Christian Ude über IT-Sicherheit und den Einfluss von Microsoft

"Das war ein sehr bedeutsamer Fall"

SPD Mayor of Munich Christian Ude addresses delegates during the Social Democratic Party (SPD) congress in Hamburg 27 October 2007. The Social Democrats, equal partners in Germany's ruling coalition, voted the day before approved a motion calling on the "grand coalition" government to extend the period of time older Germans can receive full jobless benefits
Christian Ude (SPD), ehemaliger Oberbürgermeister von München, 2007 in Hamburg. © AFP / John MacDougall
Christian Ude im Gespräch mit Katrin Heise · 03.03.2018
Experten warnen bereits seit längerem vor dem Betriebssystem von Microsoft. Es erhöhe das Angriffsrisiko. Dabei gibt es Alternativen, wie München zeigt. Dort hatte der ehemalige Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) auf Open-Source-Software gesetzt und damit sogar Microsoft-Chef Bill Gates alarmiert.
Vernetzung ist die große Chance der öffentlichen Verwaltung – und zugleich ihre Achillesferse. Schon seit Jahren warnen Experten davor, dass die Nutzung von kommerzieller Software, wie Microsoft, in staatlichen Verwaltungen das Risiko für Hackerangriffe erhöht. Große Internetkonzerne, wie Amazon, Facebook, Google, nutzen deshalb statt kommerzieller Software vor allem sogenannte Open-Source-Software.
Das ist kostenlose Software, an der transparent und gemeinschaftlich geschrieben wird, so dass Sicherheitslücken von der IT-Community schon frühzeitig erkannt werden. Im Gegensatz dazu behält Microsoft wichtige Informationen – wie Sicherheitslücken im Quellcode – für sich.

München als Vorreiter

Schon vor Jahren entschied sich deshalb Christian Ude (SPD) als damaliger Oberbürgermeister von München die Verwaltung von Microsoft auf das Open-Source-Betriebssystem Linux umzustellen. Der Auslöser war, dass Microsoft 2004 überraschend den Support für Microsoft NT 4.0 kündigte. Christian Ude:
"Um damit die Stadt zu zwingen, auf ein neues weiterentwickeltes Microsoft-Produkt umzusteigen. Was natürlich Millionen-Kosten auslöst."

Ude ließ die Vor- und Nachteile von kommerzieller Software und freier Software in Studien und Gutachten vergleichen und stellte fest, dass die Nutzung von Open-Source-Software viele Vorteile bot:
"Dann war für uns klar, wir entscheiden uns für die größere Sicherheit und größere Unabhängigkeit."
Viele hätten ihn damals für verrückt gehalten. Die Chefs von Microsoft, Bill Gates und Steve Ballmer, hätten ihn sogar persönlich aufgesucht, um ihn von den Vorteilen von Microsoft zu überzeugen.
(mw)

Das Interview im Wortlaut:

Katrin Heise: Vernetzung ist die große Chance der öffentlichen Verwaltung, aber ist auch ihre Achillesferse. Was da an sensiblen Daten hin- und hergeschoben wird, da ist natürlich besonderer Schutz angesagt. Dieser Schutz scheint Experten zufolge aber schon lange allein dadurch fragwürdig, weil der Staat mehrheitlich auf Microsoft-Software setzt. Übrigens, die großen Internetunternehmen wie Facebook, Amazon, Google halten sich verstärkt an Open-Source-Software, also an Software, an der gemeinschaftlich und transparent gearbeitet wird, auch an Sicherheitslücken. Im Gegensatz dazu behält Microsoft wichtige Informationen für sich, also da ist zum Beispiel der sogenannte Quellcode zu nennen, das ist so eine Information, die da eben nicht verbreitet wird. Bevor ich mich in technischen Details jetzt hier verliere, möchte ich Erfahrungen hören, Erfahrungen von einem, der seine Verwaltung tatsächlich auf einen anderen Weg gebracht hat und sie gehen ließ. Guten Morgen an Christian Ude!
Christian Ude: Ja, guten Morgen!
Heise: Über 20 Jahre waren Sie Oberbürgermeister von München, auch in der Zeit, in der Verwaltung überhaupt erst mal so richtig in großen Zügen digitalisiert wurde. Das Thema Sicherheitslücken in der Software dürfte damals auch ganz oben auf der Agenda gestanden haben, oder?
Ude: Es war ein ganz wichtiges Kriterium, aber nicht der Auslöser. Der Auslöser war im Jahr 2003, dass Microsoft wirklich ziemlich nassforsch, wie im Nachhinein auch zugegeben wurde, den Support für Windows NT4 eingestellt hat, also sich plötzlich weigerte, weiterhin Unterstützung und Betreuung zu gewähren, um damit die Stadt zu zwingen, auf ein neues, weiterentwickeltes Microsoft-Produkt umzusteigen, was natürlich Millionenkosten auslöst. Und das hat für die städtische IT-Politik die Frage aufgeworfen: Kommt es denn nur darauf an, wer das günstigste Angebot macht, wenn er das jederzeit beenden kann? Kommt es nicht auch auf die strategische Unabhängigkeit an?
Und außerdem natürlich auf die Sicherheitsfragen, die damals schon sehr kritisch bei Microsoft in der Fachwelt gesehen wurden. Und das hat uns veranlasst, Studien in Auftrag zu geben, Untersuchungen machen zu lassen: Wie schaut das Angebot von Microsoft im Vergleich aus mit anderen Lösungen? Und das führte zu dem großen Vergleich zwischen proprietärer Software, wo der Eigentümer, der Hersteller alle Kenntnisse auch für die Weiterentwicklung des Systems für sich geheimbehält, um faktisch ein Monopol zu haben, oder Open-Source-Lösungen, die man auch als Landeshauptstadt zum Beispiel oder als Bundesland oder als Gendarmerie weiterentwickeln kann. Und da war bei uns die Entscheidung klar: Wenn das wirtschaftlich vergleichbar ist – und das war der Fall –, dann entscheiden wir uns für die größere Sicherheit, für die größere Unabhängigkeit, also für Open Source.

