Charmante Ziegen auf den zweiten Blick

Von Gerhard Richter · 20.03.2012
In Deutschland leben mehr Tiere als Menschen. Doch das Tier findet in der Kunst kaum Beachtung, schon gar nicht in der Malerei. Sabine Ranft will das ändern und malt ausschließlich Tiere - egal ob Haustier, Nutztier oder Exot.
"Das Bild, vor dem wir hier sitzen, diese Ziege hatte ich eigentlich nie auf dem Programm. Ich wollte eigentlich nur den Bock malen. Den Bock hab ich bis heute nicht gemalt."

Sabine Ranft blickt auf die Skizze des Ziegenkopfes. Als habe er sich eben erst in Großformat auf die Leinwand gedrängelt:

"Ich krieg den Bock nicht aufs Papier. Aber alle seine Damen drum herum, die irgendwie ganz …oder im zweiten Blick charmant sind. Ich glaube, das ist das, was mich so reizt. Nicht dieses erste offensive 'hier bin ich', sondern eher das 'huhuhuhu, hallo… hallo… hier… ich…', das ist eigentlich das, wo es mich packt."

Die Tiere, die es letztlich auf ihre Leinwand schaffen, sind vielleicht Schicksalsgenossen. Sabine Ranft hebt ihren Finger nämlich auch nur sehr zaghaft, um sich in der Kunstwelt zu Wort zu melden. Mit Portraits von andalusischen Bergziegen, Rhön-Schafen, Shetlandponys. Oder einem italienischen Windspiel, dem Lieblingshund von Friedrich dem Großen:

"Es gibt nämlich ein Zitat von Friedrich, was er mal zu seiner Schwester gesagt haben soll, dass eigentlich diese Hunde versteckte Vöglein sind. Und dieses Vöglein, dieses Zarte, das war halt mein Anliegen einen solchen Hund zu finden."

Das in Acrylfarbe gemalte Portrait zeigt ein scheues, zartbesaitetes Hunde-Wesen. Fast durchscheinend. Anders als die robusten Hofhunde, die Sabine Ranft anbellen, wenn sie mit dem Fotoapparat umherstreunt. Über die Weiden rund um Dossow, ihrer Wahlheimat. Ein Dorf in Brandenburg zwischen Hamburg und Berlin. Manchmal macht sie Ausflüge, ins Ozeaneum nach Stralsund oder in Zoos. Immer auf der Suche nach faszinierenden Tieren:

"Ansonsten war ich jetzt auf der Grünen Woche, um dort Tiere zu fotografieren, und da hab ich mich in die Nasenlöcher eines Merinoschafs verliebt."

Sabine Ranfts Atelier ist ein winziger Raum auf dem Dachboden eines ehemaligen Dorfgasthofes. Hier wohnt sie mit ihrem Freund. Sie zieht einen weißen beklecksten Malerkittel über, bindet die braunen Haare nach hinten. Lange mustert sie den Ziegenkopf auf der Leinwand, dann tönt sie sie Ohren braun. Was noch komplett fehlt, sind die Augen.

"Also die Augen sind eigentlich das letzte, was ich male. Ich taste mich von außen an die Gesichter ran, es sind im Prinzip auch hunderte von Schichten, die ich über diese Gesichter lege, und…die Augen sind heilig."

Das Licht der Welt erblickt Sabine Ranft in Essen. Sie lernt Bauzeichnerin in Braunschweig, arbeitet zwei Jahre in Hannover, studiert in Hildesheim Architektur. Plant und baut in Göttingen Mehrfamilienhäuser. Bis 2004 die Baukrise ihren Job killt. Sie schreibt dutzende Bewerbungen und muss etwas tun, um nicht an die Absagen zu denken. Irgendetwas:

"Ein Freund von mir war so nett und hat mir einfach einen Raum zur Verfügung gestellt und hat gesagt: Geh! Geh da rein! Mach! Du kannst heizen, du kannst dich da austoben, aber mach!"

Die arbeitslose, mittellose Architektin malt Tiere. Zuerst drei Kühe. Mit Wandfarbenresten. Ihr Stil entwickelt sich:

"Als es dann immer besser wurde, haben eigentlich alle gesagt, um Gottes Willen, mach weiter! Biete das doch immer mehr an. Aber ich selber hab nicht dran geglaubt. Ich hab gesagt, das ist nur eine Übergangsphase."

Aber sie traut sich, ihre ersten Bilder aufzuhängen. In Schaufenstern von Versicherungsbüros oder in Bioläden. Schwarzhalsschaf, Schneeeule, Oskarfisch bevölkern kleine Ausstellungen und finden Käufer:

"Ich glaube ja, dass die Tiere in die Welt hinausgehen und sich ihre Liebhaber suchen. Es geht hier nicht darum, dass eine breite Masse sich dafür begeistert, sondern: Da sucht das Individuum das Individuum."

Der spitze Pinsel schwebt vor dem Auge der Ziege. Zögert. Tupft vorsichtig einen winzigen Punkt Schwarz in die Pupille. Noch wirkt das Bild leblos:

"Und wenn ich an die Augen gehe, bin ich auch immer in so einer Phase, wo ich auch nicht gut viele Menschen um mich rum haben kann. Da brauch ich auch viel Ruhe und muss hingehen können und weggehen können."

Ein heikler Moment. Ein wackliger Pinselstrich, und das Bild ist versaut. Aber es glückt, die Ziege erwacht zum Leben. Ein rührender Moment, fast wie eine Geburt:

"Dann ist es da, und dann sagt es "mäh", oder "Gib mir Gras". Also es fängt dann an, mit einem zu sprechen. Und dann ist die Liebe da."

Das fertige Bild von der Ziege hängt Sabine Ranft stolz ins Wohnzimmer, neben Vogel Strauß und schwarz-weiß gefleckter Kuh. Ein neues Mitglied der Familie, die mit der Tiermalerei einen unbekannten Weg in der Kunst beschreitet:

"Es war schon schwer, aber es gab ja sonst auch keine Alternative. Also es ist für mich mittlerweile ein Geschenk – wenn dann das Bild, die Ziege oder sonst irgendwas einen anguckt und sagt: Hello! Here I am!"