Chatprotokolle an der Wiener Burg

Das Intrigennetzwerk um Sebastian Kurz auf der Bühne

08:35 Minuten
Sechs Schauspieler sitzen an einem langen Tisch und starren in ihre Handys. Nils Strunk, der Thomas Schmid spielt, ist hell erleuchtet.
Fünf Schauspielerinnen und Schauspieler lesen die hochexplosiven Chats vor, eine stellt die Zusammenhänge her. © Lukas Beck
Daniel Jesch im Gespräch mit Vladimir Balzer · 15.10.2021
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Sebastian Kurz trat als Kanzler zurück, nachdem Chats von ihm und seinen Vertrauten publik geworden waren. Darin geht es um Intrigen, Einschüchterung und Posten. Während gegen Kurz ermittelt wird, bringt das Wiener Burgtheater die Chats zu Gehör.
"Es ist ein Zeitzeugnis. Wir erleben hier in Österreich einen Umbruch", sagt der Burgschauspieler Daniel Jesch. "Ich habe das neulich verglichen mit einer Netflix-Serie", so der Deutsche, der sich einen "gelernten Österreicher" nennt. "Es beschränkt sich ja nicht nur auf den kleinen Machtzirkel um Sebastian Kurz und seine Minister, die – man hat den Eindruck – alle nur nach Loyalitätsgründen und nicht nach fachlicher Kompetenz ausgewählt wurden. Es zieht ja viel weitere Kreise. Es tauchen noch ganz andere Nebenstränge auf."
Für ein Videoprojekt des Wiener Burgtheaters hat Jesch jene Chatnachrichten vorgelesen, die von Sebastian Kurz stammen, die zu dessen Rücktritt als Bundeskanzler führten. Insgesamt lesen fünf Schauspieler und Schauspielerinnen die Nachrichten aus dem Umfeld von Kurz vor, und Dörte Lyssewski stellt die Zusammenhänge her und sagt an, von wem die jeweilige Nachricht stammt.

Das Ensemble liest die Chatverläufe der österreichischen Korruptionsaffäre rund um Ex-Kanzler Kurz: Wie das aussieht, welche Wirkung die Lesung erzielt und welche neuen Spannungen sich dabei ergeben, fasst Gerd Brendel zusammen (Audio) .

Er, so Jesch, habe in seinen 20 Jahren in Österreich gelernt, man müsse immer vorausschicken, dass für alle Beteiligten und für jeden Menschen, über den er spreche, die Unschuldsvernutung gelte. Dann zählt er länger auf.

Kanzler Kurz gegen die Katholische Kirche

Eine zentrale Figur ist Thomas Schmid, gelesen von Nils Strunk, der schon in der Ibiza-Affäre von Interesse war – und über den Kurz im damaligen Untersuchungsausschuss gesagt hatte, er kenne ihn nur flüchtig. Die Chatprotokolle belegten aber nun das Gegenteil, so Jesch. Kurz feuert darin Schmid, der zeitweise im Finanzministerium beschäftigt war, bei seinen Intrigen gegen altgediente ÖVP-Politiker an, die Kurz auf seinem Weg ins Kanzleramt stören. Dabei fallen despektierliche Äußerungen.
Sechs Schauspieler sitzen an einem langen Tisch im Hellen, schauen auf ihre Handys und werden gefilmt.
"Causa Kurz: Chatporotojolle" am Wiener Burgtheater: Robert Reinagl, Dörte Lyssewski, Daniel Jesch, Nils Strunk, Christoph Luser, Regina Fritsch.© Lukas Beck
Auch Kirchenvertreter werden eingeschüchtert, wie aus den veröffentlichten Chatprotokollen ersichtlich wird: 2019 kritisieren Spitzen der Katholischen Kirche die Migrationspolitik der damaligen ÖVP-FPÖ-Regierung unter Kurz. "Es kam sofort der Gegenschlag dieser türkisblauen Regierung", so Jesch.
Schmid kündigt im Chat an, den Generalsekretär der Bischofskonferenz, Peter Schipka, zu treffen und unter Druck zu setzen, ihm damit zu drohen, die Steuervergünstigungen für die Kirche zu streichen.
Daraufhin antwortete Kurz: "Ja super. Bitte Vollgas geben." Darauf wieder Schmid: "Yea! Das taugt mir voll!" Im weiteren Chatverlauf machte sich Schmid dann über die Reaktion des Kirchenvertreters lustig:
"Also Schipka war fertig! Steuerprivilegien müssen gestrichen werden Förderungen gekürzt Und bei Kultus und Denkmalpflege wesentliche Beiträge Heimopfergesetz werden wir deckeln Er war zunächst rot dann blass dann zittrig Er bot mir Schnaps an den ich in der Fastenzeit ablehnte weil Fastenzeit Waren aber freundlich und sachlich."
Darauf wieder Kurz: "Super danke vielmals Du Aufsichtsratssammler :)"
Hierauf gab es von Schmid dann zwei Bussi-Emojis.

Zur Belohnung einen Vorstandsposten?

Dieser Thomas Schmid sollte später an die Spitze der Österreichischen Beteiligungs AG (ÖBAG) wechseln.
Im nun öffentlich gewordenen Chatverlauf bat er den Kanzler, ihn "nicht zu einem Vorstand ohne Mandate" zu machen. Die Antwort von Kurz: "Kriegst eh alles, was du willst" – mit weiteren Bussi-Emojis.
"Man gewinnt den Eindruck", so Jesch, "dass diese Menschen sich das Land skrupellos nach Gutdünken untereinander aufgeteilt haben".
Der Schauspieler ist jedenfalls dankbar dafür, wie er sagt, die Machenschaften von Kurz und seinen Prätorianern, wie sie sich selbst nennen, auf die Bühne bringen und damit zur Aufklärung beitragen zu können – und sich selbst so aus einer immer bedrückenderen Ohnmacht zu befreien.

Die Chat-Protokolle der Causa Kurz gibt es hier komplett nachzulesen.

(ckr/mfu)
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