Wiener Burgtheater

Alptraum aus Computern

Auf dem Display eines Smartphones sind die App-Logos verschiedener Social Media Plattformen zu sehen Derweil der Anbieter Facebook seit einiger Zeit Nutzer verliert, werden Dienste wie Snapchat, Tumblr, Twitter und Vine immer beliebter.
Facebook, Whatsapp, Google: Das Ensemble "127" übersetzt die Handlung in die Gegenwart, Seitenhiebe nicht ausgeschlossen. © picture alliance / dpa / Jens Büttner
Von Michael Laages · 22.08.2014
Das englische Ensemble "1927" inszeniert Gustavs Meyrinks "Golem" für das Wiener Burgtheater. Die Aufführung gerät opulent und abwechslungsreich, aber leider auch viel zu kulturpessimistisch.
Im zweiten Jahr des Ersten Weltkriegs, 1915, hatte Karl Kraus begonnen mit dem Mammut-Opus "Die letzten Tage der Menschheit". Der jüngste Versuch mit dem Monstrum, angestrengt vom Wiener Burgtheater, stand am Beginn vom Schauspielprogramm der Salzburger Festspiele. Konsequent wie selten zuvor hat sich das Festival in der Folge dem Schwerpunktthema dieses Sommers gewidmet – und mit der Bearbeitung eines Romans aus dem Jahr 1915 ging es zu Ende. Gustav Meyrinks "Golem" hat das englische Ensemble "1927" aber letztlich für ganz andere Ziele in die Pflicht genommen.
Vom Roman blieb nur das zentrale Motiv: die Erfindung einer Maschine, die dem Menschen unangenehme Arbeit abnimmt; unabhängig von den neuen Maschinen des Krieges, von denen womöglich Meyrink phantasierte. Zunächst ist Golem nur ein grobschlächtiges Helferlein, wie auch Daniel Düsentrieb eins hat – später aber "übernimmt" die Maschine den Menschen komplett, Körper, Seele und Herz.
Was Meyrinks Roman allerdings noch zu verhindern versuchte in der Beschwörung der jüdisch-mystischen Fabel vom Golem-Erfinder, dem Prager Rabbi Jehuda Löw - Suzanne Andrade und Paul Barritt hingegen, die künstlerischen Köpfe der 2005 gegründeten Gruppe "1927", lassen uns, den Zeitgenossen (und Nutzern!) des neuen Golem, weit weniger Hoffnung.
Ein Bilderfest auf der Leinwand hinter der Bühne
Der Theaterabend braucht ein Weilchen, um zum Thema zu kommen in der furios-virtuosen Bilder- und Klangwelt von "1927", also der ziemlich einzigartigen Mischung, Begegnung und Verschmelzung von realem Darsteller-Spiel auf der Bühne und vorproduzierten Animationen zu ebenfalls sehr animierter Tingeltangel-Musik wie aus dem guten alten Orchestrion.
Zunächst wird von einem Geschwisterpaar am Rand der Großstadt-Gesellschaft erzählt. Die beiden leben bei Oma, und beide spielen in einer konsequent erfolglosen Punk-Band, die prinzipiell gegen alles und für nichts ist. Robert arbeitet obendrein in einer Computer-Firma, die Backup-Service betreibt, also Computernutzern bei der Archivierung hilft. Gern und lange streift der ansonsten eher antriebslose Robert durch die Stadt – ein Bilderfest für Barritts Animationen auf der Leinwand hinter dem "richtigen" Robert auf der Bühne.
Robert hat auch einen ziemlich durchgeknallten Ex-Schulfreund, der mit kuriosen Erfindungen immer wieder Pleite geht. Mit der jüngsten aber nicht – er hat den "Golem" erfunden; und Robert wird zum ersten Test-Nutzer. Golem ist aus Lehm und sieht knuffig aus wie die Animations-Figuren in Filmen mit Wallace & Gromit; und er tut zunächst brav, was Herrchen sagt. Was Herrchen sagt, weht wie Noten über die Animationsleinwand in Golems Ohr – aber auch ein merkwürdig grünes Geistergesicht mischt sich bald ein. Mit dieser Zusatz-Dosis entwickelt Golem Bewusstsein und eigenen Willen – und das ist der Anfang vom Ende.
Golem übernimmt mit der Zeit die Herrschaft zu Hause bei Oma und den Enkeln; und als er zur "2. Version" mutiert, ist endgültig nichts mehr zu wollen ohne oder gar gegen ihn. Mit der "3. Version" schließlich nistet sich Golem ein in den Menschen selbst. Wir sind Golem, sind Maschine. Das ist die Zukunft.
Seitenhiebe auf Facebook und Konsorten
Andrade und Barritt lassen die Story nicht grundlos im Backup-Büro beginnen – wie hier alles in Computersprache aus Nullen und Einsen verwandelt wird, so verwandeln sie die Golem-Fabel konsequent zum Alptraum aus Computern; Seitenhiebe auf Facebook und Konsorten inklusive. Das funktioniert an sich prima, erschöpft sich aber auch, weil die Geschichte vorhersehbar wird. Und das Team verzettelt sich beträchtlich in Nebenhandlungen, vor allem um die Live-Musik so abwechslungsreich wie möglich zu gestalten. Die Dramaturgie leidet ein wenig darunter.
Und nach gut 90 Minuten haben wir uns dann auch schon ziemlich satt gesehen an den zugegeben sehr zauberhaften Effekten im Neben- und Miteinander von Realität und Animation; wenn etwa Oma immer wieder am Familien-Porträt herum staubwedelt und immer wieder Dinge "aus dem Bild" gewedelt werden, eine Spinne, Bart oder Brille. Später wird sie zum Teil der eigenen Strickmaschine. So vergnüglich "Golem" in dieser Fassung geraten ist, so schnell erschöpft sich die Fabel.
Und wer weiß – vielleicht hätte ein wenig mehr Meyrink und etwas weniger kulturpessimistische Alpträumerei von der Zukunft der Maschinen in uns dem Abend auch ganz gut getan.
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