Christian Joppke: "Der säkulare Staat"

Ruhige Worte in hitziger Debatte

Das Buchcover "Der säkulare Staat auf dem Prüfstand" vor einem blauen Hintergrund.
Christian Joppke fokussiert auf die zunehmende politische Präsenz der religiösen Rechten in den USA. © Hamburger Edition / Unsplash / Aleks Dahlberg
Von Marko Martin · 08.12.2018
Was tun, wenn Religion und Rechtsstaat aufeinanderkrachen? In der oft hitzigen Debatte um Kruzifix und Kopftuch tut dieses Buch von Christian Joppke gut: Völlig unaufgeregt benennt und bewertet es die Probleme allzu offensiver Religiosität.
Nein, dieses Buch ist trotz des Titels kein Buch aus der Aufreger-Reihe: "Was jetzt zu tun ist". Christian Joppke, Soziologieprofessor an der Universität Bern und Mitglied im Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration, ist kein schriller Thesenritter, sondern ein bedächtig wägender Wissenschaftler. Seine Rückversicherungen bei Klassikern der Soziologie und die in ruhigem Ton vorgetragenen Relativierungen so mancher Schnellschuss-Befunde zeugen von fachlicher Seriosität, sind stilistisch jedoch häufig eine beträchtliche Lektüre-Herausforderung.

Zunehmende politische Präsenz der christlichen Rechten

"Der säkulare Staat auf dem Prüfstand. Religion und Politik in Europa und den USA" – worum geht es in dieser umfangreichen Studie? Und vor allem: Worin besteht die aktuelle Relevanz dieses Buches? Als es in Druck gegangen ist, hatte zwar in den USA Richter Brett Kavanaugh, Präsident Trumps hochumstrittener erzkonservativer Kandidat für das Amt am Obersten Gerichtshof, noch nicht die erforderlichen parlamentarischen Hürden genommen. Doch Christian Joppke fokussiert auf eine Entwicklung, die sich bereits seit langem in den USA abzeichnet: die zunehmende politische Präsenz der religiösen Rechten (denen Trump auch maßgeblich seine Wahl zu verdanken hat).
Angesichts der gesellschaftlichen Heterogenität der Vereinigten Staaten, angesichts auch der ungleich stärker als in Europa ausgebauten institutionellen Trennung zwischen Staat und Kirche und nicht zuletzt aufgrund der geradezu ostentativen Nicht-Religiosität der Millenials kommt er dennoch zu einem überraschend positiven Fazit: "Amerika ist immer noch besser gerüstet als die meisten anderen Länder, um Gläubige der verschiedensten Glaubensrichtungen und Nicht-Gläubige zusammenzuführen." Was im übrigen auch mit dem Charakter des Christentums zusammenhängt, dessen nicht allein auf Weltlichkeit rekurrierende Vision Säkularität erst möglich machte – Stichwort: Luthers "Zwei-Reiche-Lehre". Das sind Begriffsklärungen und historische Reminiszenzen, die einer gegenwärtig oft ahistorisch geführten Debatte nur gut tun können.

Ein Islam, der keine Trennung zwischen Religion und Politik kennt

Wie aber sieht es mit dem Islam aus, dessen Religions-, Politik- und Gesellschaftsverständnis total ist und deshalb keine Trennung der unterschiedlichen Sphären kennt? Joppkes in unaufgeregtem Ton vorgebrachtes Plädoyer für einen pragmatischen Rechtsstaat - der ja in vielen Belangen etwa bereits auf islamisches Familienrecht eingegangen sei - ist ein wohltuendes Antidot zum gegenwärtigen Populismus eines "ethnisierten Säkularismus" à la AfD. Für die immense Herausforderung, die eine offensiv gedachte und gelebte islamische Religiosität für den öffentlichen Raum darstellt, fehlen freilich auch ihm die Antworten. Konkrete Fallbeispiele des Gelingens oder Scheiterns einer Balance zwischen Rechtsstaat und Religion hätten hier vielleicht ein wenig weitergeholfen – allein, man findet sie kaum in dieser gelehrten Studie.
Was also bleibt? Das Buch bietet eher Begriffsklärung als Handlungsanweisung. Salopp (und zweifellos bedenklich unwissenschaftlich) könnte man sagen: Gut, dass wir zumindest derart zivil und abgewogen darüber gesprochen haben.

Christian Joppke: "Der säkulare Staat auf dem Prüfstand. Religion und Politik in Europa und den USA"
Hamburger Edition
350 Seiten, 35 Euro

Mehr zum Thema