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Mord an Abgeordneter Jo Cox
Prozessauftakt in London

Jo Cox, die pro-europäische Labour-Abgeordnete, wurde eine Woche vor dem Brexit-Referendum auf offener Straße in ihrem Wahlkreis ermordet. Der grausame Tod der 41-jährigen Mutter zweier kleiner Kinder schockte ganz Großbritannien. Von heute an steht in London der Mann vor Gericht, der für die Tat verantwortlich sein soll.

Stephanie Pieper | 14.11.2016
    Blumen als Zeichen der Trauer um die Abgeordnete Jo Cox liegen am Parliament Square in London, Großbritannien.
    Zeichen der Trauer: Nach dem Mord an der Abgeordneten Jo Cox im Juni 2016 war die Anteilnahme in Großbritannien groß (picture alliance / dpa/ Will Oliver)
    "Tod den Verrätern, Freiheit für Britannien": So gab Thomas Mair seinen Namen an, bei einer ersten gerichtlichen Anhörung wenige Tage nach dem Mord an Jo Cox. Am 16. Juni dieses Jahres hat er – laut Anklage - der Parlamentarierin vor ihrer Bürgersprechstunde im Städtchen Birstall aufgelauert, mit einem Messer auf sie eingestochen und schließlich auf sie geschossen. Die Labour-Politikerin Cox hatte vor dem Volksentscheid am 23. Juni leidenschaftlich dafür gekämpft, dass Großbritannien in der EU bleibt.
    Verfahren findet unter Terrorismus-Protokoll statt
    Ihr mutmaßlicher Mörder Mair sitzt im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London ein. Und auch vor Gericht steht der 52-Jährige nicht dort, wo die Tat geschah, im Norden Englands – sondern in der Hauptstadt, vor dem Old Bailey, dem Strafgerichtshof: Denn das Verfahren findet unter dem sogenannten Terrorismus-Protokoll statt.
    Der Angeklagte hat – laut Augenzeugen – vor der Attacke auf die Abgeordnete "Britain First" gerufen, den Namen einer rechtsextremen Organisation. Der Witwer Brendan Cox sagte in einem BBC-Interview vor wenigen Wochen:
    "Zur vergifteten Atmosphäre vor Jos Tod hat nicht nur die erhitzte Debatte vor dem EU-Referendum beigetragen. Es ist eine tiefergehende Krankheit in unserer Politik: die steigende Tendenz, die Schuld für unsere Probleme anderen in die Schuhe zu schieben, seien es Zuwanderer, Muslime oder Europa."
    Witwer will Cox' Vermächtnis fortführen
    Jeden Tag, erzählt Cox, spreche er mit seinem Sohn und seiner Tochter – beide im Kindergartenalter – über ihre Mutter. Er hat ihnen nicht verheimlicht, auf welch grausame Weise sie gestorben ist; Psychologen hatten ihm dazu geraten, weil die Kinder die brutale Wahrheit sonst anderswo aufschnappen würden. Eine Frage jedoch kann Brendan Cox ihnen und sich selbst bis heute nicht beantworten: Warum? Warum tut jemand so etwas?
    Auf Einladung des US-Präsidenten besuchten Cox und die Kinder das Weiße Haus und trafen dort Barack Obama persönlich. Der Witwer setzt das Engagement seiner ermordeten Frau gegen Extremismus und für eine gerechtere Gesellschaft fort – ihr Vermächtnis ist jetzt seine Aufgabe:
    "Großbritannien hat eine lange Tradition der Toleranz, der Vielfalt, der Offenheit – das macht uns zu einem großartigen Land. Aber die extreme Rechte hat in den vergangenen Jahren den Patriotismus gekapert - und das dürfen wir nicht länger zulassen."
    Den Sitz von Jo Cox im britischen Unterhaus hat vor wenigen Wochen für Labour ihre Freundin Tracy Brabin eingenommen. Sie vereinte bei der Nachwahl 85 Prozent der Wählerstimmen auf sich, weil die etablierten Parteien keine eigenen Kandidaten gegen sie aufstellten – aus Respekt vor Cox.
    Prozess wird mindestens drei Wochen dauern
    In ihrer ersten Rede im Parlament sagte Brabin, der Anschlag habe nicht nur einer Frau, einer Familie und einer Gemeinde gegolten – sondern den Grundlagen und den Prinzipien unserer Demokratie.
    Thomas Mair, der des Mordes an Cox Angeklagte, war ein arbeitsloser Gärtner; er soll ein Einzelgänger gewesen sein und psychische Probleme gehabt haben. Der heute beginnende Prozess wird mindestens drei Wochen dauern.