Charlotte Knobloch neue Präsidentin des Zentralrats der Juden

Von Margarete Limberg · 07.06.2006
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Die Wahl einer Frau an die Spitze des Zentralrats ist sicher ein Einschnitt, und sie kommt einem zugleich selbstverständlich vor. Die Entscheidung für Charlotte Knobloch ist ein Signal der Kontinuität, es gibt keinen Generationswechsel und noch einmal, vermutlich das letzte Mal übernimmt eine Überlebende des Holocaust die Führung des Zentralrats.
Die Erwartungen sind enorm. Die öffentliche Aufmerksamkeit, die das Ehrenamt der Zentralratspräsidentin auf sich zieht, ist weit größer als es die Größe dieser Organisation erwarten ließe. Charlotte Knobloch wird wie ihre Vorgänger auch als moralische Instanz gefragt sein, von der ausgerechnet die nichtjüdische Mehrheit immer wieder Stellungnahmen zu Antisemitismus, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit erwartet. Ihr Vorgänger Paul Spiegel hat diese Rolle nur widerwillig angenommen. Warum, so meinte er einmal völlig zu Recht, fragen sie nicht Kardinal Lehmann oder Bischof Huber.

Charlotte Knobloch hat bei diesen Themen, aber auch bei sprachlichen Entgleisungen von Politikern nie ein Blatt vor den Mund genommen, und sie wird das mit Sicherheit auch künftig nicht tun, wie ihre scharfe Kritik am ihrer Ansicht nach zu nachgiebigen Umgang mit dem iranischen Präsidenten zeigt.

Als Kind musste Charlotte Knobloch die Verhaftung des Vaters und die Deportation der Großmutter, die später in Auschwitz ermordet wurde, mit ansehen. Sie überlebte dank einer früheren Haushälterin eines Onkels, die sie als uneheliche Tochter ausgab und auf einem fränkischen Bauernhof versteckte. Nach dem Krieg kehrte Charlotte Knobloch nach München zurück und trat dort 1985 als Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde in die Fußstapfen ihres Vaters.

In München zeigte sie, mit welcher Hartnäckigkeit und welchem Geschick hinter den Kulissen sie die Interessen der Gemeinde zu vertreten wusste. Zugleich widmete sie sich mit besonderem Engagement der Aufgabe, die zu ihren wichtigsten und schwierigsten zählen wird: die Integration der jüdischen Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion in die Gemeinden voranzubringen und den Zusammenhalt der jüdischen Gemeinden zu wahren. Was dem jüdischen Leben in Deutschland einen nicht mehr erwarteten Aufschwung gegeben hat, die Zuwanderung osteuropäischer Juden, ist gleichzeitig Ursache enormer Konflikte. Die Auseinandersetzungen zwischen den Alteingesessenen und den Neuankömmlingen, die vielerorts schon die überwältigende Mehrheit stellen, droht für viele Gemeinden zu einer wahren Zerreißprobe zu werden. Das zu bewältigen, ist eine Herkulesaufgabe.

Charlotte Knobloch gehört zu der Generation, die jüdisches Leben in Deutschland nach dem Holocaust aufgebaut hat. Sie hat die Vision, dass die jüdischen Bürger in der deutschen Gesellschaft wieder ihren angestammten Platz einnehmen. Von Normalität aber will auch sie noch nicht sprechen. Davon kann auch nicht die Rede sein, solange jüdische Einrichtungen Polizeischutz brauchen. Ob späteren Generationen die Normalität so gelingt, dass sie nicht mehr darüber reden müssen, ist schwer vorherzusagen.