Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Bundeswehr
Reif für die Waffe?

Die Zahl der Minderjährigen in der Bundeswehr steigt. Der Wehrbeauftragte sieht darin kein ethisches Problem, der evangelische Militärbischof schon. Das Kriegshandwerk sei keine Ausbildungsberuf wie jeder andere, sagt er. Andere Kritiker sprechen von "Kindersoldaten".

Von Thomas Klatt | 31.01.2018
    Bei der Bundeswehr gibt es immer mehr Minderjährige. Kritiker sprechen von "Kindersoldaten"
    Bei der Bundeswehr gibt es immer mehr Minderjährige. Kritiker sprechen von "Kindersoldaten" (picture-alliance / dpa / Marcel Kusch)
    "Die Grundidee der Bundeswehr zur Zeit ihrer Gründung war ja das berühmte Diktum von dem Staatsbürger in Uniform. Und damit verbunden war eben auch Wahlrecht und Volljährigkeit. Und ich denke das sollte nach wie vor der Normalfall sein. Also ein Dienst und eine Ausbildung an der Waffe ist meiner Ansicht nach vor der Volljährigkeit nicht angezeigt", sagt der evangelische Militärbischof Sigurd Rink.
    Er zeigt sich besorgt, dass immer mehr junge Menschen unter 18 Jahren zur Bundeswehr gehen. Die Aussicht auf eine lebenslange Jobgarantie, vielleicht aber auch das Flair von Abenteuer, scheinen für bestimmte Jugendliche reizvoll zu sein. Natürlich könne man als Azubi seine Ausbildung schon mit 16 Jahren beginnen. Das Kriegshandwerk aber sei kein normaler Beruf, meint der Militärbischof.
    "Es sollte meines Erachtens die absolute Ausnahme sein, dass so etwas passiert, weil der Dienst an der Waffe und die Ausbildung an der Waffe keine Schreinerlehre ist oder ein anderer Beruf, sondern ein hohes Maß an ethischer und moralischer Reflexion voraussetzt und damit eben auch Volljährigkeit", sagt Rink.
    Spitzenwert bei unter 18-Jährigen
    Von den derzeit rund 250.000 Beschäftigten sind rund 160.000 - 170.000 als Soldaten bei der Bundeswehr. Mehr als 2000 unter ihnen sind unter 18 Jahren, ein neuer Spitzenwert. Doch auch andere NATO-Armeen haben unter 18-Jährige in ihrer Truppe. Aber bei der Bundeswehr sei das eben etwas anderes, meint der evangelische Theologe Sigurd Rink.
    "Natürlich haben Länder wie England, Frankreich oder die USA ein ganz anderes Verhältnis zu ihrer Tradition, weil der Zweite Weltkrieg in diesen Ländern wenn man so will in diesen Ländern als ein so genannter 'just war', als ein gerechter Krieg gilt. Während das Verhältnis Deutschlands und damit auch der Bundeswehr in der Folge der Verheerungen des 20. Jahrhunderts eigentlich ein ganz anderes ist, nämlich ein gebrochenes. Dass Deutschland sagt, wir setzen hier ganz hohe Maßstäbe an Qualitätsentwicklung, an Kompetenzen, auch an die moralische Integrität der Bewerberinnen und Bewerber. Das ist so und das sollte auch so bleiben."
    Kritiker sprechen von einem Skandal, benutzen das provokante Wort "Kindersoldaten". Nach Artikel 1 der UN-Kinderrechtskonvention sind Kinder - wie im deutschen Zivilrecht - grundsätzlich alle Menschen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Nun aber explizit von "Kindersoldaten" zu sprechen, hält der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels, SPD, für unangemessen.
    "Unter Kindersoldaten stellen wir uns etwas vor, was wir in Afrika erleben, 12-Jährige, 14-Jährige, die gezwungen werden in Bürgerkriegen mit der Waffe in der Hand vielleicht sogar für die Gegner der Gruppe, aus der sie rekrutiert werden, kämpfen zu müssen. Das hat mit der Praxis in der Bundeswehr überhaupt nichts zu tun", sagt Bartels.
