Chefarzt: Todkranken aussichtsloses Leiden ersparen

Michael de Ridder im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 31.05.2011
Er befürworte die "ärztliche Beihilfe zum Suizid, wenn der Patient seinen Willen nachhaltig gebildet hat", sagt Michael de Ridder, Chefarzt der Rettungsstelle im Vivantes-Klinikum Am Urban in Berlin. Der derzeit stattfindende Deutsche Ärztetag in Kiel will das Thema diskutieren.
Jan-Christoph Kitzler: Ärztliche Musterberufsordnung, das klingt nach bürokratischem Monster und irgendwie auch nach Muster ohne Wert, aber in diesem Richtlinienwerk geht es um Fragen ärztlichen Handelns, die für uns als Patienten sehr wichtig sind. Und ein Thema, das ist in den letzten Wochen besonders heftig diskutiert worden, nämlich die Frage, wie und unter welchen Bedingungen Ärzte kranke Menschen begleiten dürfen, die den Wunsch haben zu sterben. Bisher steht in der Musterberufsordnung nur der schlichte Satz: Ärztinnen und Ärzte dürfen das Leben des Sterbenden nicht aktiv verkürzen. Doch das soll nun viel konkreter formuliert werden. Auf dem 114. Ärztetag, der heute in Kiel beginnt, steht eine neue Version der Berufsordnung zur Abstimmung, und in der soll es nun heißen, es ist Ärzten verboten, Patienten auf deren Verlangen zu töten, sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten. Das ist härter formuliert als im deutschen Strafrecht. Einer, der diese Sätze sehr, sehr kritisch sieht, ist Michael de Ridder, Chefarzt der Rettungsstelle im Vivantes-Klinikum Am Urban in Berlin und Vorsitzender einer Stiftung für Palliativmedizin. Schönen guten Morgen, Herr de Ridder!

Michael de Ridder: Schönen guten Morgen!

Kitzler: Was ist denn eigentlich so problematisch, wenn jetzt genauer definiert wird, was Ärzte dürfen und was nicht?

de Ridder: Lassen Sie mich bitte kurz vorausschicken, dass ich ein überzeugter Vertreter palliativmedizinischer Vorgehensweisen bin und jeden Patienten zunächst einmal versuchen würde, davon zu überzeugen. Aber: Wenn diese Beschlussvorlage heute durchkommt beziehungsweise in den nächsten Tagen, dann ist dies trotzdem für mich ein ethischer Rückschritt, weil sie Sterbende beziehungsweise auch terminal kranke Patienten, denen wir Ärzte mit der Palliativmedizin eben nicht mehr helfen können, sich selbst überlässt beziehungsweise fragwürdigen kommerzorientierten Sterbehilfeorganisationen im In- und im Ausland. Die Entscheidung ist für mich oder wäre für mich ein Ausdruck – ich möchte es mal so nennen – ethischer Basta-Politik, die ganz entscheidend betrieben worden ist von dem designierten Präsidenten, weil ja Herr Hoppe nicht mehr antritt, Frank Ulrich Montgomery.

Kitzler: Bisher war der Zustand ja aber recht schwammig formuliert, wünschen sich nicht eigentlich viele Ärzte einen klareren Rahmen, der ihnen sagt, was ist möglich, was ist nicht möglich?

de Ridder: Ja, aber es geht doch nicht darum, den Ärzten das Leben leichter zu machen, sondern es ist doch Aufgabe dieser Berufsordnung oder gerade dieses Passus, den komplexen Leidenssituationen von Menschen in terminaler Krankheit und am Lebensende gerecht zu werden. Insofern geht diese Frage am Problem vorbei.

Kitzler: Auf der einen Seite sollen Ärzte ja Menschen gesund machen, aber wenn das nicht mehr geht, dann wird der Arzt quasi zu einem, der das Sterben begleitet. Ist das für Sie eigentlich ganz eindeutig, wann dieser Rollenwechsel passiert?

de Ridder: Dem Arzt kann dann diese Aufgabe zufallen, wenn er einen Patienten vor sich hat, der aussichtslos leidet oder eine schwerste Versehrtheit hat und der in dieser Situation maximale Therapie und optimale Zuwendung bekommt und dennoch weiter leidet. Wenn das der Fall ist, dann sollte die ärztliche Beihilfe zum Suizid möglich sein, wenn der Patient seinen Willen nachhaltig gebildet hat, frei von Zwang, das heißt frei verantwortlich.

