institutionen, die nicht vom Nationalsozialismus korrumpiert waren. Dass dieser Eindruck sehr geschönt war, ist inzwischen lange bekannt – auch wenn das in den Kirchen oft nicht so gerne gehört wird. Zur Zeit stehen die Kirchenleitungen in vorderster Reihe, wenn es gegen neue Formen von Ausgrenzung und Rassismus geht. So hat Heinrich Bedford-Strohm, der Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche in Deutschland, erst in der letzten Woche beim neuen Programm der AfD die mangelnde Abgrenzung von Gewalt kritisiert. Aber auch jetzt gilt: Das Bild ist vielschichtiger.
Darüber habe ich mich mit Friedemann Bringt unterhalten. Er ist Sozialarbeiter und Projektleiter der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus. Die Arbeitsgemeinschaft bietet zum Beispiel Workshops an für Kirchengemeinden, die in die Flüchtlingsarbeit eingestiegen sind und jetzt deswegen mit rechtsextremer Gewalt konfrontiert sind. Worin die Arbeit mit kirchlichen Unterstützern besonders ist, wollte ich von Friedemann Bringt wissen.
Friedemann Bringt: Wir machen so ein Querschnittsangebot. Wir sind eine kirchliche Initiative, aber gegründet von zivilgesellschaftlichen Initiativen auch. Wir haben sozusagen beide Teile bei uns im Netzwerk, und was wir da konkret machen, ist, Beratungsangebote, die es gibt seit vielen Jahren, in Ostdeutschland mehr als im Westen, den neu entstandenen Willkommensbündnissen vorzustellen. Da gibt es ja mobile Beratungsteams, es gibt Beratungsstellen für Betroffene rechter Gewalt. Wir merken, dass die kirchlichen Initiativen, die gerade jetzt in jüngster Zeit durch die Flüchtlingssituation neu entstanden sind, von diesen Beratungsangeboten oft nichts wissen, jetzt aber in die Situation versetzt werden, dass sie angegriffen werden von rassistischen Initiativen, "Nein zum Heim"-Initiativen, AfD-Umfeld, Pegida sind die Stichworte dazu, und nicht so richtig wissen, wie sie mit diesen Angriffen umgehen können und wo sie sich Beratung holen können. Und das genau versuchen wir, in diesen Workshops ihnen zu geben sozusagen.
Dietrich: Die Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus besteht seit sieben Jahren. Ihr Glaubensbekenntnis, so schreiben sie, ist: Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist mit dem christlichen Bekenntnis unvereinbar. Warum ist es nötig, das noch mal extra zu sagen? Sollte das nicht, ganz besonders im kirchlichen Raum, selbstverständlich sein?

"Gegenentwurf zu rassistischen und antisemitischen Weltbildern"

Bringt: Ja, das sollte man denken, dass die Gottesebenbildlichkeit eines jeden Menschen für alle klar ist und in kirchlichen Gruppen. Und sie ist eben auch ein kompletter Gegenentwurf zu rassistischen und antisemitischen Weltbildern. Aber wir wissen einfach, ein Blick in die Geschichte der Kirchen zeigt, mit Kolonialismus oder den Verquickungen mit dem nationalsozialistischen System als zwei Stichworten, dass das für die verfasste Kirche nicht immer so einfach eben war leider.
Weswegen wir eben sagen, dass wir dieses Potenzial, dieses rassismuskritische und menschenfreundliche Potenzial, das in der Bibel steckt, noch mal deutlicher in den Vordergrund rücken wollen. Und wir sind eben der Auffassung, dass wir erst dann Teil der Lösung sein können, wenn wir erkennen, dass Kirche auch Teil des Problems war und ist immer noch, und deswegen heißen wir "Kirche und Rechtsextremismus", Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus, und nicht "gegen Rechtsextremismus", weil wir merken, dass wir in den eigenen Reihen durchaus Bildungsarbeit zu leisten haben, Aufklärungsarbeit zu leisten haben und ein bisschen demütiger und selbstkritischer in die Welt gucken sollten.
Dietrich: Das ist ja nicht das Bild, das unbedingt nach außen vermittelt wird. Da scheint es so, als ob sich die Kirchen, jeder, der in den Kirchen irgendeine Stimme hat, ganz entschieden, entschlossen und ganz klar auch gegen alle rechtsextremen Strömungen stellt. Ist das gar nicht das Bild, das in den Gemeinden wirklich vorherrscht?
Bringt: Na ja, es besteht, wie in vielen großen Organisationen auch natürlich eine große Diskrepanz zwischen dem, was Kirchenoffizielle predigen und sagen, und dem, was im Gemeindealltag gang und gäbe ist. Und wir haben sowohl bei den besonders religiösen Gruppierungen Probleme als auch bei der Volkskirche, die wenig religiös oder weniger religiös orientiert ist. Ein renommierter Politologe, Albert Scheer, beschreibt das so, ich zitiere mal: "Der Anspruch der evangelischen Kirche, die eigene antisemitische Tradition in einem Prozess der selbstkritischen Auseinandersetzung überwunden zu haben, wird von einem relevanten Teil ihrer Mitglieder nicht mitgetragen."
