Chemnitz

Wie gelingt der Aufstand der Anständigen?

Zuschauer beim "Wir sind mehr"-Konzert in Chemnitz
Zuschauer beim "Wir sind mehr"-Konzert in Chemnitz am Montag © dpa-Bildfunk / Sebastian Kahnert
Dieter Rucht im Gespräch mit Nicole Dittmer · 03.09.2018
Zuhören, informieren, kritisieren:  Nach den rechtsgerichteten Demonstrationen in Chemnitz sieht der Politologe Dieter Rucht verschiedene Möglichkeiten für einen Aufstand der Anständigen.  
Die Betroffenheit müsse aus der Zivilgesellschaft kommen, sagte Rucht, der auch Mitglied im Vorstand des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung ist. "Das lässt sich nicht per Aufforderung bewerkstelligen."
Kritisch sieht Rucht Äußerungen von Politikern: "Ich glaube jetzt nicht, dass der Aufruf von oben von Seiten der Politik jetzt auf besonders fruchtbaren Boden fällt. Da müsste auch die Politik selbst erst mal ganz vorne stehen an der vordersten Front sozusagen und das Engagement zeigen. Dann wäre so ein Aufruf vielleicht auch glaubwürdiger."
Zuvor hatte sich Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) zu den Vorfällen geäußert: "Ich glaube, dass die Lautstärke der Radikalen, die wir im Moment sehen, auch auf den Straßen von Chemnitz, die wird reguliert durch die Lautstärke der Anständigen, die, die für einen weltoffenes und tolerantes Land eintreten wollen."

"Widersprechen, kritisieren, Flagge zeigen"

Rucht sieht verschiedene kurzfristige Möglichkeiten, wie auf die rechten Demonstrationen reagiert werden kann. Es gehe darum zuzuhören, auch dem politischen Gegner. "Das klingt ein bisschen trivial und superpädagogisch. Aber viele Leute beklagen sich auch darüber, dass sie gar nicht gehört werden, dass ihre Sorgen nicht ernst genommen werden", sagt Rucht.
Der Protestforscher Dieter Rucht, aufgenommen am 30.05.2017 in Berlin. (zum Themenpaket "Ein Monat vor dem G20-Gipfel in Hamburg" vom 06.06.2017) Foto: Sophia Kembowski/dpa
Der Politologe Dieter Rucht© picture alliance / Sophia Kembowski/dpa
Außerdem gehe es darum, sich zu informieren, Fakten zu kennen und nichts schönzureden. Der Politologe hält es außerdem für wichtig, Position zu beziehen im Alltag, also "widersprechen, kritisieren, Flagge zeigen". Es gehe darum, sich einzumischen. "Man kann Flüchtlingsinitiativen unterstützen, man kann Solidarität zeigen und man kann auch die richtigen Parteien wählen."
Der Politologe hält solche Maßnahmen für wichtig - auch, weil rechtextreme Kräfte zunehmend selbstbewusster auftreten: "Sie haben offensichtlich den Eindruck, dass ihr Umfeld zumindest es stillschweigend hinnimmt, wenn nicht gar laut applaudiert. Und in diesem Klima kann man sich natürlich selbstbewusst hinstellen und dann sogar noch rufen: 'Wir sind das Volk.' Das hat ja so nie gestimmt, aber die Gefühlslage ist so, als wäre man jetzt schon in der Mehrheit."
(mhn)
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