"München ist halt nicht irgendeine Kommune"

Heise: Und da haben Sie und Ihr grüner Regierungspartner sich dann in dem Fall für Linux entschieden. Damit war München aber eine der ganz wenigen Städte, die eben nicht auf Microsoft gesetzt haben, und das hatte auch Folgen. Kann man jetzt positiv oder negativ sehen, Sie haben sogar einen Besuch vom damaligen Microsoft-Chef Ballmer bekommen. Wie läuft denn so eine Begegnung ab, ist das freundlich oder ist das ein bisschen erpresserisch?
Ude: Das ist richtig. Also wir haben den Eindruck gewonnen, dass Microsoft ein unglaubliches Interesse daran hat, unseren Schritt in die Unabhängigkeit zu verhindern und uns zurückzupfeifen und später es wieder rückgängig zu machen. Offensichtlich war das ein sehr bedeutsamer Fall für Microsoft wie auch umgekehrt für die europaweite Open-Source-Szene, denn München ist halt nicht irgendeine Kommune, sondern die größte Stadtgemeinde Deutschlands. Und es ist ein IT-Zentrum mit weltweitem Ruf. Und wenn eine Stadt mit solcher wirtschaftlicher Bedeutung und solchem Ruf als IT-Zentrum sich für Open Source entscheidet, ist das offensichtlich für den Microsoft-Konzern ein Alarmzeichen, ein Worst Case Szenario gewesen.
Und Steve Ballmer hat sogar seinen Urlaub in der Schweiz unterbrochen, wo er Ski fahren war, um sehr kraftvoll und nachdrücklich auf mich einzureden. Und am meisten hat mich verwundert, wie bei den Angeboten, um uns bei Microsoft unter der Fuchtel zu halten, die Millionen nur so gepurzelt sind. Die Ersatzlösungen sollten erst über 36 Millionen kosten, nachdem ich mich gesträubt habe, dem Gedanken näherzutreten, waren es plötzlich unter 32 und am Ende des Gesprächs sogar 23,7 Millionen. Also es wurde sichtbar, dass Microsoft ein unglaubliches materielles Interesse hat, diesen Schritt in die Unabhängigkeit zu verhindern.

Und später im Rahmen der Bundesgartenschau hatte ich sogar noch ein Gespräch mit Bill Gates selber, der mich bat, ihn im Auto zum Flughafen zu begleiten, wo er mich also wirklich wie ein krankes Pferd behandelt hat und auf mich eingeredet hat, ich solle zur Vernunft zurückkehren. Und dann fragte er: Warum tun Sie das, das ist doch ein irrer Schritt, warum machen Sie das? – Und ich sagte: Um unabhängig zu werden. – Ja, von wem denn unabhängig? – Und dann sagte ich: Von Ihnen. – Und dann sagte er nur noch: Das ist Ideologie, das hat mit Sachentscheidungen nichts zu tun.

Erneute Systemumstellung für 90 Millionen Euro

Heise: Sie waren ja Präsident des Städtetages, da haben Sie aber auch andere Bürgermeister von anderen Städten beobachten können. Den großen Erfolg also in der Umkehrbewegung haben Sie nicht erleben können?
Ude: Nein. Ich habe das Thema wiederholt zur Debatte gestellt, aber festgestellt, es gab nur ganz wenige Kommunen, die das gemacht haben, Schwäbisch Hall ja vor uns und andere haben es erwogen wie zum Beispiel Wien, die Hauptstadt Österreichs. Aber in Deutschland war es von der Computerszene her ein Diktat, an Microsoft zweifelt man nicht, das ist das Modernste und Beste, was es gibt, und die Praktiker waren auch oft der Meinung, dabei solle man bleiben, weil man es auch schon mal gelernt hat, während Open Source ja in der Tat mit mehrjährigen Strapazen verbunden ist, sich da auf eigene Beine zu stellen, die Software selber weiterzuentwickeln.

Es hat schon Mühe gemacht. Das Verrückte ist nur, dass wir die Mühe im Jahr 2013 hinter uns hatten, da arbeiteten 15.000 Verwaltungsarbeitsplätze mit Open Source, und, wie der Chef der städtischen IT festgestellt hat, ohne größere Probleme. Da gab es mal Ärger mit einer einzigen E-Mail, die vieles lahmgelegt hat, und dann gab es Schwierigkeiten mit den Notebooks der Stadträte, aber das war eigentlich alles. Und trotzdem ist nach der Wahl mit dem Wahlsieg einer Großen Koalition im Münchner Rathaus beschlossen worden, zu Microsoft zurückzukehren, was 90 Millionen kostet.
Heise: Und da kann man Ihre Enttäuschung noch heute hören. Christian Ude und seine Erfahrungen als Münchner Oberbürgermeister mit Verwaltungssoftware, die eben mal nicht von Microsoft kam. Jetzt kommt sie in München auch wieder von Microsoft. Danke schön, Herr Ude, für Ihre Erfahrungen!
Ude: Ja, gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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