    Übergangsphase 16 bis 18 Jahre
    Wer in Deutschland in welchem Alter nun was machen dürfe, sei längst eine fließende Grenze. Unter 18 sei da eben nicht mehr das absolute Ausschlusskriterium.
    "Die Altersgrenzen sind ganz unterschiedlich. Wir haben inzwischen junge Leute die in manchen Bundesländern mit 16 den Landtag wählen dürfen, in manchen Bundesländern mit 16 Kommunalparlamente wählen dürfen, die mit 16 den Führerschein machen können, aber noch nicht alle Rechte haben. Also zwischen 16 und 18 haben wir inzwischen so eine Übergangsphase."
    Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels (SPD), am 24.01.2017 in der Bundespressekonferenz in Berlin.
    Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels (SPD) sagt: "Unter Kindersoldaten stellen wir uns etwas anderes vor" (picture alliance / Rainer Jensen/dpa)
    Absolut sei zwar die Zahl der deutschen Soldaten unter 18 gestiegen. Da die Bundeswehr aber derzeit wieder mehr Personal einstelle, sei der Prozentsatz der Minderjährigen bei Luftwaffe, Heer und Marine in etwa gleich geblieben. Schließlich gebe es auch bei der deutschen Polizei die Ausbildung ab dem Mittleren Schulabschluss, versucht Wehrbeauftragter Bartels zu beruhigen.
    "Mit 16 können sie für den mittleren Polizeivollzugsdienst der Bundespolizei ihre Ausbildung beginnen. Als Freiwilliger bei der Bundeswehr wäre die Grenze erst 17. Und was klar ist, dass keinerlei Einsatz losgehen kann, nicht zu Hause mit der Waffe in der Hand, nicht im Auslandseinsatz, sondern es kann nur um Ausbildung der jungen Leute gehen. Und nach der Statistik, die jetzt vorgelegt wurde für's letzte Jahr ist der ganz überwiegende Teil dieser 17-Jährigen, die ihre Ausbildung bei der Bundeswehr angefangen haben, mit Ende der Grundausbildung auch schon 18 gewesen."
    Kritik an Werbestrategien der Bundeswehr
    Weder das Bundesministerium der Verteidigung noch der Deutsche Bundeswehrverband mochten dem Deutschlandfunk zu dem Thema ein Interview geben. Dafür aber spricht Lisi Maier, Vorsitzende des Deutschen Bundesjugendrings. Für sie gibt es keinen Grund zur Entwarnung. Dass sich das deutsche Militär nicht an die Richtlinien der UN-Kinderrechtskonvention hält, kritisiert sie scharf.
    Maier sagt: "Der UN-Ausschuss für die Rechte der Kinder hat 2014 Deutschland gerügt und hat noch mal deutlich gemacht, dass es eigentlich an der Zeit wäre, dass Deutschland die Altersgrenze 18 einführt für den Einstieg in die Bundeswehr. Einfach damit noch einmal eine andere Entscheidung gefällt werden kann von einem jungen Menschen."
    Daher lehnt der Bundesjugendring auch reine Werbeveranstaltungen der Bundeswehr etwa an Schulen ab. Vielmehr sollten sich junge Menschen etwa in kontroversen Diskussionsveranstaltungen zwischen Militärbefürwortern und Pazifisten selbst ein Bild machen, wie der Frieden in der Welt gesichert werden kann. Daher sei auch die derzeitige Werbestrategie der Bundeswehr zu kritisieren, nämlich gezielt Kinder und Jugendliche für den Soldatenberuf anzusprechen.
    "Was der UN-Ausschuss auch noch mal gesagt hat, dass die Werbestrategien nicht danach ausgerichtet sein sollten, Kinder und Jugendliche für den Dienst an der Waffe ein Stück weit auch als ein Abenteuer zu gewinnen", sagt Maier. "Da haben wir seit vielen Jahren Bedenken, wie die Werbestrategie der Bundeswehr sich entwickelt. Da gibt es diese Werbeserie 'Die Rekruten', wo die Arbeit bei der Bundeswehr und der Dienst an der Waffe eher als ein Abenteuer dargestellt wird und aus unserer Perspektive ist es eine ernsthafte Sache, wo man sich bewusst sein muss, dass es eben kein Abenteuer ist und kein Spielplatz."
