Christen im Irak

Auf der Flucht

Ein Kind in einem Flüchtlingslager in der irakischen Stadt Erbil
Ein Kind in einem Flüchtlingslager in der irakischen Stadt Erbil © dpa / picture-alliance / Str
Von Martin Zagatta · 12.08.2014
Beraubt, terrorisiert, vertrieben: Vor zehn Jahren sollen rund 1,2 Millionen Christen im Irak gelebt haben. Mittlerweile sind es Schätzungen zufolge nur noch 300.000. Aus Angst vor den Islamisten flohen viele in das Kurdengebiet.
Es ist eng in dem Schulhof in Erbil, in der Hauptstadt der irakischen Kurden. Mehr als 100 Flüchtlinge, vor allem Familien mit kleinen Kindern, haben hier ein vorrübergehendes Zuhause gefunden. Auch ein älteres Ehepaar, dem man anmerkt, wie unwohl es sich fühlt in dem Gedränge. Der Frau zittern die Hände, und blankes Entsetzen ist immer noch in ihrem Gesicht, wenn sie erzählt, wie sie Tage zuvor von den Islamisten aus ihrem Haus vertrieben wurden, in der Nähe von Mossul, nur so sagt sie, weil sie Christen sind.
"Die haben uns aus unserem Haus rausgeschmissen und uns gesagt: Geht zu den anderen Christen, geht zu eurem Pastor. Die sollen sich um euch kümmern. Ihr gehört nicht hierher. Haut ab und gebt uns euer Geld. Sonst werdet ihr auf der Stelle erschossen."
Mehr als 40 Jahre - so erzählt die Frau - haben sie und ihr Mann in dem Haus gelebt, ohne Probleme, in Freundschaft auch mit den muslimischen Nachbarn - bis zu dem Tag, an dem die Milizen vom sogenannten "Islamischen Staat" vor der Tür standen und sie bedrohten, entweder auf der Stelle zum Islam zu konvertieren, getötet zu werden, oder ohne Hab und Gut zu fliehen.
"Die haben uns ein Ultimatum gestellt: Zehn Stunden und ihr seid weg. Alle Christen, die dann noch da sind, werden hingerichtet. Und dann sind sie gekommen und haben mich gezwungen, ihnen den Schlüssel zu geben. Sie haben gesagt: Dieses Haus gehört jetzt dem Islamischen Staat!"
Christen und kurdische Jesiden auf der Flucht im Nordirak
Christen und kurdische Jesiden auf der Flucht im Nordirak© Marwan Ibrahim / AFP
Ihr Auto hat man den beiden gelassen. An einem Kontrollpunkt der Scharia-Milizen wurden sie aber noch einmal ausgeraubt, mussten sogar Medikamente abgeben und das letzte Geld, wie so viele der Christen, die aus Mossul vertrieben wurden und sich aufgemacht haben in die autonome Region der irakischen Kurden, in das knapp 100 Kilometer entfernte Erbil. Die Dschihadisten, die ein Kalifat ausgerufen haben und alle Andersgläubigen terrorisieren, sollen rund 3000 Christen aus Mossul vertrieben haben. Vor einem Jahrzehnt, als Saddam Hussein gestürzt wurde, hätten hier noch 25.000 gelebt, sagt der christlich-chaldäische Patriarch Louis Sako.
"Die Zukunft der Christen ist jetzt völlig ungewiss, und wenn man keine Lösung findet, werde es kaum noch Christen im ganzen Irak geben."
Die Islamisten haben Kirchen zerstört. Hunderte Christen seien ermordet worden, Zehntausende vertrieben. Vor zehn Jahren sollen noch 1,2 Millionen Christen in dem Zweistromland gelebt haben. Jetzt sind es, so wird geschätzt, nur noch 300.000. Viele haben den Irak verlassen, nachdem die Christen und ihre Kirchen immer wieder zum Ziel von Anschlägen wurden. Jetzt fliehen sie Richtung Bagdad, die meisten aber in das Kurdengebiet, wo inzwischen mehr als 600.000 Flüchtlinge leben. Dennoch werde kein einziger Christ abgewiesen. Die Kurden seien bereit, sie auch militärisch zu schützen, mit ihren Peschmerga, mit ihrer Miliz, erklärt Massud Barsani, der Kurdenpräsident.
"Die Peschmerga, die kurdische Regionalgarde, verteidigt auch die Christen. Wir sorgen dafür, so Barsani im Fernsehsender Al Jazeera, dass in Kurdistan die verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Religionen friedlich zusammenleben können."
Kurden fordern mehr Unterstützung
Doch das ist eine gewaltige Herausforderung. Die meisten der aus Mossul vertrieben Christen sind völlig mittellos angekommen. Und so richtig sicher können sie sich hier ganz im Nordosten des Landes auch nicht fühlen. Von Bagdad werden die Kurden weitgehend im Stich gelassen, da sie sich abspalten und einen eigenen Staat gründen wollen. Und die kurdischen Truppen sind trotz Unterstützung durch die Kampfflieger der USA in verlustreiche Gefechte mit den Milizen der Islamisten verwickelt.
"ISIS verfügt über jede Menge moderne Waffen - und um gegen sie bestehen zu können, müssen die Peschmergas viel besser ausgerüstet werden, von den USA oder anderen."
Meint Masrour Barsani, der Chef des Kurdischen Sicherheitsrates.
"Die internationale Gemeinschaft hat doch eine moralische Verantwortung denjenigen zu helfen, die ihr Leben riskieren, um andere, um Zivilisten zu schützen."
Zu solchen Waffenlieferungen wollen sich die Kirchen am liebsten nicht äußern. Doch von der UNO erwartet Aziz Emanuel, ein Vertreter der christlichen Gemeinschaften im Irak, mehr als nur besorgte Erklärungen.
"Wir fordern, dass eine Schutzzone eingerichtet wird für die Christen. Wenn die internationale Gemeinschaft das nicht macht, gibt es keine Zukunft für die Christen im Irak", so Emanuel.
Viel weiter geht da eine sogenannte Brigade Babylon, eine christliche Miliz, die sich in Bagdad gebildet hat und der nach Presseberichten rund 2500 Kämpfer angehören sollen. Ihr erklärtes Ziel: Die Stadt Mossul wieder zu befreien - und den vertriebenen Christen die Rückkehr dorthin zu ermöglichen.
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