Krimtataren im Exil

Die Heimat bleibt im Kopf

Karte der Krim und Schriftzug Krise unter der Lupe, Krim-Krise
Karte der Krim und Schriftzug Krise unter der Lupe, Krim-Krise © imago/Christian Ohde
Von Florian Kellermann  · 03.02.2016
Nach der russischen Annexion ihrer Halbinsel sind einige Krimtataren in den Süden der Ukraine geflüchtet. Der Korrespondent Florian Kellermann war vor Ort, er hat ein Treffen des Komitees zur Verteidigung der Rechte der krimtartarischen Nation besucht.
Im ersten Stock der kleinen Villa hat sich eine illustre Herrenrunde eingefunden: Abmedschit Sulejmanow hat Gäste. Der kleine, etwas füllige Mann ist Mitglied im Medschlis, der Vertretung der Krimtataren. Mit seinen Besuchern schimpft er auf den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko: Er hätte die Ukraine schon längst unabhängig von russischem Gaslieferungen machen sollen, meinen sie.
Sulejmanow lebt seit kurzem nicht mehr auf der Krim, er hat die Gäste in seine Wohnung in Cherson eingeladen, eine Stadt ganz im Süden der Ukraine. Schuld ist die russische Annexion der Halbinsel.
"Ich bin einer von drei Organisatoren des Komitees, das die Rechte der krimtatarischen Nation verteidigen soll. Gegen uns läuft in Russland ein Strafverfahren, unter anderem, weil wir angeblich die staatliche Einheit der Russischen Föderation angreifen. Wenn wir auf die Krim zurückkehren, landen wir im Gefängnis."
Die allermeisten Krimtataren wollten nicht, dass die Krim zu Russland kommt - wegen ihrer historischen Erfahrungen mit der von Russland dominierten Sowjetunion. Nach Schätzungen haben deshalb etwa 10.000 Krimtartaren ihre historische Heimat in den vergangenen beiden Jahren verlassen. Dabei waren die Krimtataren erst ab Ende der 1980er Jahre auf die Halbinsel zurückgekehrt, mehr als vier Jahrzehnte nach der Deportation durch die Sowjetunion.
Bei Abmedschit Sulejmanow gibt es Rindfleisch und Kartoffeln. Und als besondere Delikatesse: geräucherter Speck vom Rind. Etwa ein Drittel der Flüchtlinge sei wie er im südukrainischen Bezirk Cherson untergekommen, bei Verwandten und Bekannten, erzählt der Vertreter des Komitees der Krimtartaren.
Die Regierung verbietet Ausfuhr von Lebensmitteln
Im Bezirk Cherson ließen sich die Krimtataren schon in der Sowjetzeit nieder, in der Hoffnung, auf die nahe Halbinsel übersiedeln zu können. So auch Ruslan, einer der Gäste von Sulejmanow, der 1974 hierher kam, aber mehrmals an der Übersiedlung scheiterte.
"Dann haben wir uns gesagt: Wir bleiben hier, wenn Gott es so will. Unsere Kinder sind hier geboren und aufgewachsen, und wir kommen gut mit den ukrainischen Nachbarn aus."
Von Cherson aus haben Ruslan und Gastgeber Sulejmanow die sogenannte Krim-Blockade unterstützt. Krimtataren und ukrainische Nationalisten hatten sich im vergangenen Oktober organisiert und mehrere Monate lang keine Laster mehr vom ukrainischen Festland auf die Halbinsel fahren lassen. Zeitweise verhinderten sie auch, dass beschädigte Stromleitungen auf die Krim wiederhergestellt wurden.
Inzwischen haben die Blockierer die Straßensperren aufgelöst, denn sie haben ihr Ziel erreicht: Die ukrainische Regierung verbietet nun offiziell die Ausfuhr von Lebensmitteln auf die Krim. Abmedschit Sulejmanow findet das richtig.
"Ich denke, die Ukraine ist nicht verpflichtet, die Okkupanten zu ernähren. Sie muss auch keinen Strom liefern. Russland kämpft gegen die Ukraine. Da den Handel einzustellen, ist das mindeste, was die Ukraine da tun sollte."
Nun wollen die Krimtataren im Süden der Ukraine ein eigenes Freiwilligenbataillon gründen. Es gelte, dort separatistische Strukturen zu bekämpfen, erklärte ihr Anführer Lenur Isljamow. Das Bataillon wird sich dem Innenministerium unterordnen.
Propaganda gegen die Krimtataren
Die Familien der Krimtataren werden heute wieder in alle Winde zerstreut. Neben Cherson und der ukrainischen Hauptstadt Kiew steuern die Flüchtlinge vor allem das westukrainische Lemberg an. Dort wie auch in anderen Städten hilft ihnen die Gruppe KrimSOS, denn die staatliche Unterstützung reicht nicht, um ein neues Leben zu beginnen. Ein Mitglied von KrimSOS in Lemberg ist Alim Aliew, der schon vor sieben Jahren von der Krim nach Lemberg gezogen ist, um dort zu studieren.
"Als die Okkupation der Krim begann, haben die Lemberger die Flüchtlinge sehr warm empfangen. Leute haben angerufen und gesagt: Wir haben eine Drei-Zimmer-Wohnung und geben gerne zwei Zimmer ab, die Flüchtlinge können ruhig ihre Hunde und Katzen mitbringen."
Die Stimmung kühlte merklich ab, als auch Flüchtlinge aus dem im Osten gelegenen Donezbecken kamen - und gleichzeitig junge Lemberger im Kampf in der Ostukraine starben.
Auch Propaganda gegen die Krimtataren trübt das Verhältnis mit den Einheimischen, vor allem auf prorussischen Internetseiten. Dort hieß es vor kurzem, dass die Krimtataren im Bezirk Cherson eine Autonomie für ihre Nation erwirken wollten. "Eine Lüge", sagt der Vertreter des Krimtataren-Komitee Abmedschit Sulejmanow.
"Wir haben nur empfohlen, dass ein Teil der fünf Regionen im Bezirk vorübergehend wie ein Teil der Krim behandelt wird. So können wir dort schon heute ukrainische Strukturen für die Halbinsel schaffen. Wenn die Krim zur Ukraine zurückkehrt, haben wir dann schon fertiges Personal und müssen nicht übereilt handeln."
Wenn die Krim zur Ukraine zurückkehrt? Aliem Aliev von der Hilfsorganisation KrimSOS in Lemberg kann daran nicht mehr Recht glauben. Die Menschen auf der Halbinsel gewöhnten sich langsam an die russischen Flaggen und die neue Realität, meint er.
Mehr zum Thema