Charles Burns: „Daidalos 1“

Die Schöne und der Sonderling

Von Jule Hoffmann · 03.03.2020
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Charles Burns zählt zu den einflussreichsten amerikanischen Comicautoren. Jetzt erscheint in Deutschland und Frankreich der erste Teil seiner "Daidalos"-Reihe. Leider bedient er viele gängige Comic-Klischees.
Es braucht nicht viel Fantasie, um in dem sensiblen, introvertierten Brian Milner in "Daidalos 1" eine Anlehnung an den jungen Charles Burns zu erkennen. Brian zeichnet sehr viel und dreht mit einem Freund abseitige Amateur-Horrorfilmchen. In einem dieser Filme soll die attraktive Laurie die Hauptrolle spielen. Laurie und Brian lernen sich nur langsam kennen, gehen gemeinsam ins Kino und sehen "Invasion of the Body Snatchers" ("Die Körperfresser kommen"), einen Film von 1956.
Dazwischen eingefügt sind (Alb-)Traumsequenzen, in denen Brian durch eine dornige, karge Wildnis irrt, einen menschengroßen Kokon findet und darin die nackte Laurie entdeckt. Wie schon in seinem bekanntesten Werk "Black Hole" macht sich bei Burns eine Art biologischer Horror breit, der in Mutationen und grotesken Organismen zum Ausdruck kommt – wie der riesenhaften pinken Krake, die wie ein Gehirn aussieht und über einer felsigen Berglandschaft schwebt.
Und ebenfalls wie in "Black Hole" ruft der traumartige subtile Horror in "Daidalos" beim Lesen ein abgründiges Gefühl hervor. In der für Burns typischen Ästhetik, angelehnt an amerikanische Comics der 1950er-Jahre, mit satten Farben und makellos gezogenen schwarzen Linien, kommt auch hier Burns' geradezu psychoanalytische Bildmetaphorik zum Tragen. Ovale erinnern deutlich an weibliche Geschlechtsorgane, und in Träumen wird Unbewusstes und Verdrängtes visualisiert.

Der rätselhafte Mann

Diese Art des Erzählens in Burns' Pop Art-ähnlichem Stil hat nach wie vor einen großen Reiz. Gleichzeitig wundert man sich über Burns' scheinbar nie endende Faszination mit der Phase des Erwachsenwerdens: Wieder erzählt er eine Teenagerstory, wieder geht es um den sensiblen Nerd, der in seinem Außenseitertum jederzeit zu einem Monster zu werden droht.
Besonders prägnant ist schon die Eingangsszene: Während im Raum nebenan seine Freunde feiern und trinken, sitzt Brian alleine in der Küche und zeichnet sein Spiegelbild von einem verchromten Toaster ab. Er ist so versunken, dass er nicht bemerkt, dass hinter ihm eine Frau die Küche betritt, seine Zeichnung sieht und ihn mit den Worten "Mein Gott, das ist ja fantastisch!" aus seiner Versunkenheit reißt. Brian wiederum "kann kaum atmen" und bringt kein Wort über die Lippen.
Natürlich erzählt Charles Burns mit einer gewissen Ironie von diesem Setting, trotzdem wird Brians Fremdeln mit "dem anderen Geschlecht" ungefiltert wiedergegeben. Dass sein Außenseitertum außerdem verknüpft wird mit seinem großen Talent – er wird als "sehr klug und talentiert, aber manchmal etwas seltsam" beschrieben –, ist ein zusätzliches Klischee. Laurie fühlt sich "zu ihm hingezogen" und Brian "ist ihr ein Rätsel". "Daidalos 1" endet damit, dass sie voller Bewunderung für den rätselhaften jungen Mann sein Skizzenbuch anschauen darf.

Das Nerdige, Schmuddelige, Dudehafte

Ich verstehe das Identifikationspotenzial, für das sich Charles Burns in seinen Comics interessiert, aber dieses besteht eben auch nur für seinesgleichen. Alleine die Figur der sexy gezeichneten Frau, die sich zu dem verschlossenen Creep hingezogen fühlt, spricht mich so gar nicht an.
Klar geht es hier um keinen geringeren als Charles Burns, den Meister des subtilen Horrors, der sehr viele Comicschaffende inspiriert und beeinflusst hat und dessen enormes Können auch gar nicht in Frage gestellt werden soll. Aber sein Thema ist nicht nur wenig originell, sondern füttert inhaltlich auch noch das Klischeebild, das dem Medium Comic ohnehin schon anhaftet: das Nerdige, Schmuddelige, Dudehafte.
Gerade Zeichner von seinem Kaliber - er ist ja ein Star der internationalen Comicwelt - verkörpern das noch viel zu sehr. Ich würde mir wünschen – da "Daidalos" ja ein Mehrteiler wird –, dass Charles Burns seine pubertären Albträume überwindet und sein Talent dafür nutzt, etwas Anderes, Neues zu erzählen. Immerhin ist er inzwischen 65 Jahre alt und hat zwei erwachsene Töchter. Ich glaube, er kann das schaffen.

Charles Burns: "Daidalos 1"
Reprodukt, Berlin
64 Seiten, 20 Euro

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