Das hat er aufgeschrieben, als er 2007 für das Bundesinnenministerium eine Studie zu Antisemitismus in der evangelischen Kirche verfasst hat. Aber das zeigt zumindest mal für den Teil der Volkskirche, also der weniger religiös orientierten Gruppierungen, dass eben da Traditionsbestandteile der deutschen Christen durchaus noch vorhanden sind in der Kirche, und dass tatsächlich zwar seit vielen Jahren und Jahrzehnten es einen christlich-jüdischen Dialog gibt, der aber nicht von allen Teilen der Kirchen eben mitgetragen wird.
Dietrich: Kann man diese fehlende Auseinandersetzung mit eigenen antijudaistischen, antisemitischen Traditionen so hochrechnen auf moderne Bewegungen wie die AfD oder Pegida oder Ähnliches, gegen die jetzt im Moment Sie zum Beispiel sich in Ihrer Arbeit wenden?
Bringt: Man muss eben sehr differenzieren. Die AfD bezieht sich ja sehr, und das zeigt ihr neues Grundsatzprogramm, das jetzt letztes Wochenende verabschiedet wurde, sehr auf eine muslimfeindliche, islamfeindliche Strömung und Orientierung und weniger auf Antisemitismus, wobei zu Recht natürlich alle Meinungsforscher sagen und auch Leute, die zum Beispiel im Zentralrat der Juden da sehr kritisch auf die Situation schauen, dass, wo Muslime vogelfrei erklärt werden, auch bald Juden vogelfrei erklärt werden oder später Kommunisten. Das sind ja klassische Erfahrungen auch mit dem Nationalsozialismus.
Das heißt, wenn die Hemmschwelle sinkt, bestimmte Gruppierungen weniger wertzuschätzen und auszuschließen aus der Bevölkerung oder aus der politischen Teilhabe, dann wird es schnell ein Phänomen, das für andere Minderheiten auch gilt. Und das muss man eben sehr kritisch und mit frühen Grenzziehungen begleiten. Das macht die kirchenoffizielle Ebene durchaus, allerdings ist eben die Kirchenbasis was anderes als das kirchenoffizielle Gespräch oder der kirchenoffizielle Text, und da braucht es Vermittlungsarbeit, und da braucht es solche Initiativen wie unsere, und wir sind ja nur ein Netzwerk. Wir bestehen aus circa 40 Initiativen, die dann in den Regionen und lokalen Kontexten tatsächlich arbeiten.
Dietrich: Wie bricht man das auf? Wie kann man dann wirklich Menschen zum Beispiel in Kirchengemeinden vor Ort überhaupt erst mal dazu bringen, zuzugeben, dass sie da genauso Ressentiments haben wie andere, die eben nicht in der Kirchengemeinde aktiv sind?
Bringt: Zum Beispiel durch solche Fortbildungsangebote, wie wir sie unterbreiten, oder Handreichungen, die sich eben mit rassismuskritischer Theologie und Religionspädagogik befassen, und da Vorschläge machen, wie das in den Alltag von jungen Gemeinden, von religiöser Bildung allgemein, sowohl für Jugendliche als auch für Erwachsene eingepflegt werden kann in der Kirche. Mit ganz praktischen Exegesen, Predigtvorschlägen oder Meditationen oder Alltagssituationen, Planungsgruppen, die als methodischer Entwurf für die Jugendarbeit zum Beispiel unterbreitet werden. Das sind so Angebote, die wir machen, also Handreichungsformate. Und andererseits hilft erst mal nur der selbstkritische Dialog, die Draufsicht. Ohne diesen selbstkritischen Zugang auf das eigene Handeln wird das nicht funktionieren. In der Regel sind die Mitarbeiterinnen der Jugendarbeit oder der Bildungsarbeit doch gut ausgebildet. Allerdings fehlt sozusagen, wie wir merken, so ein Zugang zu dieser Thematik Rassismus, Antisemitismus. Und da versuchen wir Angebote zu machen oder eben mit Praktikerinnen und Praktikern zu entwickeln.
Dietrich: Gibt es denn eine Bereitschaft, da wirklich selbstkritisch zu gucken, also nicht einfach nur Strömungen anderswo zu kritisieren, sondern wirklich zu sagen, wir sind Teil davon?

