Online-App "Utopolis"

Ein Spiel mit der Demokratie

Polarwölfe im Wildpark in Hanau (Hessen)
Polarwölfe im Wildpark in Hanau (Hessen) © picture alliance / dpa / Boris Roessler
Von Marcus Richter · 20.04.2015
Anführer, denen bereitwillig gefolgt wird, Mehrheits-Votings für die Totalüberwachung: Zeigt die Online-App "Utopolis - Aufbruch der Tiere" auf, wie wir wirklich ticken?
Hallo, mein Name ist Tomm und ich bin ein Wildschwein. Das ist nichts Ungewöhnliches, in "Utopolis" sind wir alle Tiere. Jeder kann etwas Besonderes. Wir Wildschweine sind Nahrungssammler, Hirschkäfer sind Handwerker, Wölfe Kämpfer und so weiter. Gemeinsam haben wir eine Aufgabe: Das todbringende rote Leuchten besiegen.
Was klingt wie eine Mischung aus "Farm der Tiere" und Weltuntergang, spielt sich wie eine Wirtschaftssimulation: In "Utopolis" hat jede Figur in jeder Runde eine bestimmte Anzahl Energiepunkte. Damit kann man Rohstoffe sammeln oder verarbeiten. Wenn genug gesammelt oder hergestellt wurde, ist das Level geschafft.
Bis zu 25 Spieler können online mitspielen – oder eben nicht, wie ich bei meiner ersten Partie feststelle. Weil kaum einer der Teilnehmer aktiv ist, wird schon das erste Level-Ziel nicht erreicht und damit ist "Utopolis" verloren.
Lektion 1: Eine Gesellschaft funktioniert nur, wenn viele daran aktiv mitarbeiten
Mark: "Also ein Spiel, dass nur funktioniert, wenn die Gruppe zusammenarbeitet, arbeitsteilig vorgeht, jeder Mitspieler seine Stärken ausspielt und nutzt und auch über Schwächen von anderen Mitspielern hinwegsehen kann und die tolerieren kann."
Mark ist 47 Jahre alt, Angestellter in einem Logistikkonzern in Frankfurt und begeisterter "Utopolis"-Spieler. Ich lerne ihn während meiner nächsten Partie kennen. Er übernimmt hier fast automatisch die Führung, weil er sich sehr gut auskennt und einige Spielschritte sogar schon im Voraus ausgerechnet hat. Für Ralf Nemetschek, den Vorstandsvorsitzenden der Nemetschek-Stiftung, die das Spiel herausgebracht hat, ist das ein ganz typischer Vorgang:
"Da gibt es den Excel-Diktator, der immer genau ausrechnet, was man noch tun muss und in vielen Spielen ist es so, dass dem einfach gefolgt wird, die Planwirtschaft und die Excel-Diktatur ist scheinbar auch sehr beliebt, stellt man immer wieder fest."
Lektion 2: Mit Wissensvorsprung erreicht man schnell einflussreiche Positionen
Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht, erklärt mir Mark. Es reicht nicht, einen guten Lösungsweg zu wissen, man muss ihn den anderen Mitspielern auch gut verkaufen können. Alexandra ist 34 Jahre, Münchnerin, arbeitet im Marketing und spielt ebenfalls "Utopolis". Sie hat ähnliche Erfahrungen gemacht.

"Du musst da eher so ein bissel versuchen die Sprache, die die anderen sprechen, dir eigen zu machen, um auf dem selben Level irgendwie zu kommunizieren und in dem Moment hast du recht schnell eine Vertrauensbasis geschaffen."
Klingt ein bisschen wie Wahlkampf, denke ich mir und beobachte, dass das Konzept wirklich funktioniert: Klare, harte Handlungsanweisungen werden eher ignoriert, freundlich formulierte Vorschläge eher angenommen.
Lektion 3: An der Macht bleibt nur, wer andere von sich überzeugen kann
Für diese Überzeugungsarbeit gibt es im Spiel zwar einen eingebauten Chat, der ist allerdings sehr unkomfortabel.
"Ich hab eingeladen dazu, andere Kanäle zu benutzen, das haben dann nur ganz wenige Spieler tatsächlich gemacht."
Lektion 4: Ernsthafte politische Arbeit bedeutet zusätzlichen Aufwand, den die meisten scheuen
Wie auch in unserer Welt, gibt es für das Zusammenleben in "Utopolis" Gesetze. Das sind Regeländerungen über die demokratisch abgestimmt wird und die den weiteren Spielverlauf beeinflussen. Immer wieder findet zum Beispiel die Überwachung der Teilnehmer eine Mehrheit, sehr zur Überraschung von Ralf Nemetschek:
"Dieses Transparenzgesetz, ich nenn es auch immer NSA-Gesetz. Jeder Spieler kann sehen, was jeder andere Spieler macht, ich find das total schrecklich, aber es ist total gewünscht. Argumentation ist die, die man auch aus dem echten Leben kennt: Das ist halt praktisch, effizient und so weiter."
Lektion 5: Manchmal heiligt der Zweck die Mittel
Und hier sind jetzt die Grenzen der Analogie von Spiel und Realität erreicht: Es ist eben doch nur die Transparenz in einem Spiel, dass genau einen Lösungsweg hat und kein Eingriff in die komplette menschliche Privatsphäre.
Trotz dieser Grenzen: "Utopolis" zu spielen ist sehr lehrreich. Auch wenn Führungs-Spieler wie Mark die aus dem Spiel gewonnenen Erkenntnisse nicht primär unter Politik verbuchen:
"Es ist ein Spiel, bei dem ich viel gelernt habe, wie man es schafft Empfehlungen auszusprechen, beispielsweise, wie ein Ziel erreichbar ist, es so rüberbringen kann, dass für andere Mitspieler annehmbar macht und es mitgehbar macht, ohne dass es dann gleichzeitig wieder langweilig wird."
"Utopolis" ist also nicht so sehr ein Lehrstück in Demokratiebildung als vielmehr ein Sandkasten in dem man viel über politische Diskussion lernen kann.
Lektion 6: Politische Arbeit ist vor allem Kommunikation
Für Ralf Nemetschek als Herausgeber des Spiels ist damit ein wesentliches Ziel erreicht, aber es geht den Machern um mehr:
"Das andere strategische Ziel ist wirklich, dass Computerspiel als Medium in der politischen Bildung nach vorne zu bringen, weil wir einfach glauben, dass das ein sehr vielversprechender Weg ist, der noch gar nicht oft genug gegangen wird."
Auch dieses Ziel könnte bald erreicht werden, denn "Utopolis" ist in der Kategorie "Serious Games" für den Deutschen Computerspielepreis nominiert, der morgen Abend verliehen wird.
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