Charlie Chaplins "Der große Diktator"

Warum die Hitler-Satire erst 1958 nach Deutschland kam

Der große Diktator (1940), Regie, Produktion und Hauptrollen: Charlie Chaplin als Diktator Adenoid Hynkel, Diktator von Tomamia
"Der große Diktator" (1940), Regie, Produktion und Hauptrollen: Charlie Chaplin als Diktator Adenoid Hynkel, Diktator von Tomamia © imago/United Archives
Peter Krämer im Gespräch mit Gesa Ufer · 27.08.2018
Chaplins Hitler-Parodie "Der große Diktator" kam erst 1958 in die deutschen Kinos - 18 Jahre nach seiner Weltpremiere. Einer der Gründe: Man räumte ihm im Nachkriegsdeutschland keine großen kommerziellen Chancen ein, sagt Filmhistoriker Peter Krämer.
Der Film "Der große Diktator" von Charlie Chaplin ist wohl weltweit als ultimative Parodie auf Adolf Hitler ins kollektive Gedächtnis eingegangen. Vor 60 Jahren feierte er Premiere in West-Deutschland - am 26. August 1958. In den USA wurde er bereits 1940 erstmals gezeigt. Warum aber dauerte es bis Ende der 50er-Jahre, bis der Film auch in Deutschland in die Kinos kam?
Peter Krämer, der als Filmhistoriker an der University of East Anglia dazu geforscht hat, sagte im Deutschlandfunk Kultur: Es habe in der Nachkriegszeit in Deutschland eine rege Diskussion dazu gegeben, bei der "sehr paranoid vorgegangen" worden sei.
"Denn man hat geglaubt, dass das politisch etwas falsch liegt; dass die Amerikaner nicht wollen, dass die Deutschen den Film sehen; dass die deutsche Regierung das nicht will; dass Chaplin irgendetwas gegen die Deutschen hat - oder dass es eine Verschwörung in der deutscher Filmindustrie gab gegen diesen Film."

Keine kommerziellen Chancen

Tatsächlich sei wohl der Fall gewesen, dass der Film in Deutschland keine kommerziellen Chancen hatte. Die Filmproduktionsfirma United Artists vermarktete "Der große Diktator". Doch bereits 1935 hörte die Firma auf, in Deutschland Filme zu vertreiben. So habe United Artist Aberdutzende von Filmen quasi auf Halde gehabt, die sie in Deutschland rausbringen wollten, erklärt Krämer.
"Die haben nach dem Krieg erst mal versucht, die Filme rauszubringen, die eine kommerzielle Chance haben."
Es sei deutschen Mitarbeitern der Firma klar gewesen, dass ein solcher Film mit einer jüdischen Hauptfigur und mit einer sehr scharfen, negativen Sicht auf das Nazi-Regime in Deutschland nicht gut ankommen konnte und an der Kinokasse abgelehnt würde.
"Es gab auch viele Belege dafür, dass tatsächlich solche negativen Darstellungen der Deutschen in Filmen und anderen Medien in Deutschland sehr abgelehnt wurden. Meinungsumfragen bestätigen auch, dass in Deutschland eine positive Einstellungen zu Hitler, eine negative Einstellung zu Juden, eine positive Einstellung nicht zum Zweiten Weltkrieg selbst, aber zum 'Dritten Reich' 1933 bis '39 - dass das alles noch sehr stark war."

Erst in den 70ern ein Hit

1958 sei der Film dann in West-Deutschland im Großstadtpublikum sehr intensiv diskutiert und unter Kritikern oft zelebriert worden, so Krämer. Aber im Großen und Ganzen sei er im Land nicht angekommen. Selbst Kritiker, die den Film gut fanden, hätten die Meinung vertreten: Der Film sei eigentlich eine politische Lektion, man könne und dürfe ihn nicht als Unterhaltung wahrnehmen.
"Das absolut Verrückte ist aber, dass er 1973 wieder ins Kino gekommen und ein Riesenhit war."
Der Grund dafür sei ein Mentalitätswandel gewesen. Zum einen sei das Publikum ein anderes gewesen: "Ende der 50er-Jahre war das Publikum ungefähr ein Abbild der Gesamtbevölkerung", so Krämer. "Anfang der 70er-Jahre ist das Publikum primär großstädtisch, gebildet und jung."

Neue Faszination für Hitler

Hinzu kam: "Es gab eine 'Hitler-Welle' im Ausland und im Inland. Ob das Literatur war, Dokumentarfilme, Spielfilme, Popmusik - es gab eine neue Faszination für Hitler. Und eine im Rückblick vielleicht etwas zu unbefangene Faszination für Hitler."
Das habe es ermöglicht, über Hitler auch zu lachen. In den 50er-Jahren hätten viele Kritiker noch die Frage gestellt, "ob eine Satire auf Hitler oder eine parodistische Darstellung davon, wie man sich einen solchen Diktator vorstellt, nicht das Böse, das geschehen ist, trivialisiert".
Anfang der 70er-Jahre sei Komik dann ein legitimes Mittel gewesen, um gesellschaftliche Verhältnisse zu betrachten und auch zu verstehen, meint Filmhistoriker Krämer.
(abr)
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