"Selbstkritische Auseinandersetzung mit den eigenen Traditionsbestandteilen"

Bringt: Es ist natürlich viel leichter, die andere Seite zu kritisieren und sich selbst als die gute Seite sozusagen zu definieren. Aber wir haben diverse Kontakte, und unsere Workshops werden angenommen. Insofern gibt es auch die Akteurinnen und Akteure in der Kirche, die selbstkritisch gucken wollen und Themen bearbeiten wollen. Allerdings ist es nicht sozusagen der leichte Weg, den wir da vorschlagen, und das merken wir dann auch immer wieder bei Nachfragen oder in Konferenzen, in den Diskussionen, die wir erleben, dass der schnelle Rekurs auf Arbeit gegen Neonazis, Demonstrationen gegen NPD oder so, einfacher scheint als die selbstkritische Auseinandersetzung mit den eigenen Traditionsbestandteilen.
Dietrich: Vielleicht liegt das Problem ja auch noch viel tiefer. Es gibt ja auch Untersuchungen, die sagen, dass generell religiöse Menschen eben nicht nur bereit sind zu großer Hilfeleistung, sondern eben auch anfälliger sind für Vorurteile.
Bringt: Das stimmt dann, wenn sie kulturelle und religiöse Vielfalt ablehnen und autoritären Grundhaltungen anhängen. Es gibt natürlich im evangelikalen Bereich, im pietistischen Bereich, es gibt stark religiös orientierte Menschen, die solche menschenfeindlichen Vorurteile durchaus pflegen, zum Beispiel Homophobie ist da ein wichtiges Thema, das wir bearbeiten. Aber es gibt genauso religiös stark orientierte Menschen, die diese Toleranz aufbringen können und die in ihren theologischen Traditionsbestandteilen eben religiöse Vielfalt durchaus drin haben. Und dann ist Religiosität auch durchaus ein Mittel zur Vorbeugung von Vorurteilen.
Dietrich: In gut zwei Wochen beginnt in Leipzig der diesjährige Katholikentag. Die Veranstalter haben klar gesagt, niemand aus dem Umfeld der AfD kommt auf irgendein offizielles Podium. Finden Sie das eine sinnvolle Maßnahme, oder wird da vielleicht auch eine Chance auf eine öffentliche Entzauberung dieser Ideologien vertan?
Bringt: Ich finde das eine richtige Entscheidung, weil die meisten Formate dieser großen Events wie Katholikentag oder Kirchentag eben Großveranstaltungen sind, wo in der Regel ein Podium vor einem Publikum sitzt und Podiumsdiskussionen durchführt. Ich wäre nicht dafür, der AfD oder Vertretern von Pegida oder Legida da eine Bühne zu bieten für ihre Hasspropaganda. Allerdings, und das hat ja der Katholikentag auch gar nicht ausgeschlossen, finde ich auch, dass Kirche eine wichtige Funktion hat, im Gespräch, im Dialog mit Menschen, die Ängste haben vor den vielen Flüchtlingen, die kommen, der vielleicht sozialen Überforderung mancher Gemeinwesen, was auch immer. Diese Ängste müssen durchaus angesprochen werden, aber da hat Kirche eigentlich klassische Formate zu bieten, die viel zu wenig wertgeschätzt werden meines Erachtens. Dafür braucht es nicht solche großen Formate, und es braucht schon gar nicht eine Bühne für neurechte Ideologien.
Dietrich: Und was wären diese klassischen Formate, die Sie da meinen?
Bringt: Offene Abende, junge Gemeinderunden, Älterengesprächsgruppen, Bibelarbeitskreise. Es gibt ja wirklich …. – das gesamte Gemeindeleben ist eigentlich ein großer Dialog und ein Diskurs über Bibel, über Ethik, über Menschenwürde und Menschenbilder, und die werden, glaube ich, nicht wertgeschätzt in dem Zusammenhang, diese Ängste, die wir erleben in Teilen der Bevölkerung, abzubauen. Stattdessen setzen aber Teile von Kirche auf diese großen Formate. Wir erleben das hier in Dresden, in der Kreuzkirche in Dialogforen, wo dann 500 Menschen in der Kreuzkirche sitzen und zum Teil wirklich der blanke Hass sozusagen aus den Kirchenbänken quillt, wo mit Geflüchteten überhaupt nicht gesprochen wird, sondern es geht da nur um innere Sicherheit, und es geht um gefühlte Themen, um gefühlte Wahrnehmungen von Überfremdung und Überforderung. Aber die andere Seite wird kaum gehört, und es gibt auch kaum eine Moderation dieser Veranstaltungen. Und das erschreckt schon, wenn Kirche da nicht bessere Formate findet.
Dietrich: Friedemann Bringt von der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus. Die Bundesarbeitsgemeinschaft ist mit eigenen Veranstaltungen auf dem Katholikentag in Leipzig vertreten – und auch wir berichten natürlich von dort, im aktuellen Programm von Deutschlandradio Kultur und hier, in "Religionen".
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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