Kitzler: Und ist dieser Rollenwechsel, der ist aber schon problematisch, weil die Grenze manchmal nicht ganz klar ist, oder ist das für Sie ganz klar?

de Ridder: Ein Arzt kann natürlich an einem solchen Akt nur teilnehmen, wenn er den Patienten und seinen Leidenszustand außerordentlich gut kennt – ich würde hier den Ausdruck Intimität gebrauchen –, man muss ein nahezu intimes Verhältnis zu diesem Patienten und seiner Leidensgeschichte haben, um nachvollziehen zu können, dass hier tatsächlich das selbst gewählte Lebensende des Patienten sozusagen die äußerste Option darstellt der Selbstbehauptung, die äußerte Option, sozusagen die Integrität seiner Persönlichkeit aufrechtzuerhalten. Und an einem solchen Akt, wenn ich als Arzt davon überzeugt bin, an einem solchen Akt, der so hinterlegt ist sozusagen, teilzunehmen, dann ist es für mich niemals unethisch, sondern es ist unter Umständen sogar ethisch geboten, einem solchen Menschen auf diese Weise zu helfen.

Kitzler: Was bedeutet denn diese Regelung in dem konkreten Fall in Ihrer alltäglichen Arbeit? Was können Sie bisher tun und was können Sie in Zukunft dann nicht mehr tun?

de Ridder: Wenn dieser Passus so in der Berufsordnung niedergelegt wird, dass es dem Arzt verboten ist, dann gibt es keine Diskussion, dann muss ich unter Umständen einem Patienten, der sich suizidieren will, frei verantwortlich wohlgemerkt, in den Arm fallen, ich muss ihn wiederbeleben, ich muss unter Umständen dann … ich darf ihn auch möglicherweise überhaupt nicht beraten, in dem Sinne beraten, dass ich gar nicht mit ihm über einen möglichen Suizid, über ein frei gewähltes Lebensende sprechen darf. Das alles könnte mir verboten sein, das alles könnte unter Strafe stehen, und das würde bedeuten, dass unter Umständen ich, wenn ich das dennoch tue, zu einer Geldstrafe verurteilt werde oder aber mir die Approbation entzogen wird oder Ähnliches. Und ich bin der Auffassung, dass hier sozusagen da ein grundsätzlicher Widerspruch zum Strafrecht besteht, der ja den Suizid und auch die Beihilfe zum Suizid, ich sage mal nicht unter Strafe stellt, dass hier letztendlich das Bundesverfassungsgericht irgendwann wird klären müssen, ob dieser Passus der ärztlichen Berufsordnung sozusagen mit unserer Rechtsordnung vereinbar ist.

Kitzler: Das heißt, es ist noch gar nicht klar, ob das, was die Ärzte jetzt beschließen, möglicherweise dann auch juristisch verfolgt wird?

de Ridder: Das wird man aber annehmen müssen, dass das juristisch verfolgt wird, denn wenn so eindeutig ein Verbot ausgesprochen wird, muss es ja hinterlegt werden mit Sanktionen, sonst ist es ja nicht sinnvoll.

Kitzler: Jetzt wählen ja die Vertreter der 430.000 approbierten Ärzte in Deutschland einen neuen Präsidenten – Ulrich Montgomery gilt als Favorit und es ist Wahlkampfzeit –, ist das gefährlich für die Diskussion, die Sie sich vielleicht auch wünschen?

de Ridder: Ich wünsche mir, dass wie auch immer die Entscheidung ausgeht, dass die Diskussion weitergeht. Es kann nicht sein, dass die deutsche Ärzteschaft sich in dieser Weise insbesondere von Herrn Montgomery bevormunden lässt. Was die übrigen Kandidaten angeht, so haben sie alle meines Wissens keine dezidierte Gegenposition, zumal auch Herr Jonitz, der, glaube ich, als auch möglicher Nachfolgekandidat gilt, sich vielfach auch gegen die Möglichkeit des assistierten Suizids ausgesprochen hat.

Kitzler: So sieht es einer, der sich viele Gedanken gemacht hat über das Sterben im Zeitalter der Hochleistungsmedizin: Michael de Ridder, Chefarzt der Rettungsstelle im Vivantes-Klinikum Am Urban in Berlin. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

de Ridder: Ich danke auch!




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