    Image-Problem?
    Damit habe die Bundeswehr auch ein massives Image-Problem. In großangelegten Werbekampagnen präsentiere sich die Bundeswehr zwar als attraktiver Arbeitgeber. Doch es fehle längst der Rückhalt in der Bevölkerung, warnt der evangelische Militärbischof Sigurd Rink:
    "Man muss ja sagen, dass die Bundeswehr als Institution in den letzten 25 Jahren einen enormen Rückbau erlitten hat. Also in der Spitze nach der Wiedervereinigung waren es ja bis zu 600.000 Soldaten, die im Dienst standen. Wir sind jetzt irgendwo zwischen 170.000-180.000 ungefähr plus den Zivilangestellten. Dass die Präsenz längst nicht mehr so gegeben ist, das ist überhaupt keine Frage.
    Damit ist verbunden, dass das Verhältnis der Bundeswehr zur Bevölkerung ganz anders geprägt ist als man es zum Beispiel aus Frankreich, England oder den USA kennt. Wenn Sie in den USA in einen Vergnügungspark gehen, werden Sie bevor die Show beginnt miteinander singen und klatschen und der Spruch fällt: save our troops, also bewahrt unsere Truppen. Wenn Sie in England zurückdenken, dann kommen Paraden mit ehemaligen Soldaten, die ja inzwischen manche schon im Rollstuhl oder mit dem Rollator unterwegs sind. Aber die Bevölkerung steht am Straßenrand und applaudiert und sagt: Ihr habt uns damals gerettet vor der Diktatur des Dritten Reiches. Da gibt es eben in Deutschland ein ganz, ganz anderes Verhältnis zur Bundeswehr. Es ist so ein bisschen wie das Verhältnis zum ADAC. Es muss die Bundeswehr schon geben. Aber so furchtbar viel damit zu tun haben, wollen wir dann doch nicht."
    Bundeswehr-Werbung an einer Bus-Haltestelle in Köln - auf dem Plakat steht "Gegen Terror hilft kein Dislike-Button"
    Die Bundeswehr will mit ihrer Werbung vermehrt junge und Menschen ansprechen (Manfred Kloiber)
    Seit der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 gebe es kaum noch ethische Debatten, ob nun ein Dienst mit oder ohne Waffen friedenstiftender sei. Aus der Parlamentsarmee werde immer mehr eine Nischenarmee, warnt Rink.
    "Die Auseinandersetzung darüber, ob ich Dienst mit der Waffe leisten kann und möchte, ist in den Hintergrund getreten. Und damit auch verbunden die vielen Fragen, die sich rund um die Friedensthematik stellen. Das muss man mal ganz klar sehen. Und auch die Gewinnung von Nachwuchs für die Bundeswehr geschieht nicht mehr breit durch den Schnitt der Bevölkerung hindurch, sondern konzentriert sich natürlich überproportional auf bestimmte Bevölkerungskreise insbesondere aus den mittel- und ostdeutschen Bundesländern. Und das ist an der Stelle auch ein Verlust."
    Das Militär repräsentiere und schütze schließlich die demokratisch verfasste Bundesrepublik. Insofern, und da spricht Sigurd Rink als oberster evangelischer Seelsorger bei der Truppe, verdienten die Bundeswehrangehörigen mehr Respekt:
    "In der Tat wird mir von Soldatinnen und Soldaten immer wieder gespiegelt, dass das Thema des Tragens von Uniform im öffentlichen Raum so kontrovers ist, dass es an der Stelle immer wieder zu Anfeindungen kommt. Man geht über den Berliner Hauptbahnhof oder dergleichen und wird da angepöbelt sag ich mal."